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Erzieherinnen sind enttäuscht. Sie fühlen sich und ihre Arbeit nicht ausreichend gewürdigt. Zudem fordern sie Schutzvorkehrungen wie kostenlose FFP-2-Masken und bevorzugte Impfungen für die Beschäftigten.

Untertürkheim - I n Sonntagsreden werden sie als Heldinnen und Helden des Alltags gelobt, gehen auch in Lockdown-Zeiten und trotz erhöhter Infektionsgefahr arbeiten. „Aus Leidenschaft und dies seit 25 Jahren “, sagt Erzieherin Bettina Ott. Sie arbeitet in der Kita Stierlenstraße, liebt und lebt ihren Beruf, was man daran sieht, dass sowohl ihre Tochter Lena als auch ihr Sohn Sebastian in die Fußstapfen der Mutter getreten sind. Die Drei wissen, wieso etliche Kitas Personalprobleme haben. „Im Vergleich zu meinen Anfangsjahren ist unser Beruf in der Gesellschaft wenig anerkannt und unsere Tätigkeit wird zu wenig wertgeschätzt“, sagt Ott.

Am deutlichsten wird dies bei der Entlohnung sichtbar. „Urlaubsgeld, 13. Monatsgehalt oder Sonderzahlungen kennen wir Erzieherinnen nicht.“ Den Kita-Beschäftigten wurde dies auch in der Coronazeit vor Augen geführt. „Ein Arbeiter in der Metallbranche bekam 1500 Euro Corona-Ausgleich. Klar er baut ja wichtige Autos. Eine Erzieherin bekam 600 Euro, denn sie betreut ja nur Kinder.“

Die Ungleichbehandlung beginnt bereits beim Berufsstart. „Wir haben eine dreijährige Berufsschulausbildung durchlaufen und nichts verdient. Im Gegenteil, unsere Eltern mussten uns die Schule finanzieren“, sagt Tochter Lena. Ihr Bruder Sebastian erinnert sich noch an die Verdienste seiner Schulkameraden, die bei Daimler ihre Ausbildung gemacht haben. Sie verdienten vom ersten Tag an gut und haben Aufstiegschancen. „Bei uns ist nach der Einrichtungsleiterin Schluss“, sagt Bettina Ott. Ihre Tochter hat sich deswegen für das Fernstudium Soziale Arbeit als Türöffner für den nächsten Karriereschritt entschieden. Nach dem anstrengenden Kita-Alltag büffelt sie abends. Ihr Mann arbeitet auch als Erzieher. „Wir kommen mit zwei Erziehergehältern zurecht. Wenn wir allerdings Kinder haben wollen, wird’s eng“, sagen sie.

„Wer nicht mit Herzblut Erzieher oder Erzieherin ist, verlässt bald den Beruf“, ergänzt ihr Bruder. Der Untertürkheimer arbeitete lange als Pädagoge im Jugendbereich, brachte „schwierige Jungs“ auf die richtige Bahn. Ein Schützling bekam sogar eine Ausbildung bei Porsche. „Als ich seine Ausbildungsvergütung im ersten Lehrjahr mit meinem Gehalt nach drei Jahre Ausbildung und einigen Jahren Berufserfahrung verglich, fragte ich mich schon, wieso ich nicht in die Industrie wechsle.“ Zumal der ErzieherInnenberuf viel Verantwortung, Fingerspitzengefühl und Wissen erfordert. Die Anforderungen sind enorm gestiegen. „Wir müssen oft schauen, dass die Kinder trocken werden, Sprachförderung betreiben, ihnen bestimmte Regeln beibringen wie ruhig sitzen zu bleiben, und sie auf die Schule vorbereiten“, sagt die Kita-Leiterin. Nicht jeder honoriere diese Arbeit.

Dies zeigt sich auch in der Corona-Zeit. Anke Leistert, die in Wangen eine Kita leitet, fühlt sich vom Kultusministerium als steuerndes Organ alleine gelassen, da klare Vorgaben zum Infektionsschutz fehlen und die Anforderungen steigen. „Wir halten seit Beginn der Pandemie die Stellung, sorgen dafür, dass Eltern ihrer Berufstätigkeit nachgehen können und stützen somit das System und die Wirtschaft.“ Sie hat einen offenen Brief an Ministerpräsident Winfried Kretschmann geschrieben und ihn als Petition ins Netz gestellt. Diese wurde hundertfach geteilt. „Ich will den Erzieherinnen und Erziehern eine Stimme geben.“ Schließlich würden die pädagogischen Fachkräfte in stetiger Ungewissheit arbeiten: Kommen Kinder in die Kita, obwohl die Geschwister in Quarantäne sind? Warum wird beim Verdacht, dass ein Elternteil positiv ist, das Kind und die gesamte Gruppe nicht getestet? „Überall werden Maßnahmen verschärft, nur in den Kitas gibt es immer mehr Lockerungen. Das ist nicht nachvollziehbar.“

Deswegen fordert sie eine offene Kommunikation über die potenziellen Risiken sowie die Umsetzung der Schutzmaßnahmen, wie die Ausstattung des Personals mit FFP2-Masken. Zudem müsse die Notbetreuung durch Unabkömmlichkeitsbescheinigungen, basierend auf klar definierten Vorgaben, eindeutig geregelt und die Anzahl der Kinder reduziert werden. In der von Leistert geführten Einrichtung werden 55 Prozent der Kinder notbetreut. Dann könne ein Regelbetrieb unter Pandemiebedingungen mithilfe eines Wechselmodells mit stabilen, kleineren Gruppen stattfinden. Zudem müssen die pädagogischen Fachkräfte in der Impfreihenfolge in Stufe zwei vorrücken, fordert Leistert. „Unsere Arbeit verdient Respekt. Bitte unterstützen Sie die Petition“, appelliert Leistert.