Benjamin Netanjahu (M), Vorsitzender der Likud-Partei und ehemalige Ministerpräsident von Israel, verlässt ein Wahllokal. Foto: dpa/Ilia Yefimovich

Israels Oppositionsführer Netanjahu hat lange auf eine Rückkehr als Regierungschef hingearbeitet. Nach Prognosen bei der Parlamentswahl könnte ihm dies nun gelingen - mit Hilfe von ultrarechten Kräften. Doch es wird knapp.

Nach mehr als einem Jahr Opposition könnte Benjamin Netanjahu laut Prognosen in Israel vor einer Rückkehr ins Amt des Ministerpräsidenten stehen. Bei der fünften Parlamentswahl binnen dreieinhalb Jahren erzielte das rechts-religiöse Lager um den 73-Jährigen demnach eine knappe Mehrheit von 61 bis 62 von 120 Sitzen. Seine rechtskonservative Likud-Partei wurde mit 30 bis 31 Sitzen stärkste Kraft. Direkt dahinter kommt nach den Prognosen die Zukunftspartei von Ministerpräsident Jair Lapid mit 22 bis 24 Sitzen. Frühere Wahlen haben gezeigt, dass sich das Bild bis zur Auszählung aller Stimmen noch verschieben kann. Das Endergebnis wird nicht vor Donnerstag erwartet.

Auf den dritten Platz schaffte es zum ersten Mal in der Geschichte Israels ein rechtsextremes Bündnis. Die Religiös-Zionistische Partei von Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir kommt laut den Prognosen auf 14 bis 15 Sitze und gilt als möglicher Königsmacher.

Erfolg sei ein „guter Anfang“

Netanjahu sagte nach den Prognosen, der Erfolg sei ein „guter Anfang“. Der endgültige Ausgang der Wahl werde sich jedoch erst nach Auszählung aller Stimmen zeigen. Von Likud-Anhängern hatte es zuvor Vorwürfe über angebliche Fälschungsversuche bei der Abstimmung im arabischen Sektor gegeben. Das Zentrale Wahlkomitee teilte dagegen mit, es seien „keine außergewöhnlichen Vorfälle im arabischen Sektor bekannt“.

Die arabische Partei Balad befindet sich laut den Prognosen knapp unter der 3,25-Prozent-Hürde. Sollte ihr doch noch der Sprung ins Parlament gelingen, könnte dies demnach Netanjahus Mehrheit gefährden.

Bis zum Abend zeichnete sich bei der Wahl eine außergewöhnlich hohe Wahlbeteiligung ab. Nach Angaben des Zentralen Wahlkomitees lag die Beteiligung der 6,8 Millionen Wahlberechtigten bis 21.00 Uhr (MEZ) bei 71,3 Prozent. Das sind fast vier Prozentpunkte mehr als zum gleichen Zeitpunkt bei der letzten Wahl im März vergangenen Jahres.

Zwei große Lager - Ja-Bibi vs. Nein-Bibi

Für Netanjahu mit dem Spitzenamen „Bibi“ war es politisch und persönlich eine Schicksalswahl: Eine rechtsreligiöse Regierung könnte ihm durch Gesetzesänderungen dabei helfen, seinem derzeit laufenden Korruptionsprozess zu entkommen. Er hatte das Bündnis von Smotrich und Ben-Gvir gezielt vermittelt und den Rechtsextremen damit zum Aufstieg verholfen. Ben-Gvir bekräftigte bei der Stimmabgabe am Dienstag, er wolle Minister für Innere Sicherheit werden.

Der 46-jährige Rechtsanwalt wurde in der Vergangenheit wegen rassistischer Hetze verurteilt und spricht sich unter anderem für die Deportation von Arabern aus, „die gegen den Staat Israel sind“. Ihm wurde auch immer wieder vorgeworfen, den Konflikt mit den Palästinensern gezielt anzuheizen. Zuletzt zog er bei Konfrontationen in Ost-Jerusalem selbst eine Waffe.

Smotrich sagte nach der Wahl, seine Partei habe „Geschichte geschrieben“. Er hoffe auf „die Einrichtung einer rechten, jüdischen, zionistischen und nationalen Regierung“. Seine Anhänger feierten ihn bereits als „den neuen Verteidigungsminister“.

Regierungsbildung könnte dauern

Das Anti-Bibi-Lager um Lapid kam den Prognosen zufolge auf 54 bis 55 Sitze. Es umfasst Parteien vom rechten bis zum linken Spektrum - es eint vor allem der Wille, eine Rückkehr Netanjahus zu verhindern.

Arabische Partei vertreten

In seiner Regierung war erstmals auch eine arabische Partei vertreten. Der arabischen Minderheit wurde vor der Wahl ein großer Einfluss auf das Endergebnis zugerechnet. Sie macht etwa 20 Prozent der rund 9,4 Millionen Bürger Israels aus. Den Prognosen zufolge knackten mindestens zwei der drei arabischen Parteien die 3,25 Prozent-Hürde. Es scheint jedoch unwahrscheinlich, dass es Lapid - wie im vergangenen Jahr - gelingt, eine Koalition mit einer Mehrheit zu schmieden.

Nach der Wahl bestimmt Präsident Izchak Herzog, wer den Auftrag zur Regierungsbildung erhält. Der Kandidat hat dann vier Wochen Zeit, eine Koalition zu bilden. Wie nach der Wahl im letzten Jahr könnte es Wochen oder Monate dauern, bis eine Regierung steht. Solange bleibt Lapid im Amt. Sollte eine Regierungsbildung scheitern, könnte eine weitere Neuwahl im nächsten Jahr anstehen.

Israels politische Dauerkrise

Die Parteienlandschaft in Israel ist stark zersplittert und interessengeleitet. Auch Parteien aus ähnlichen Lagern sind oft nicht bündnisfähig. Neben inhaltlichen Differenzen liegt dies auch an persönlichen Streitigkeiten. So gilt etwa Netanjahus Verhältnis zu anderen Hauptfiguren des rechten Lagers als extrem schlecht.

Israel befindet sich seit 2019 in einer Dauerkrise. Die vergangenen Wahlen hatten oft zu unklaren Mehrheitsverhältnissen geführt. Die aktuelle Acht-Parteien-Koalition unter Ministerpräsident Naftali Bennett war im Juni zerbrochen, nachdem sie nach nur zwölf Monaten ihre Mehrheit verloren hatte. Im Anschluss übernahm Außenminister Lapid den Posten des Regierungschefs.