Für Kinder, die zuhause nicht Deutsch sprechen, ist das Lernen in der Schule schwerer. Foto: imago/Joker

Das Leistungsniveau der baden-württembergschen Grundschulen sackt weiter ab. Die Viertklässler sind in Deutsch und Mathe schlechter geworden, und das liegt nicht nur an Corona. Das Wichtigste einer neuen Vergleichsstudie im Überblick.

Das Bildungsniveau der Viertklässler in Baden-Württemberg hat sich laut der jüngsten Vergleichsstudie des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) weiter verschlechtert. Die getesteten Grundschüler schnitten 2021 sowohl beim Lesen, Zuhören und Rechtschreiben als auch in Mathematik schlechter ab als bei den vorherigen Bildungsstudien 2016 und 2011. In ganz Deutschland ist in den vergangenen fünf Jahren das Leistungsniveau in allen gemessenen Disziplinen gesunken, insoweit liegt Baden-Württemberg im Trend. Erklärt wird diese Entwicklung zum Teil durch Fern- und Wechselunterricht während der Pandemie. Allerdings spielen auch andere Faktoren eine Rolle.

Was sind die Haupttrends im Land?

Während Bayern und Sachsen ihren Spitzenplatz im Ländervergleich trotz Einbußen in den vergangenen fünf Jahren souverän gehalten haben, haben die Bildungsleistungen Baden-Württembergs sich durchgängig weiter nach unten nivelliert. Anders als in früheren Zeiten können die Schulen im Südwesten sich vom Bundesdurchschnitt nicht mehr abkoppeln. Die Vergleichstests sind 2021 für den Südwesten auf ganzer Linie mittelmäßig ausgefallen. Das Land liegt mit leichten Ausschlägen nach unten ziemlich exakt im Bundesdurchschnitt.

Was ist die überraschendste Nachricht?

Mittlerweile hat die Hälfte der Viertklässler in Baden-Württemberg (49 Prozent) einen Zuwanderungshintergrund. Das ist nach Bremen mit 58 Prozent der zweithöchste vom IQB bei dieser Studie gemessene Wert. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 38 Prozent. In Bayern ist nur jeder dritte Grundschüler zugewandert. Schon vor fünf Jahren hatte der Südwesten – damals mit 44 Prozent – den höchsten Migrationsanteil bei den Viertklässlern von allen Flächenländern.

Eine starke Migration macht das Lehren und Lernen nach Einschätzung der Bildungsforscher kompliziert. Bundesweit sind die Leistungen bei Kindern mit Zuwanderungshintergrund schlechter als bei ihren Klassenkameraden ohne Einwanderungsgeschichte. Das gilt vor allem, wenn die Familiensprache zuhause nicht Deutsch ist. Ein Beispiel: Beim Zuhören sind Schüler, die ebenso wie ihre beiden Eltern im Ausland geboren sind, bundesweit um 146 Punkte schlechter als Kinder ohne Zuwanderungshintergrund. Das entspricht einem Leistungsrückstand von mehr als zweieinviertel Schuljahren. Auch in Baden-Württemberg sind die Unterschiede zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund enorm. Sie schwanken zwischen 72 Punkten in Mathematik und 123 Punkten im Zuhören.

Allerdings geben diese Zahlen noch nicht das ganze Ausmaß der Lernmisere wieder, die durch mangelnde oder fehlende Deutschkenntnisse entstehen: Denn Schüler, die weniger als ein Jahr Deutschunterricht hatten, waren beim IQB-Leistungstest gar nicht dabei.

Wie hat sich die Leistung entwickelt?

Wenn drei Viertel eines Schuljahres kein regulärer Unterricht stattfindet, hinterlässt das Spuren. Bundesweit gab es von März 2020 bis Sommer 2021 im Schnitt 32 Wochen Fern- und Wechselunterricht. Mit kausalen Schlussfolgerungen halten die IQB-Forscher sich zwar zurück. Aber sie gehen schon davon aus, dass „sich die Pandemiesituation auf den Kompetenzerwerb der Viertklässler ausgewirkt hat“.

Das ist auch in Baden-Württemberg der Fall, wo die durchschnittlichen Leistungen der Schülerinnen und Schüler sich beim Lesen seit 2016 um 24 Punkte verschlechtert haben; in der Fünf-Jahresperiode davor waren es 13 Punkte. Zur Einschätzung: 60 Punkte entsprechen im Lesen und Zuhören dem durchschnittlichen Lernfortschritt pro Schuljahr. Konnten die baden-württembergischen Schüler (505 Punkte) im Jahr 2011 mit gewissen Abstrichen noch mit ihren Altersgenossen in Bayern (515 Punkte) mithalten, verloren sie danach den Anschluss: 2016 lagen die Kinder im Land schon um 22 Punkte hinter den Bayern, 2021 sind es 28 Punkte. Der Negativtrend im Land hat vor der Pandemie begonnen und sich im Lauf des vergangenen Jahrzehnts deutlich verstärkt. Das Leistungsniveau in Baden-Württemberg liegt damit im Lesen näher bei Brandenburg, dem Schlusslicht unter den Flächenländern, als beim Spitzenreiter Bayern.

