Andrea Käufer kümmert sich in Korntal-Münchingen um die Belange von Menschen, um ihnen das Leben zu erleichtern – noch. Foto: Simon Granville

Weil der Gemeinderat von Korntal-Münchingen ihr eine bessere Bezahlung verweigert, wirft die Inklusionsbeauftragte das Handtuch. War es das jetzt mit einer Stadt für alle?

Andrea Käufer treibt die Entscheidung des Gemeinderats noch immer um. „Das ist schmerzhaft“, sagt die 61-Jährige. Sie habe auf Zustimmung gehofft, nicht damit gerechnet, dass das Gremium sich weigert, ihre Tätigkeit als ehrenamtliche Inklusionsbeauftragte der Stadt in einen besser bezahlten Minijob umzuwandeln. Andrea Käufer ist enttäuscht. Minijob bedeute nicht bloß eine materielle Aufstockung. „Minijob bedeutet Teilhabe und ein Zeichen der Wertschätzung, dass diese Aufgabe ernstgenommen wird.“ Andrea Käufer fehlt diese Wertschätzung – und sie zieht Konsequenzen: Ende August hört sie als Inklusionsbeauftragte auf.

Seit ziemlich genau vier Jahren ist Andrea Käufer die erste Inklusionsbeauftragte Korntal-Münchingens im Kreis Ludwigsburg. Landkreisweit nahm die Stadt damit eine Vorreiterrolle ein: Damals hatten nur Ludwigsburg und Remseck eine solche Stelle. Der neue Posten war das Ergebnis eines Antrags der Grünen-Fraktion im Gemeinderat gewesen. Er wurde einstimmig angenommen. Gleichwohl äußerten sich die Stadträte skeptisch: Es seien viele Aufgaben, die die neue Kraft zu erfüllen habe – und das im Ehrenamt. Sie behielten recht.

Alle Menschen sollen gleichberechtigt teilhaben können

Mitten in der Coronapandemie legte Andrea Käufer los. Je schwächer die Krise wurde, desto mehr bekam die Korntalerin zu tun. Sie nahm sich vor, die Gemeinschaft schrittweise so zu gestalten, dass alle Menschen gleichberechtigt teilhaben können: Jeder soll ganz selbstverständlich überall dabei sein können, unabhängig von Aussehen, von der Sprache, der Kultur, dem Bildungsstand oder der körperlichen Verfassung. Insofern trage ihre Arbeit auch zur Demokratie bei.

Inklusion sei ein Menschenrecht und kein nettes Extra, sagt Andrea Käufer. Foto: IMAGO/Panama Pictures

Mittlerweile investiert Andrea Käufer im Schnitt zehn bis zwölf Stunden pro Woche. Sie hat am Nachmittag und Abend regelmäßig Termine, wie Netzwerktreffen mit 13 Vereinen und Institutionen. Sie recherchiert und beobachtet, berät und gibt Ideen. Ihre Arbeit sei zu umfangreich geworden und beinhalte zu viele Themen, als dass ein Ehrenamt noch reiche. Die Stadtverwaltung, mit der Andrea Käufer eng zusammenarbeitet, sieht das genauso.

Alle schätzen die Inklusionsarbeit, aber  . . .

Sie beantragte im Gemeinderat, aus dem Ehrenamt einen Minijob zu machen. Der hätte Mehrkosten von 5300 Euro im Jahr zur Folge. Aktuell erhält Andrea Käufer jeden Monat 250 Euro plus Auslagen. „Wenn jemand Vollzeit 40 Stunden arbeitet und dann noch vier bis sechs Stunden in der Woche ehrenamtlich einbringt, ist das schon viel. Über mehrere Jahre, Woche für Woche, dauerhaft ein größeres Engagement zu erwarten, ist im Rahmen eines kommunalen Auftrags wohl nicht realistisch“, sagt die Rathaussprecherin Angela Hammer.

