Die SPD kommt am Freitag in Berlin zu ihrem Parteitag zusammen. Foto: dpa/Daniel Karmann

Der SPD-Parteitag soll keine Entscheidung über die Koalition fällen. Kritiker des Bündnisses sind enttäuscht – sie sehen die neue Doppelspitze vor einem drohenden Vertrauensverlust.

Berlin - Groko-Showdown auf dem SPD-Parteitag? Nicht, wenn es nach der Parteiführung geht. Nach der Wahl des neuen Spitzenduos Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans steht am Freitag eine Bewertung der Regierungsarbeit in der großen Koalition auf dem Programm. Doch harte Bedingungen für eine Fortsetzung des ungeliebten Bündnisses soll es offenbar eben so wenig geben, wie eine Abstimmung über die Zukunft der Groko. Vertreter des linken Parteiflügels sind verwundert: Schließlich hatten Esken und Walter-Borjans im Wettbewerb um den SPD-Vorsitz mit einem kritischen Kurs gegenüber der Großen Koalition erfolgreich für sich geworben und auch einen Austritt aus dem Bündnis ins Spiel gebracht. „Mit dem Kandidatenduo war immer die Entscheidung verbunden, dass es kein ‚Weiter so‘ gibt“, sagte die Ulmer Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis unserer Zeitung. „Ich glaube, dass es auf dem Parteitag zu einer Entscheidung kommen muss.“ Alles andere sei „inkonsequent“.

Lauterbach warnt vor Doppelspitze vor Vertrauensverlust

Sind die Rebellen wenige Tage nach ihrem Einzug in die Parteizentrale bereits gezähmt? In einem Entwurf des Leitantrags werden Gespräche mit der Union über höhere staatliche Investitionen, mehr Ehrgeiz beim Klimaschutz sowie soziale Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt angekündigt. „Was davon in der gegenwärtigen Regierung machbar ist, werden wir ausloten“, heißt es.

Bisher von Esken und Walter-Borjans erhobene konkrete Forderungen wie ein Mindestlohn von zwölf Euro, eine Abkehr von der Politik der „Schwarzen Null“ oder ein CO2-Einstiegspreis von 40 Euro pro Tonne fehlen aktuell noch in dem Antrag, der am Donnerstag in seiner finalen Version beschlossen werden soll. An der Grundlinie des Textes werde sich aber nichts ändern, sagten mehrere an den Beratungen Beteiligte.

„Ich hoffe sehr, dass der Leitantrag nicht hinter den Hoffnungen der Mitglieder zurückbleibt“, sagte der Groko-Gegner Karl Lauterbach, der sich ebenfalls um den SPD-Vorsitz beworben hatte, unserer Zeitung. „Ich warne davor, dass der Eindruck entsteht, man habe sich mit scharfen Worten gegen die Große Koalition in Ämter wählen lassen und könne sich danach an nichts mehr erinnern.“ Die Folge sei sonst ein „immenser Vertrauensverlust nicht nur für die Personen, sondern für die ganze Partei“. Esken und Walter-Borjans hatten mit dem Slogan „Standhaft sozialdemokratisch“ für sich geworben – und dem Kontrahenten Olaf Scholz vorgeworfen, genau diese Eigenschaften nicht zu besitzen.

Auch Kühnert zahm geworden?

Zwischenzeitlich geriet auch Juso-Chef Kevin Kühnert in Verdacht, gemeinsam mit dem von ihm unterstützten Führungsduo unter die Kreidefresser gegangen zu sein. Der bekannteste Groko-Gegner der Partei sagte der „Rheinischen Post“: „Wer eine Koalition verlässt, gibt einen Teil der Kontrolle aus der Hand.“ Dies war von manchen als Warnung vor einem Bruch der Regierung verstanden worden. Kühnert, der sich als Vize der neuen Parteispitze bewirbt, stellte daraufhin klar, er habe keine Angst, mit der SPD in den nächsten drei Monaten in einen Bundestagswahlkampf zu gehen.

Im Willy-Brandt-Haus gab man sich „überrascht“ über „die Wucht der medialen Debatte“, die der Entwurf des Leitantrags ausgelöst habe. „Es war ohnehin nicht erwartet worden, dass auf dem Parteitag ein kopfloses Groko-Aus beschlossen wird.“ Das zwar nicht unbedingt. Aber seit Monaten verwiesen Koalitionsvertreter auf den SPD-Parteitag, wenn die Überlebenschancen der Regierung über die Mitte der Legislaturperiode hinaus diskutiert wurden. Interimsparteichef Thorsten Schäfer-Gümbel sagte etwa im August zur Halbzeitbilanz: „Ein Parteitag wird ganz sicherlich darüber abstimmen und entscheiden.“

Kein Groko-Aus an Nikolaus

Nun sollen Esken und Walter-Borjans den Auftrag zu Gesprächen mit der Union bekommen. Danach soll der Parteivorstand bewerten, „ob die drängenden Aufgaben in dieser Koalition zu bewältigen“ seien. SPD-Präsidiumsmitglied Leni Breymaier sieht darin einen guten Kompromiss. „Ich glaube mit dem Leitantrag können beide Lager auf dem Parteitag mitgehen“, sagte die Schwäbin unserer Zeitung. „Einerseits machen wir klar, worüber wir mit der Union verhandeln wollen. Andererseits wird aber auch deutlich, dass wir andere Bündnisse anstreben, um weitergehende Vorhaben umzusetzen.“ Das noch vor zwei Wochen auf dem Juso-Bundeskongress ausgerufene „Groko-Aus an Nikolaus“ fällt somit aus. Zumindest in diesem Jahr.