Die Lebensgeschichte des Juden Julius Marx klingt wie aus einem Roman. In den Theaterspaziergängen des Pädagogisch-Kulturellen Centrums in Freudental wird er wieder lebendig.
Als Soldat kämpft er für Deutschland im Ersten Weltkrieg und wird mit den höchsten Orden ausgezeichnet, die ein jüdischer Soldat zu jener Zeit bekommen kann. Später wird er ein erfolgreicher Geschäftsmann und gilt in der Branche für Autoteile als einer der größten Konkurrenten von Robert Bosch. 1935 muss er vor den Nazis in die Schweiz fliehen, von wo aus er aktiv im Widerstand arbeitet.
Die Geschichte von Julius Marx klingt fast wie aus einem Roman. Doch Julius Marx ist keine fiktive Figur. Der jüdische Geschäftsmann, Dichter und Kriegsveteran wurde am 27. Februar 1888 in Freudental geboren und nach seinem Tod auf dem dortigen Friedhof beigesetzt.
In den Theaterspaziergängen von Michael Volz vom Pädagogisch-Kulturellen Centrum in der ehemaligen Synagoge in Freudental wird der Charakter Julius Marx wieder lebendig und berichtet aus seinem Leben: von Erfolgen und Rückschlägen, seiner Liebe zur Dichtung, zahlreichen Frauengeschichten, wie er einst zufällig Adolf Hitler begegnete – und wie er angeblich Jahre vor Bosch den ersten „Autowinker“ patentiert hat.
Nach dem Ersten Weltkrieg mit den höchsten Orden ausgezeichnet
Julius Marx ist 26 Jahre alt, als 1914 der Erste Weltkrieg beginnt. Für ihn ist klar: Er möchte an der Front für sein Heimatland kämpfen. Seine Erfahrungen schreibt er in einem Kriegstagebuch nieder, das er später veröffentlicht. „Es war ihm wichtig, zu zeigen, dass die Juden in dieser Zeit keineswegs ,Drückeberger‘ waren, wie man es ihnen in Deutschland oft vorgeworfen hat, sondern genauso für ihre Heimat gekämpft haben“, erzählt Michael Volz.
Doch obwohl er nach dem Krieg die höchsten Auszeichnungen erhält, bleibt er für viele ein Außenseiter. Auch sein Tagebuch wird im antisemitisch geprägten Deutschland nicht veröffentlicht. 1939 erscheint es erstmals bei einem Schweizer Verlag. „Der Gedanke hat ihn immer beschäftigt, dass an der Front alle Kameraden waren, zu Hause aber war er nur ,der Jude‘.“
Einen herben Rückschlag mit seinem Geschäft „Autoteile Marx“ erleidet er in den 1920er Jahren – und das hängt unmittelbar mit dem Unternehmen Bosch zusammen, wenn man Marx’ Memoiren glauben darf. „Einer seiner Mitarbeiter, Friedrich Münz, soll den ersten richtigen ,Autowinker‘ in Deutschland erfunden haben“, erzählt Michael Volz. Die Winker waren Vorgänger der modernen Blinker und sollten bei Betätigung an der Seite hochschnappen, um ein Abbiegen anzuzeigen. Julius Marx lässt die Erfindung damals patentieren.
