Gedenken an den Holocaust ist auf Facebook möglich – aber nur, wenn Nutzer Fotos wie dieses eindeutig distanzierend kommentieren. Foto: Facebook / Screenshot

Am Samstag jährt sich die Deportation von mehr als 1000 Juden aus Stuttgart. Der Betreiber einer beliebten Facebook-Gruppe klagt, dass die Plattform einen Beitrag zum Gedenken daran zensiert. Die Lage ist aber komplizierter.

Stuttgart - Am 22. August 1942 verlässt ein Zug mit mehr als 1000 überwiegend älteren Juden aus ganz Süddeutschland den Stuttgarter Nordbahnhof. Das Ziel ist das Ghetto von Theresienstadt im heutigen Tschechien. Namenslisten der Deportierten finden sich im Internet, die Namen sind auch an der Gedenkstätte beim Nordbahnhof dokumentiert. Selbst die Gebrechlichsten werden in den Zug gepfercht, nur die wenigsten Deportierten werden das Kriegsende überleben: eine schlimme Episode der Judenverfolgung im Dritten Reich.

Sebastian Klimpke erinnert auf Facebook an die Deportation. Er tut das auf seiner Facebook-Seite „Freeguide Stuttgart“, die neben Beiträgen zum Stadtleben und zur Stadtpolitik auf kostenlose Freizeit- und Kulturangebote in Stuttgart hinweist und so mehr als 9000 Anhänger gewonnen hat; Klimpkes auf Gratisevents spezialisierte Facebook-Gruppe „Stuttgart for free“ hat gar mehr als 30 000 Mitglieder. Zum 77. Jahrestag der Deportation veröffentlicht Klimpke am 22. August 2019 einen Beitrag zum Jahrestag, versehen mit dem Hashtag #niewieder sowie dem Bild aus dem Konzentrationslager Theresienstadt, auf dem Lagerinsassen unter dem Schriftzug „Arbeit macht frei“ hindurchmarschieren.

Warum wird der Nutzer gesperrt?

Anfang Juni 2020 wird Sebastian Klimpke von Facebook gesperrt. Er darf weder Posts noch Kommentare veröffentlichen, auch der Zugriff auf seine Seite wird ihm kurzzeitig entzogen. Als er wieder freigeschaltet ist, vermutet er in einem neuen Beitrag, dass Facebook ihn wegen des Beitrags zum Gedenken an die Judendeportation aus dem Jahr 2019 gesperrt habe. Die Kommentare darunter sind überaus kritisch, und mit dem gleichen Verdacht wendet sich Klimpke an unsere Zeitung.

Zensiert Facebook das Gedenken an den Holocaust, nur weil potenziell kritische Fotos zur Illustration genutzt werden? Auf Anfrage bestätigt eine Sprecherin, dass ein Beitrag von Sebastian Klimpke gelöscht und der User Anfang Juni gesperrt worden sei. Allerdings habe das nichts mit dem Beitrag vom vergangenen August zu tun, der ja weiterhin online ist. Vielmehr habe Klimpke ein Foto aus einem Konzentrationslager hochgeladen, diesmal allerdings ohne #niewieder oder einen anderen einordnenden und distanzierenden Kommentar.

Wie Facebook Beiträge prüft

Potenziell problematische Fotos würden von Facebook auch automatisch erkannt, so die Sprecherin. Ein Mitarbeiter prüfe den Fall und entscheidet darüber, ob das Bild entfernt beziehungsweise der User gesperrt wird – wegen eines Verstoßes gegen die Nutzungsbedingungen. „Wenn ein solches Bild ohne einordnenden Kontext geteilt wird, dann entfernen wir es“, sagt die Sprecherin.

Sebastian Klimpke sagt, er könne sich nicht mehr daran erinnern, ob er in jüngerer Zeit das Bild aus dem KZ ohne Kommentar freigeschaltet hat. Klimpke sowie die von ihm betriebene Seite sind jedenfalls nicht verdächtig, Nazipropaganda zu verbreiten oder den Holocaust zu leugnen – im Gegenteil. Das sieht auch die Facebook-Sprecherin so: „Allerdings können unsere Mitarbeiter nicht bei jeder möglichen Meldung eines Inhalts die komplette Seite überprüfen.“

So zeigt die Geschichte vor allem, wie Facebook mittlerweile die auf der Plattform hochgeladenen Inhalte teilautomatisch überwacht. Über weitergehende Maßnahmen entscheiden Mitarbeiter, allerdings wird die Entscheidung für die betroffenen User typischerweise nicht begründet. Auch gibt es keine echte Beschwerdemöglichkeit. Das moniert Sebastian Klimpke, deshalb hatte er Facebook zunächst der Zensur beschuldigt.

Ende gut, alles gut? Der Beitrag zum 78. Jahrestag der Deportation, sagt Klimpke, sei für diesen Samstag schon vorbereitet – samt eindeutigem Kontext.