Gesundheitsminister Jens Spahn will den Lockdown noch einige Wochen weiterführen. Foto: dpa/Michele Tantussi

Wie gelingt es den Regierungschefs am kommenden Mittwoch, die Bevölkerung im Kampf gegen das Coronavirus für die nächsten Monate zu motivieren? Beim ARD-Talk „Anne Will“ zeichnet sich eine neue Strategie ab: der „Perspektivplan“.

Stuttgart - Sein Name ist in aller Munde – politische Gegner wollen ihm schon alle Versäumnisse in der Pandemiebekämpfung anhängen. In Talkshows jedoch, wo seine Amtsführung ein Dauerthema ist, macht er sich eher rar: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Bei „Anne Will“ (ARD) steht der CDU-Politiker wenigstens „für ein Einzelinterview zur Verfügung“, wie die Moderatorin betont.

So muss er sich nicht dem Schlagabtausch stellen, hat aber reichlich Gelegenheit, seine Botschaften loszuwerden – etwa für die nächste Ministerpräsidentenkonferenz an diesem Mittwoch. Der Gesundheitsminister will vor weiteren Lockerungen „erst mal darauf warten, wie die Zahlen sinken – bis wir deutlich unter dem Inzidenzwert 50 pro 100 000 Einwohner sind“. Das heißt „natürlich Richtung 10, 20“. Es müsse Öffnungsschritte geben – „aber nicht alles auf einmal“. Nach jeder neuen Maßnahme müsse überprüft werden, wie sie wirke. Kurzum: „Vor uns liegen noch harte Wochen.“

Keine andere Strategie ist unbeliebter als die aktuelle

In Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus findet Spahn erwartungsgemäß einen kongenialen Partner, denn auch dieser CDU-Politiker rät vor dem Treffen der Regierungschefs, den „Lockdown noch mal einige Wochen weiterzuführen, bis wir stabil unter 50 – besser stabil unter 35 sind“. Angesichts der Mutationen müsse man „wirklich noch sehr vorsichtig sein“. Im Unterschied zu Spahn fordert Brinkhaus immerhin: „Wir müssen aus dem Scheibchenweise raus“ – immer wieder „anbauen und nachbessern“, das könne nicht funktionieren.

Es ist dieses entschlossene „sowohl – als auch“ mit all den haltlosen und widersprüchlichen Zusagen der Regierenden, das die Menschen kirre macht und das Vertrauen in die Politik zunehmend erschüttert, wie auch die Thüringer Professorin für Gesundheitskommunikation, Cornelia Betsch, aus ihren Erhebungen weiß. Jede andere diskutierte Strategie – selbst die radikale „No Covid“-Methode mit weiteren sechs Wochen im harten Lockdown – schneidet nach ihren Worten bei den Befragten „besser ab als die aktuelle“. Das ist ein vernichtendes Urteil aus dem beschaulichen Erfurt.

Der neue Trend: ein bundeseinheitlicher Stufenplan

Betsch zufolge wünscht sich die Mehrheit der Menschen eine Einheitlichkeit der Maßnahmen, mithin auch eine Einigkeit der Ministerpräsidenten. Und eine Beendigung des Lockdowns müsse an konkreten Fallzahlen ausgerichtet werden, weil dies als motivierend empfunden würde. Gefordert ist somit ein „klarer Kriterienkatalog“ – zum Beispiel: „Bei Zahl X passiert Y.“ Auch ganz wichtig: Es bräuchte „eine größere Strategie, die Bevölkerung wieder mehr einbindet“.

In diesem Sinne werden derzeit in mehreren Bundesländern Stufenpläne diskutiert. Auch Manuela Schwesig, die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, hofft auf einen „bundesweit einheitlichen Perspektivplan“, der an Inzidenzwerten festgemacht wird, „um den Menschen zu sagen, wo wir was wann öffnen können“. Schritt für Schritt. Allerdings, so fügt Schwesig hinzu, „werden wir auch regional vorgehen müssen“. Da hat sie vor allem ihre Großstadt Rostock im Visier, die ihre Infektionszahlen konstant niedrig hält. Dort könne man vielleicht auch „Testläufe für kleine Öffnungen machen“, meint die SPD-Politikerin.

Wagenknecht: Ganze Berufsgruppen in den Ruin getrieben

Es ist das ewige Dilemma der Regierungschefs in der Pandemie: Sie fordern Klarheit von der großen Runde und wünschen sich selbst mehr Flexibilität. Dass diese Zweigleisigkeit schwer zu kommunizieren und einzuhalten ist, haben die vergangenen zwölf Monate bewiesen. Einheitliche Regeln wären ein „echter Fortschritt“, sagt der Journalist Georg Mascolo, aber selbst innerhalb eines Bundeslandes mit ganz unterschiedlichen Infektionslagen wären sie „schwer zu ertragen“. Denn auch regionale Anpassungen hätten aus Sicht der Epidemiologen ihren Sinn.

Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht muss keine Regierungspolitik verantworten. Insofern tut sie sich leicht mit Kritik. Viel zielgenauere Maßnahmen verlangt sie. „Es ist nicht verantwortbar, dass ohne eine wirkliche Datengrundlage ganze Branchen dichtgemacht werden“ – die Gastronomie oder die Friseure. „Nicht wirklich zu begründen“ sei es, „ganze Berufsgruppen in den Ruin zu treiben“. Das Problem: Auch Wagenknecht hat nicht wirklich eine Strategie und kann – auf Nachfrage von Brinkhaus – kein Land benennen, das ein Vorbild sein könnte. Vielmehr rät sie, „nicht immer nur auf die Inzidenzen zu starren“ und „genauer hinzugucken, wo das Virus gefährlich ist, statt nur pauschal vorzugehen“.

„Auch an den Rest der Menschheit denken“

Strenger Wahlkampfgeruch kommt nur kurzzeitig auf, als Manuela Schwesig den beiden CDU-Protagonisten nicht durchgehen lassen will, dass bei der hochumstrittenen Impfstoffbeschaffung praktisch nichts schiefgelaufen sei, auch weil – wie Spahn beteuert – sein Ministerium „immer wieder Druck gemacht“ hätte. Dies „kann man weder schönreden noch unter den Teppich kehren“, empört sich die Sozialdemokratin. Es habe eine „klare Verabredung“ gegeben, „wonach die Länder die Orga machen und der Bund den Impfstoff beschafft“. Weil der Vakzin-Nachschub ausbleibt, sei es jetzt nicht zu schaffen, die Risikogruppen zu schützen. Genug Impfstoff wäre aber ein großer Motivationsschub – „keine Kleinigkeit“.

Der Gesundheitsminister bleibt dabei: „Wenn wir zusammen bleiben, sind wir am Ende sowohl im Bund als auch in der EU stärker“, verteidigt er die europäische Lösung. Für Georg Mascolo ist dies noch zu kleinteilig gedacht, denn er findet es „erschreckend kurzsichtig“, dass bei der Verteilung des Impfstoffs nicht schon jetzt die ganze Welt in den Blick genommen wird. Sein Appell: „Wir denken nicht nur an uns selbst, sondern auch an den Rest der Menschheit.“ Der Gedanke ist nicht neu, aber von führenden Politikern hört man ihn viel zu selten.