Die Grünen stimmten für den Minijob – im Sinne einer „besseren Anbindung an die Verwaltung mit einer engeren und intensiveren Möglichkeit der Zusammenarbeit“. Die SPD begründete ihr Ja damit, dass ihr die Inklusionsarbeit wichtig sei. Dagegen verweist die FDP auf „ein dickes Minus im Ergebnishaushalt“. Eine Aufstockung halte man daher für „nicht verantwortlich“. Aus Sicht der Freien Wähler überschneidet sich Andrea Käufers Tätigkeitsfeld „sehr oft“ mit anderen bereits bestehenden Bereichen. Für die CDU bewährt sich der Status quo, zumal die Wahrnehmung der Interessen von Menschen mit Behinderungen oder Einschränkungen schon heute innerhalb der Stadtverwaltung einen hohen Stellenwert habe.

„Inklusion ist kein nettes Extra“

Ist hier am richtigen Platz gespart?, fragt sich Andrea Käufer. Zwar sei es eine freiwillige Leistung der Kommune, eine Inklusionsbeauftragte zu beschäftigen, und sie wisse um die knappe Stadtkasse. Aber: „Inklusion ist ein Menschenrecht für alle, kein nettes Extra. Wir in unserer Kommune haben hier eine Aufgabe und Verantwortung den Menschen gegenüber für die Zukunft.“

Für die Bürger ist Andrea Käufer eine Anlaufstelle, ein Sprachrohr, die Schnittstelle ins Rathaus. Immer mehr Menschen melden sich bei ihr. „Wir haben in den vergangenen Jahren vieles bewegt und Barrieren in den Köpfen gesenkt.“ Mit ihrem Weggang, sagt sie, entstehe in der Gesellschaft wieder eine große Lücke.

Barrierefreie Klos auf Festen sind jetzt Standard

Sie half, den barrierefreien Zugang zum Sportplatz des TSV Korntal zu realisieren und den Packtisch im Edeka zu vergrößern. Sie war da, als die Stadt am Bahnhof Korntal die öffentliche Toilette plante, und dank ihr seien barrierefreie WCs auf Stadtfesten nun Standard. Sie hilft jungen Menschen, den Schulabschluss zu machen und eine Ausbildung zu finden. Die Veranstaltung „Erste Hilfe im digitalen Zeitalter“ im Bürgertreff Korntal nennt Andrea Käufer ein Herzensprojekt. „Inklusion ist die große Kunst, Bedarfe zu erkennen und zu schauen, wie man damit umgeht.“

Der Bürgermeister Alexander Noak (parteilos) bedauert ihre Entscheidung: „Wir schätzen ihre Arbeit und ihr Engagement sehr. Sie leistet wirklich gute, wertvolle Arbeit. So sind wir bei der Inklusion ein gutes Stück vorangekommen.“ Die Stadt schreibt die Stelle wieder aus – erneut als Ehrenamt.

Gern hätte Andrea Käufer auch in Münchingen jene Erste Hilfe angeboten. Und ihr Traum, der sei der von einem inklusiven Café im Freizeitbad. Vielleicht packt das jemand anderes an. Andrea Käufer hofft, dass es weitergeht. Inklusion sei ein stetiger Prozess: „Es gibt kein Ende und kein Fertig.“

Inklusionsbeauftragte sind eine Seltenheit

Rarität
Kaum Kommunen im Kreis Ludwigsburg beschäftigen Inklusions- oder Behindertenbeauftragte. Das ist eine freiwillige Leistung. Ludwigsburg hat 2014 eine entsprechende Stelle im Rathaus geschaffen. Heute arbeitet Gertraud Selig 80 Prozent in einer eigenständigen, vierköpfigen Einheit, die der ersten Bürgermeisterin Renate Schmetz zugeordnet ist. Seit April ist in Ditzingen Klara Sailer auf 40-Prozent-Basis die Ansprechperson für Inklusion. In Leonberg ist Elisabeth Kolofon seit Herbst 2021 die Anlaufstelle für alle Anliegen rund um Inklusion. Die erste Inklusionsvermittlerin der Stadt ist ehrenamtlich tätig.

Pflicht
Die Landkreise müssen per Gesetz seit dem Jahr 2016 einen Behindertenbeauftragten benennen. Seit Anfang 2021 bekleidet die Sozialarbeiterin Claudia Lychacz diese Stelle im Landratsamt hauptamtlich. Auch Unternehmen müssen in ihrer Funktion als Arbeitgeber Inklusions- oder Behindertenbeauftragte beschäftigen.