Julia Lück-Benz forscht zum Coronajournalismus. Foto: Lück-Benz/privat

Julia Lück-Benz hat das Lehrbuch „Statistik für Journalist:innen“ geschrieben und forscht an der FU Berlin zur Rolle des Datenjournalismus in der Pandemie. Wie fällt ihr Fazit aus?

Frau Lück-Benz, inwiefern hat Corona den Journalismus verändert?

Corona war ein Lernprozess für Journalisten wie auch das Publikum. Das hatte im Wesentlichen mit Daten zu tun: Auf welche Zahlen schauen wir, wie kommen sie zustande, was lässt sich aus ihnen ableiten? Man konnte die Coronazahlen nicht ignorieren, weil sie so unmittelbar für das Leben relevant waren. Mittlerweile liest man sie wie den Wetterbericht. Bis es so weit war, musste der Journalismus viel erklären.

Ist das geglückt?

Welche Kennziffern als relevant erachtet werden, hat sich im Laufe der Pandemie verändert. Zu erklären, was jeweils dahinter steckt, und die Werte mit Grafiken zu vermitteln – das ist dem Journalismus im Großen und Ganzen gut gelungen. Die Gegenmaßnahmen hat er nicht so gut begründet, so wie auch die Politik. In Corona-Berichterstattung gab es nur wenige Beispiele in der Art: Masken tragen verhindert soundso viele Infektionen und ist deshalb notwendig. Wobei das vielfach auch mit der mangelnden Datenbasis zusammenhing.

Journalisten wurde vorgeworfen, sie seien wie selbstverständlich im „Team Vorsicht“. Zu Recht?

Nicht zuletzt der Datenjournalismus hat Daten veröffentlicht und erklärt und damit zumindest indirekt auch die von der Politik erlassenen Regeln begründet. Dabei ist die Watchdog-Rolle in den Hintergrund getreten, also der Wille zu Kritik und Kontrolle. Man kann aber keineswegs sagen, dass es null Debatte zu den Coronamaßnahmen gab. Diese wurde dann vielleicht eher in den Kommentarspalten als in der datenjournalistischen Berichterstattung geführt.

War der Journalismus auf die Verarbeitung der vielen Daten vorbereitet?

Größere Redaktionen hatten die technischen und personellen Ressourcen, mussten sich aber auch erst auf die neue Situation einstellen. Kleinere Redaktionen leisten sich mittlerweile vielfach zumindest datenjournalistische Einzelkämpfer, für die die Herausforderung entsprechend noch größer gewesen ist.

Das sind die einst von einem Fachmedium so bezeichneten „Nerds im Newsroom“. Reicht das?

Nicht, wenn alle anderen wie das Häschen vor der Schlange gegenüber Zahlen zurückschrecken. Der Umgang mit Zahlen und Statistikquellen sollte für jeden Journalisten zum Handwerk gehören. Denn Kennzahlen spielen überall eine Rolle. Damit müssen auch Lokal-, Sport- und Kulturjournalisten umgehen können, wenn sie ihre Watchdog-Rolle ausüben wollen.

Auch Fake News argumentieren manipulativ mit Daten. Wie geht man souverän damit um?

Man muss immer anschauen, mit welcher Methode Zahlen erhoben wurden. Journalismus sollte den Wahrheitsanspruch von Zahlen nicht unreflektiert transportieren, sondern auch Einschränkungen berichten. So lässt sich Kritik leichter entwaffnen.

Wie ist die Datenkompetenz beim Publikum?

Sie könnte vermutlich besser sein. Data Science und Künstliche Intelligenz machen große Fortschritte, etwa bei automatisierten Analysen und Entscheidungen. Der Großteil der Bevölkerung kommt da nicht hinterher. Das ist eine Aufgabe für den Journalismus, als Vermittler die Entwicklungen darzustellen.

Christian Drosten hat gesagt, Datenjournalisten seien angenehmere Gesprächspartner als Politikkorrespondenten. Braucht es nicht beides?

Zu Beginn der Pandemie war die Coronadebatte nachgewiesenermaßen sehr unemotional. In so einem Ausnahmezustand ist mir ein um eine faktengestützte Debatte bemühter Journalismus lieber. Im Alltagsgeschäft kommt es auf eine gesunde Mischung an.