Eines Tages habe er dann Besuch von Robert Bosch persönlich erhalten, berichtet Michael Volz. „Er wollte Julius Marx das Patent abkaufen. Der wollte aber nicht, schließlich war er schon in Produktion gegangen. Bosch soll ihm daraufhin gesagt haben, dass er das noch bereuen wird.“
Und so kommt es auch: Nach den Aufzeichnungen von Julius Marx wird der Autowinker kurze Zeit später vom Reichsverkehrsministerium verboten, woraufhin er das Patent fallen lässt. Als bald darauf die Winker nicht nur wieder erlaubt, sondern sogar zur Pflicht erklärt werden, hat Robert Bosch sich das Patent bereits gesichert. „Es hat lange gebraucht, bis Julius Marx sich von dem Schlag wieder erholt hat.“
Leider sei es schwer, diese Geschichte zu verifizieren, so Michael Volz. Zu den politischen Entscheidungen zumindest konnte das Bundesarchiv bisher keine Informationen geben. Beim deutschen Patentamt sind unter Marx’ Namen zwar mehrere Patente angemeldet, eines zu Autowinkern oder sonstigen Abbiegevorrichtungen liegt aber nicht vor. Dass Marx das Patent nach eigener Aussage wieder zurückgezogen hat, könnte laut Patentamt aber eine Erklärung für den fehlenden Eintrag sein, ebenso der Umstand, dass er ein Jude war.
Ebenfalls nur aus Marx’ Erinnerungen bekannt ist eine weitere kuriose Anekdote, als er einmal Adolf Hitler begegnet sein soll – allerdings, ohne es zu wissen: 1928 ist Julius Marx zu Besuch in Ingersheim bei einem wichtigen Kunden und Mercedes-Vertreter. „Ein etwas düster aussehender Kerl betrat mit raschen, harten Schritten das Geschäft und wurde von Braunsmaendl wie ein mächtiger Kumpan begrüßt“, schreibt Julius Marx in seinen Memoiren. Und wie dieser „Kerl“ sagt: „Guten Tag, Braunsmaendl, wir befinden uns auf dem Wege nach Berlin. Ich benötige eine Autobrille mit Sonnenschild. In ganz München ist so etwas nicht aufzutreiben.“ Braunsmaendl kann damit nicht dienen, wohl aber Julius Marx. Auf die Frage, wer das war, bekommt er als Antwort: „Das war unser Hitler.“
1935 flieht er vor den Nazis in die Schweiz
Der Aufstieg der Nazis läutet das Ende für Marx’ Zeit in Deutschland ein. Bald muss er sein Geschäft verkaufen – weit unter Wert – und 1935 in die Schweiz fliehen. Doch das ist nicht das Ende seiner bewegten Vita: Noch im Exil baut er sich eine neue Existenz auf und unterstützt Künstler, die ebenfalls vor den Nazis fliehen mussten. Er kommt in der ganzen Welt herum, reist in die USA und nach Israel und betätigt sich nebenbei als Dichter und Schriftsteller.
Nur zwei Dinge bleiben ihm sein Leben lang verwehrt: Infolge einer Kriegsverletzung kann er keine eigenen Kinder bekommen. Und fast ein Leben lang fühlt er sich als Heimatloser. Nur Freudental, dem Ort seiner Kindheit, fühlt er sich bis zuletzt verbunden.
„Das war sehr ungewöhnlich, dass ein Jude, der den Zweiten Weltkrieg überlebt hat, überhaupt noch einen Fuß auf deutschen Boden gesetzt hat“, erklärt Michael Volz. Julius Marx geht sogar noch weiter und lässt verfügen, dass er auf dem Friedhof von Freudental beigesetzt wird, bei seinen Vorfahren. Sein Gedicht „Mein kleines Dorf“, das Freudental gewidmet ist und die Geschichte eines Vertriebenen erzählt, ziert seit jüngstem die Wände der ehemaligen Synagoge.
Mit einem lebendigen Theaterspaziergang, in Kostüm und mit einem echten Mercedes-Oldtimer, lässt Michael Volz die Besucher seiner Führung am Leben von Julius Marx teilhaben. „Ich habe festgestellt, dass die Inhalte bei den Menschen so viel besser hängenbleiben“, erklärt der Leiter des PKC die Gründe für diese besondere Art der Geschichtsaufbereitung. Antisemitismus und die NS-Zeit seien natürlich ein Teil dieser Geschichte. „In erster Linie geht es uns aber darum, zu zeigen, dass jüdisches Leben hier einmal ganz normal war.“