Dank der SOS-Kinderdorf-Stiftung und der Firma Kärcher ist Matthias Reichart da. Seitdem gibt es in der Jugendhilfeeinrichtung in Welzheim mehr Zeit für Einzelbetreuung. Foto: Gottfried Stoppel

In den Räumen der Jugendhilfe im Welzheimer Wald werden Kinder aus schwierigen familiären Verhältnissen betreut. Das Projekt wird unterstützt von der Firma Kärcher.

Daumen hoch auf allen Seiten des Tisches: „Das Essen hier kriegt von mir zehn von zehn Punkten“ sagt Abdul. „Ach was, tausend von zehn!“, ruft Said. Auch Hevana schmeckt’s anscheinend einwandfrei. Ihren Teller jedenfalls hat sie wie all die anderen Kinder leer geputzt und wird gleich wahrscheinlich auch die volle Punktzahl verteilen. Nein? „Nein“, sagt sie selbstbewusst. „Ich gebe heute nur neun – es waren Pilze dabei.“ Da müsse sie dann also doch ein Pünktchen abziehen. Dafür waren der riesige Knödel und der Rote-Bete-Salat echt lecker. Und bei Roter Bete will das echt was heißen. Aber, da ist sich die Rasselbande an der Silcherstraße einig: „Die Salate schmecken immer spitze.“ Und das Essen eigentlich auch. Ob es nun Hamburger, Spaghetti oder eben Knödel mit Pilzrahmsoße sind, die auf den Tisch im Juwel kommen.

Struktur und Perspektiven

Juwel steht für Jugendhilfe Welzheimer Wald und ist eine Kooperation zwischen dem Kreisjugendamt Rems-Murr, der Stadt Welzheim und dem SOS-Kinderdorf Württemberg. In den bunt angemalten Kellerräumen der ehemaligen Bauknecht-Kantine in Welzheim wird zwölf Kindern im Alter zwischen sieben und 13 Jahren ein flexibles ambulantes Gruppenangebot gemacht. An vier Nachmittagen in der Woche bekommen sie dort direkt nach der Schule neben einer warmen Mahlzeit und Hausaufgabenbetreuung auch besondere Angebote. Ziel ist es, Erziehungsdefizite auszugleichen, Verhaltensauffälligkeiten zu beheben und neue Perspektiven für die jungen Menschen zu entwickeln. Die Kinder sollen durch eine Verbindung von Alltagsstrukturierung und pädagogischen Angeboten in ihrer gesamten Entwicklung, Beziehungsfähigkeit und sozialen Kompetenz gefördert werden.

Die Kinder kommen aus schwierigen familiären Verhältnissen, erklärt Einrichtungsleitern Lea Fauser. Im Juwel lernten sie unter anderem Struktur kennen und sich an Regeln zu halten: Erst werden die Hausaufgaben gemacht, dann gibt es ein gemeinsames Mittagessen mit Tischdienst und Abräumdienst. Händewaschen, danach ist Lesezeit, Spielzeit, es wird gebastelt, gewerkelt oder Sport getrieben.

Betreuung und ein warmes Mittagessen

Wer beispielsweise seine Hausaufgaben gut erledigt, wird mit einem Griff in die Schatztruhe belohnt – das wissen alle. „Wenn ich meine Hausaufgaben gut mache, dann bekomme ich einen gelben Punkt“, erklärt Abdul. „Bei zehn gelben Punkten darf ich mir was aus der Schatztruhe aussuchen“, sagt der Achtjährige und zeigt stolz seinen kleinen Ball, den er sich herausgepickt hat. Nicht seine erste Errungenschaft: „Ich bin gerade der Lesekönig, da hinten steht mein Pokal.“ Es ist genau genommen ein Wanderpokal, wer viel liest oder Zeit in der neu eingerichteten Leseecke verbringt, der bekommt ihn verliehen. Das motiviert. Auch Hevana macht erst ihre Schreibübungen fertig, dabei hat sich an diesem Mittag großer Besuch angekündigt. Für den hat Emily sogar Fanta-Schnitten gebacken. Und Abdul einen Zauberstab geschnitzt. Es ist Hartmut Jenner, der Vorstandsvorsitzende des Reinigungsmaschinen-Herstellers Kärcher und Chef von 15 500 Mitarbeitern rund um den Globus. „Für uns als Familienunternehmen ist das hier eine Herzensangelegenheit“, sagt Jenner. 1400 Reinigungsmaschinen habe das Unternehmen bereits an SOS-Kinderdörfer in 40 Ländern gespendet. Doch heute geht es nicht um die Putzmaschinen. Die Kinder in Welzheim und ihre Betreuer stehen an diesem Tag im Vordergrund.

Kärcher übernimmt die Hälfte der neuen Stelle

Seit elf Jahren unterstützt die Firma aus Winnenden das Juwel, unter anderem mit einem jährlichen Zuschuss, der ermöglicht, dass die Kinder kostenlos warmes Essen bekommen. Zubereitet wird es in der Mensa des Schulzentrums Welzheim. Bei Jenners Besuch im vergangenen Jahr hatten sich Lea Fauser und ihr Kollege Felix Schurr Verstärkung durch eine Drittkraft gewünscht. „Die Corona-Pandemie hat auch das Verhalten der Kinder verändert. Wir waren mit unserer Kraft oft am Limit.“ Fausers Wunsch stieß bei Hartmut Jenner auf offene Ohren. „Bringen Sie es auf die Bahn, wir übernehmen die Hälfte der Personalkosten“, hatte er versprochen und Wort gehalten. Seit wenigen Wochen verstärkt Matthias Reichart mit einer Teilzeitstelle das Team. „Eine Hälfte übernimmt Kärcher, die andere die SOS-Kinderdorf-Stiftung“, sagt Rolf Huttelmaier, Leiter des SOS-Kinderdorfs Württemberg.

Bedarf für ein zweites Projekt ist riesig

Als das Juwel 2009 an den Start ging, habe man sich vorgenommen, Kinder aus dem ganzen Welzheimer Wald aufzunehmen. Schnell wurde klar, dass der Bedarf allein in Welzheim so groß ist, dass man das Angebot auf Kinder in Welzheim beschränkt. Fragt man Patrick Jantsch, den Bereichsleiter Ambulante Hilfen beim SOS-Kinderdorf, nach seinem Wunsch, dann wäre es der nach einem zweiten Standort, einer zweiten Jugendhilfeeinrichtung so wie das Juwel. „Der Bedarf ist riesig, die Wartelisten sind lang“, sagt Jantsch. Und auch Rolf Huttelmaier bestätigt: „Wir bekommen beinahe täglich Anfragen von Schulen und vom Jugendamt, ob wir Kinder aufnehmen können.“

Stationäre Tagesgruppen für Kinder und Jugendliche gebe es in Schorndorf, Backnang und Waiblingen von unterschiedlichen Trägern. „Wir könnten uns vorstellen, mittelfristig in Rudersberg eine Einrichtung wie das Juwel zu eröffnen“, sagt Jantsch. Räume wären das kleinere Problem. Das größere sei momentan allerdings die Finanzierung.