Wo versagen die Schulen richtig?

Die Grundschulen schaffen es immer weniger, den Kindern die nötigen Mindestkenntnisse in allen wichtigen Bildungsdisziplinen zu vermitteln. Dabei müssen diese Mindeststandards, wie die IQB-Forscher klar formulieren, alle Kinder erreichen. In Baden-Württemberg verfehlen rund zwanzig Prozent der Viertklässler beim Lesen, Zuhören und in Mathematik diesen Mindeststandard. Der Anteil hat sich beim Lesen und in Mathematik seit 2011 verdoppelt, beim Zuhören sogar vervierfacht. Rechtschreibung ist ein Sonderfall, weil die Leistungen bundesweit noch einmal deutlich schlechter sind als in den anderen Testbereichen: 28 Prozent der Schüler im Land verfehlen bei der Orthografie die Mindestanforderungen. Hinzu kommen noch einmal 22 bis 25 Prozent der Schüler, die den Mindeststandard gerade erreichen.

Auch bei den mittleren und guten Schülern schneidet Baden-Württemberg schlechter ab als in den Vorjahren. Bei der aktuellen Studie erreichen knapp 57 Prozent der Schüler mindestens ein mittleres Leseniveau – nach 63 Prozent vor fünf und 69 Prozent vor zehn Jahren. Beim Zuhören ist der Anteil von 77 Prozent (2011) auf 67 Prozent (2016) und 57 Prozent in der aktuellen Studie gefallen. In Mathematik sind heute gut die Hälfte der Schüler (56,3 Prozent) durchschnittlich oder besser. Vor fünf Jahren waren es noch 63, vor zehn Jahren 73 Prozent.

Wie steht es um die soziale Gerechtigkeit?

In Baden-Württemberg ist der Zusammenhang zwischen Herkunft und Bildungserfolg in den letzten zehn Jahren gewachsen, in der zweiten Testperiode seit 2016 aber nicht mehr so stark wie zuvor. Der Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status der Familie und dem Lernerfolg liegt im Südwesten beim Lesen, Zuhören und bei der Mathematik ziemlich exakt im Bundesdurchschnitt. Beim Rechtschreiben schlägt die Herkunft im Land noch etwas stärker auf die Leistung durch als im Bundesschnitt. Im Südwesten wie bundesweit haben sich die sozialen Disparitäten in den letzten fünf Jahren verstärkt, schreiben die Forscher um die IQB-Chefin Petra Stanat in ihrem Bericht. Dass allein die pandemiebedingten Beeinträchtigungen das verursacht haben, schließen die Bildungswissenschaftler so gut wie aus. Bei den Negativtrends, die bundesweit von 2016 bis 2021 aufgetreten seien, „könnte es sich teilweise um eine Fortsetzung dieser Entwicklungen handeln, die auch ohne Pandemie aufgetreten wären“. Sie fordern die Kultusminister auf, die Mindeststandards zu präzisieren und bei der Schulentwicklung stärker zu gewichten. Außerdem müsse die frühkindliche Bildung gestärkt werden, um Kindern mit ungünstigen Lernvoraussetzungen bessere Chancen zu eröffnen.

Was ist der IQB-Bildungstrend

Studie
Der Bildungstrend wird seit 2011 in Deutschland regelmäßig erhoben. Das Ziel ist, festzustellen, wie gut oder schlecht die Schulen den Schülern in den Lehrplänen vorgegebenen Bildungsziele erfüllen können. Es geht bei diesen Vergleichsstudien nicht in erster Linie um die Leistungen der Schüler. Stattdessen wollen die Wissenschaftler im Auftrag der Kultusministerkonferenz herausfinden, wie gut die Schulen ihren Job machen.

Testdesign
Zum dritten Mal waren 2021 die Leistungen der Viertklässler Gegenstand der Untersuchung. Getestet wurden knapp 27 000 Schülerinnen und Schüler an fast 1500 Schulen in Deutschland. Mecklenburg-Vorpommern konnte nicht teilnehmen, weil dort zum Testzeitpunkt die Schulen coronabedingt noch geschlossen waren.