Ein Bild aus dem Jahr 2018: Die deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu (Mitte) kam damals in Begleitung ihres Ehemannes Suat Corlu (links) zu ihrer Gerichtsverhandlung in Istanbul. Foto: dpa/Emrah Gurel

Das Urteil gegen Mesale Tolu fällt fast fünf Jahre nach der Festnahme der Ulmerin in Istanbul. Die Entscheidung, sagt sie, könne die Repressionen und die Zeit in der Haft nicht wiedergutmachen.

Istanbul - Vier Jahre, acht Monate und 20 Tage: Mesale Tolu hat seit ihrer Festnahme in Istanbul im Jahr 2017 jeden Tag mitgezählt. Am Montag schickte die Ulmerin von Deutschland aus per Twitter die genaue Länge ihrer Leidenszeit in die Welt, versehen mit der erleichterten Botschaft: „Freispruch in beiden Anklagepunkten!“ Wenige Minuten zuvor hatte das zuständige Gericht am Bosporus im Prozess gegen sie und mehr als 20 weitere Angeklagte verkündet. Tolus Ehemann Suat Corlu und die meisten anderen Angeklagten wurden ebenfalls freigesprochen, vier Beschuldigte erhielten jedoch Haftstrafen. Auch nach dem Freispruch für Tolu warfen Kritiker der türkischen Justiz vor, mit der Inhaftierung von Bundesbürgern ein „makabres Spiel“ zu treiben.

Das Urteil fiel am 17. Prozesstag in dem mehr als dreijährigen Verfahren. Die Anklage vor der 29. Schwurgerichtskammer in Istanbul gegen die heute 38-jährige Tolu bezog sich auf ihre Übersetzungsarbeit für die linke Nachrichtenagentur Etha und lautete auf Verbreitung von Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Bei einer Verurteilung hätten Tolu bis zu 20 Jahre Haft gedroht.

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Tolus Anwalt Keles Öztürk sagte unserer Zeitung, wie Tolu und ihr Mann seien die meisten Angeklagten freigesprochen worden. Die Freisprüche sowie die Haftstrafen gegen die vier verurteilten Beschuldigten könnten nun vor einer Berufungsinstanz angefochten werden. Da die Anklage zuletzt selbst Freispruch für Tolu beantragt hatte, ist ein Berufungsverfahren in ihrem Fall aber nicht zu erwarten.

Tolu war im April 2017 in ihrer Istanbuler Wohnung festgenommen worden. Sie verbrachte rund acht Monate in Untersuchungshaft, zeitweise lebte ihr damals zweijähriger Sohn Serkan mit ihr im Gefängnis. Als sie Anfang 2018 aus der Haft entlassen wurde, durfte sie vorerst nicht nach Deutschland zurückkehren. Zusammen mit ihrem ebenfalls angeklagten Mann bemühte sie sich darum, ihrem von der Festnahme und der Haft traumatisierten Kind neue Sicherheit zu geben. Leicht war das in der Türkei nicht: Kurz nach Tolus Haftentlassung stürmte die Polizei erneut die Wohnung der Familie und nahm ihren Mann zu einem mehrtägigen Verhör mit. Erst im August 2018 konnte Tolu die Türkei verlassen und nach Deutschland zurückkehren, während in Istanbul der Prozess gegen sie, ihren Mann und die anderen Angeklagten weiterging.

Mesale Tolu besitzt ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft

Tolu absolvierte ein Volontariat bei der „Schwäbischen Zeitung“, bei der sie heute noch arbeitet. Sie ist Tochter türkischer Einwanderer und besitzt ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft.

Weil auch die Staatsanwaltschaft in der Endphase des Istanbuler Verfahrens auf Freispruch plädiert hatte, war das Urteil vom Montag keine Überraschung. Tolu kritisierte die Richter und Staatsanwälte in Istanbul. „In einem Rechtsstaat wäre es zu solch einem Prozess gar nicht erst gekommen“, schrieb sie auf Twitter. „Das Urteil kann die Repressionen und die Zeit in Haft nicht wiedergutmachen.“

In der Türkei werden offenbar mehr als 100 Deutsche festgehalten

Auch Christian Mihr, Geschäftsführer der Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen in Deutschland, kommentierte nach der Teilnahme an der Urteilsverkündung in Istanbul, der Freispruch ändere nichts daran, dass der Prozess „ein Willkürverfahren und ein Beweis für die Nicht-Rechtsstaatlichkeit der Türkei“ gewesen sei. Der Deutsche Journalistenverband (DJV) zeigte sich erleichtert und erklärte, er stehe weiterhin in Solidarität mit allen inhaftierten und verfolgten Journalisten in der Türkei. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Max Lucks, der ebenfalls nach Istanbul gereist war, nannte den Prozess ein „erschreckendes Zeugnis über den Zustand der Justiz und der Pressefreiheit in der Türkei“.

Der SPD-Menschenrechtspolitiker Frank Schwabe sagte unserer Zeitung, die Vorwürfe gegen Tolu seien „von vornherein absurd und inszeniert“ gewesen. „Immerhin scheint die türkische Regierung wieder mehr verstehen zu wollen, wie wichtig es der deutschen Seite ist, dass Deutsche aus der Haft freikommen“, fügte er hinzu. „Aber es bleibt ein makabres Spiel, weil immer wieder neue Personen in Haft kommen. Das muss endlich aufhören.“ Laut einer Mitteilung der Bundesregierung aus dem vergangenen Jahr werden rund 120 Deutsche in der Türkei festgehalten.