Für viele Menschen im Landkreis war das Hochwasser 2024 die verheerendste Flutkatastrophe, die sie je erlebt haben. Foto: erner Kuhnle

Vier Menschen aus dem Kreis Ludwigsburg erinnern sich an das verheerende Hochwasser vor einem Jahr – an überflutete Keller, schlaflose Nächte und an den ermutigenden Zusammenhalt.

Vor einem Jahr wollte der Regen einfach nicht enden. Drei Tage lang – von Freitag bis Sonntag – ließen unaufhörliche Niederschläge die Flusspegel in ganz Baden-Württemberg steigen. Auch im Landkreis Ludwigsburg kam es zu dramatischen Überschwemmungen.

Vier Betroffene blicken zurück: auf die Machtlosigkeit, auf Pfützen, die sich in wenigen Stunden zu Seen verwandelten, auf den muffigen, harten Schlamm, den das Wasser hinterließ. Doch sie erinnern sich auch an eine Solidarität, die im Rückblick mehr Gewicht hat als die Schäden.

Freiberg: Bürgermeister Jan Hambach

Die Landzunge zwischen Neckar und Altneckar in Freiberg stand Anfang Juni unter Wasser. Foto: Werner Kuhnle
Ein Jahr später fahren hier wieder Autos und Fahrradfahrer. Foto: Werner Kuhnle

Am 2. Juni 2024 stand der damals 29-jährige Jan Hambach kurz vor seinem Amtsantritt als Freiberger Bürgermeister. „An diesem Tag sind mein Partner und ich in unsere Wohnung in Freiberg eingezogen, meine Mutter hat geholfen“, erinnert sich Hambach. Zwischen Kartons und Möbelteilen prüfte er immer wieder seine Mails und Wetter-App. „Irgendwann habe ich gesagt: ‘Ich muss da mal kurz vorbeischauen.’“ Aus „kurz vorbeischauen“ wurde ein Tag mit der Feuerwehr, der den Bürgermeister prägte.

Ein Jahr nach dem Hochwasser erinnert sich Hambach noch an die Bilder der überfluteten Schrebergärten, zerstörten Gartenhäuser und den Waldkindergarten, der unter Wasser stand. Auch die Reaktionen der Bürger bleiben im Gedächtnis: ihre gefasste Haltung angesichts der Naturgewalt, aber auch die Unbekümmertheit. „Wir mussten manchen deutlich machen, dass sie nicht so nah ans Wasser gehen sollen.“ Schnell war ihm klar, dass dieses Hochwasser besonders war. „Zwischendurch habe ich meinem Partner und meiner Mutter geschrieben, dass es später werden könnte.“

An diesem Sonntag habe er gesehen, wie die Gemeinschaft in Freiberg funktioniert, wie die Zahnräder ineinandergreifen und wie professionell die Rettungskräfte arbeiten. Besonders beeindruckt war er von den Mitarbeitern der Stadtverwaltung: „Einige waren das gesamte Wochenende im Einsatz – das ist nicht selbstverständlich.“

Es sei beruhigend gewesen, zu sehen, wie die Stadt mit der Krise umgeht. „Gleichzeitig habe ich an diesem Tag auch gespürt, welche Verantwortung da auf mich zukommt.“ Als er am Abend des 2. Juni zu seinem Umzug zurückkehrte, war er erschöpft – und entschuldigte sich erst einmal bei seinem Partner und seiner Mutter. „Sie mussten ja die ganze Zeit ohne mich Möbel aufbauen und einräumen.“

Ludwigsburg: Biergarten-Besitzer Orhan Özbagci

Orhan und Silke Özbagci blicken am ersten Juniwochenende 2024 auf ihren überfluteten Biergarten. Foto: Werner Kuhnle
Ein Jahr später deutet nichts mehr auf das Hochwasser hin. Foto: Werner Kuhnle

Dort wo heute Liegestühle und Sonnenschirme aufgebaut sind, stand vor einem Jahr noch das Wasser. Aus einem braunen Sumpf ragte wie eine Boje eine Palme, ein Stehtisch stand bis zu der Fuß-Ablage im Nassen. Ein Teil des Biergartens Uferstüble wurde überflutet – und dennoch war der Schaden durch die rechtzeitige Vorwarnung vom Neckarschifffahrtsamt überschaubar. „Wir hatten ungefähr zehn Stunden Zeit, unseren Gewölbekeller auszuräumen, haben mehrere Pumpen aufgestellt und alles, was wegschwimmen kann, weggeräumt“, erzählt Orhan Özbagci. Er und seine Frau betreiben seit 23 Jahren den Biergarten in Hoheneck.

Ungefähr um dieselbe Jahreszeit hätten sie vor 11 Jahren schon einmal ein Hochwasser erlebt. „Deshalb wussten wir ungefähr, was uns erwartet“, sagt Özbagci. Trotzdem blieb die Angst, dass es nicht aufhört zu regnen und der Pegel so weit ansteigt, dass auch der restliche Biergarten überflutet wird. Der liegt rund vier Meter über dem Neckarspiegel.

„Hätte es weiter geregnet, hätten wir ein richtiges Problem gehabt“, sagt der 59-Jährige heute. Um vier Uhr nachts, zwei Stunden früher als geplant, sei dann der Scheitelpunkt erreicht gewesen und das Wasser immer weiter angestiegen. Am Tag danach rückte die Stadt an und transportierte den Schlamm ab, der sich überall gesammelt hatte und fest wie Beton wurde.

