Internet-Giganten wie Amazon sollen nach dem Willen der EU in Zukunft mit neuen Regeln Zügel angelegt werden. Foto: dpa/Soeren Stache

Der Einfluss der Internet-Giganten soll nach dem Willen der EU ein Ende haben und Nutzer sollen besser geschützt werden. Das Europaparlament stimmt über ein wegweisendes Digital-Paket ab.

Brüssel - Es sind bisweilen die kleinen Veränderungen, die das Leben leichter machen. „Es ist doch unverständlich, dass man keine Nachricht von WhatsApp zu einem anderen Messenger-Dienst wie Signal schicken kann“, sagt die Europaabgeordnete Evelyn Gebhardt und fügt hinzu, dass man eine Mail doch auch an verschiedene Anbieter versenden könne. Die deutsche Sozialdemokratin hat maßgeblich daran mitgearbeitet, dass es der EU gelingen könnte, das Leben der Smartphone-Nutzer in diesem Fall tatsächlich etwas einfacher zu gestalten.

Der Kampf gegen den Hass im Internet

Allerdings ist diese sogenannte Interoperabilität der inzwischen von vielen benutzten Messenger-Dienste nur der kleine Teil eines sehr großen Paketes, das das Europaparlament in dieser Woche beschließen wird. Erklärtes Ziel von Europa ist es, die Übermacht von Internet-Giganten wie Google, Amazon oder Facebook zu brechen und die Nutzer besser zu schützen. Dazu wird das Gesetz über digitale Märkte (DMA, Digital Markets Act) auf den Weg gebracht, das diese wettbewerbsrechtlichen Seiten regeln soll. Ein weiteres Gesetz über digitale Dienste (DSA, Digital Services Act) befasst sich mit gesellschaftlichen Aspekten wie Hassrede, Fake-News-Kampagnen und gefälschten Produkten im Netz.

Kritiker geben zu bedenken, dass es viel zu lange gedauert habe, bis die Europäische Union auf die bisweilen atemberaubenden Entwicklungen im Internet reagiert hat. Das räumen auch die zuständigen Politiker ein, schließlich ist es 21 Jahre her, dass die EU umfassende Spielregeln für digitale Dienste und Online-Plattformen aufgestellt hat. In dieser Zeit sind riesige Konzerne herangewachsen, ausgestattet mit einer vorher kaum für möglich gehaltenen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und auch politischen Macht.

Ein Paket von großer Schlagkraft

Das Gesetz über digitale Märkte sei im Jahr 2014 auf den Weg gebracht worden, sagt Andreas Schwab (CDU), der für die EVP mit am Verhandlungstisch sitzt. Manche Dinge seien eben sehr kompliziert und würden ihre Zeit brauchen. Nun aber liege ein Paket auf dem Tisch, „das wir in dieser Härte und Schlagkraft lange nicht hatten“, erklärt der Europaparlamentarier, der sich sicher ist, dass das Gesetz am Ende nicht nur die Digitalbranche regle, sondern auch Auswirkungen auf andere Bereiche des täglichen Lebens haben werde.

Der DMA zielt auf die sogenannten Gatekeeper (Torwächter), die erhebliche Auswirkungen auf den Binnenmarkt haben. Die Position der EU-Staaten sieht vor, dass Plattformen wie Suchmaschinen oder Soziale Netzwerke mit mindestens 45 Millionen aktiven monatlichen Nutzern in der EU oder 10 000 jährlichen Geschäftskunden dazu gehören. Beim Jahresumsatz liegt die Schwelle bei 6,5 Milliarden Euro.

Mehr fairer Wettbewerb im Internet

Konkret sollen die Gatekeeper zum Beispiel eigene Produkte und Angebote nicht mehr bevorzugt gegenüber denen der Konkurrenz behandeln dürfen. Einer der wichtigsten Adressaten ist in diesem Fall Amazon. Zudem dürfen die Gatekeeper Mitbewerbern nicht verbieten, das gleiche Angebot woanders günstiger anzubieten. Durchsetzen soll all das die EU-Kommission. Unter anderem auf Drängen Deutschlands sollen jedoch auch die nationalen Wettbewerbsbehörden Ermittlungen starten und die Erkenntnisse an die Brüsseler Behörde weiterleiten können. Das mögliche Strafmaß bei Verstößen liegt bei bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes und könnte so sehr schnell in die Milliarden gehen. „Strukturelle Abhilfemaßnahmen“ – also etwa eine Aufspaltung des Unternehmens – sollen nur in absoluten Ausnahmefällen verhängt werden.

Auch beim Gesetz über digitale Dienste wurde versucht, komplizierte Zusammenhänge einfach zu machen. Grundsätzlich ist das Ziel, dass das, was offline verboten ist, auch online verboten sein soll – etwa der Verkauf gefälschter Produkte oder illegale Hassrede. Dabei gilt: Je größer die Plattform, desto mehr Regeln muss sie beachten. Neu ist, dass die EU-Staaten sogenannte manipulative „Dark Pattern“ verbieten wollen. Der mögliche Gesetzestext definiert diese als „Designtechniken, die Verbraucher zu unerwünschten Entscheidungen drängen oder negative Folgen für sie haben“. Dies kann Werbung sein, die als normaler Inhalt getarnt ist, oder auch extrem unübersichtliche Einstellungen der Privatsphäre. Als Strafen sind beim DSA bis zu sechs Prozent des Jahresumsatzes vorgesehen.

Die EU muss eine gemeinsame Linie festlegen

Bevor DMA und DSA Realität werden, müssen die EU-Staaten und das Parlament sich noch auf eine gemeinsame Linie einigen, nachdem das Parlament nun seine eigene Position festgezurrt hat. Unter der französischen EU-Ratspräsidentschaft sollen die Verhandlungen dann in der ersten Jahreshälfte 2022 abgeschlossen werden.

Die Konzerne, die in Zukunft mit den neuen Gesetzen konfrontiert werden, produzieren natürlich mächtig Gegenwind. So kritisiert Apple, der DMA könnte Sicherheit und Privatsphäre der iPhone-Nutzer gefährden, wenn das Laden von Apps aus anderen Plattformen erzwungen werde. Facebook warnte vor zu strikten politischen Vorgaben, die Innovationen abzuwürgen drohten. Um die Gesetzgebung zu beeinflussen und allzu harte Eingriffe zu verhindern, schwirren inzwischen ganze Heerscharen von Lobbyisten im Brüsseler Regierungsviertel der EU umher. Allein Google gebe nach Angaben von Insidern jährlich weit über fünf Millionen Euro für diese Art von „Überzeugungsarbeit“ aus. Damit hat der Internet-Gigant längst den Industrieverbänden oder auch der Finanzbranche den Rang als Lobby-Spitzenreiter abgelaufen.

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