Danach erlebten Orhan und Silke Özbagci viel Solidarität aus Ludwigsburg. „Die Gastronomie-Kollegen standen direkt parat – haben bei der Vorbereitung und beim Aufräumen und Keller auspumpen geholfen“, erzählt er. Man habe nacheinander geschaut – Konkurrenzdenken Fehlanzeige. „Bei so etwas hält man zusammen.“

Walheim: Feuerwehrkommandant Marko Horwath

Ein Luftbild des Walheimer Zentrums am Nachmittag des 2. Juni – dutzende Keller und Gärten waren geflutet. Foto: Feuerwehr Walheim
Ein Jahr später sind viele Familien immer noch mit Renovierungsarbeiten beschäftigt. Foto: Simon Granville

Die ersten Tage des Hochwassers begannen in Walheim ruhig. „Der Neckar führte zwar Hochwasser, aber eine echte Gefahr war er nicht“, erinnert sich Feuerwehrkommandant Marko Horwath. Doch dann kam der Sonntag, der alles veränderte. Am 2. Juni gegen Mittag öffnete sich westlich von Walheim der Himmel.

Ein Unwetter entlud bis zu 130 Liter Regen pro Quadratmeter – in nur einer Stunde. Der beschauliche Baumbach verwandelte sich in einen reißenden Strom, der nicht mehr in den vollen Neckar abfließen konnte. Er suchte sich seinen Weg durch den Ortskern. „Natürlich hatten wir Pläne für Starkregen“, sagt Horwath. „Aber nicht für so etwas.“

Die Feuerwehr musste sich zunächst zurückziehen, ein Moment, der viele in der Truppe bewegte: „Für einige Kameraden war das schwer zu akzeptieren, wir wollten helfen – bei einigen stand das eigene Haus unter Wasser.“ Erst als sich die Flut langsam zurückzog, konnte die Feuerwehr ausrücken und fand eine einmalige Zerstörung vor. Insgesamt 140 Einsätze wurden gefahren, Keller leergepumpt, Heizungen gesichert. „Da standen Familien, die jahrelang saniert hatten, vor dem Nichts“, so Horwath. „Selbst die ältesten Dorfbewohner sagten: So etwas haben wir noch nie erlebt.“

Und doch bleibt Horwath vor allem die Solidarität im Gedächtnis: „Als ich zum Handyladen in der Feuerwache kam, standen dort rund 100 Bürger – bei Musik und guter Laune – haben Sandsäcke befüllt und abtransportiert.“ In der Katastrophe habe sich das wahre Gesicht Walheims gezeigt: Zusammenhalt, Wärme und Menschlichkeit.„In den Monaten zuvor war viel vom Streit im Gemeinderat die Rede“, sagt Horwath. „Doch wir haben bewiesen, dass dieses Dorf in der Stunde der Not zusammensteht.“

Freiberg: Reitanlagen-Besitzerin Ingeborg Dannenmann

Am Wochenende vor einem Jahr stieg das Wasser entlang des Neckars in Freiberg von Stunde zu Stunde an. Foto: Werner Kuhnle
Ein Jahr später ist das Neckarwasser wieder mehrere hundert Meter entfernt. Foto: Simon Granville

Ingeborg Dannenmann hat in ihrem Leben schon einige Hochwasser erlebt und weiß: Wenn das Wasser kommt, kann man nur abwarten. Die Besitzerin der Freiberger Reitanlage führt seit 2006 den Familienbetrieb mit Gaststätte. Die Vorbereitungen auf das Hochwasser sind immer gleich. Einen Teil der Pferde auf andere Höfe fahren, nervöse Besitzer besänftigen, Geräte, aus denen Öl auslaufen kann, auf den Heuboden karren, Schutzwände stellen, damit sich der Sandplatz nicht in einen Sumpf verwandelt, Strom abstellen. „Wir sind das gewöhnt“, sagt die 70-Jährige gelassen.

Doch 2024 sei eines anders gewesen. Zum ersten Mal sei die Feuerwehr mit Sandsäcken angerückt. „Das war gigantisch, dass so viele helfende Hände da waren, sonst waren wir immer auf uns gestellt“, sagt sie. Als Dank hätten sie anschließend ein kleines Grillfest für die Ehrenamtlichen veranstaltet.

Zwei, drei Tage hätten es gedauert, bis das Wasser wieder abgelaufen sei. Zurück blieben ein hartnäckiger Schlamm und entwurzelte Weiden. Die Pferde konnten den ganzen Sommer nicht auf die Weide, die Reithalle war für einige Wochen unnutzbar. „Wir haben Trockner im Keller aufgestellt, frisch gestrichen, den Hochwasserdamm ausgebessert und geputzt, geputzt, geputzt“, sagt Dannenmann.

Das Problem: Auf den Kosten blieben sie und ihre Familie sitzen – die Reitanlage liegt im Hochwassergebiet und die Versicherung deckt die Schäden nicht ab. Ob sie das wirtschaftlich getroffen habe? „Wir leben nicht davon, das ist unser Hobby-Betrieb“, sagt sie. Aber auf einen Urlaub oder eine neue Anschaffung wie einen Traktor habe man in dem Jahr schon verzichten müssen.

In der Nacht des Hochwassers blieb sie auf dem Hof. „Man sucht sich ein trockenes Plätzchen, beobachtet, steigt oder fällt das Wasser und danach kann man die Ärmel hochkrempeln“, sagt sie. Dabei packte dann die gesamte Familie an, Freunde boten ihre Hilfe an, andere Höfe meldeten sich. In der Not rücken alle zusammen.