„Nicht klein beigeben“: Dieter Nuhr Foto: dpa/Henning Kaiser

Lachen als Therapie: Dieter Nuhr gilt vielen als Deutschlands erfolgreichster Kabarettist. Doch seit einiger Zeit ist das Geschäft für ihn rauer geworden. Regelmäßig lauert der Shitstorm, verlangen Aktivisten seine Absetzung.

Düsseldorf - Er ist Kabarettist, Comedian, Bestseller-Autor und erfolgreicher Fotograf. Dieter Nuhr, der „Neuen Zürcher Zeitung“ zufolge „Deutschlands erfolgreichster wie meistgehasster Kabarettist“, wird am nächsten Donnerstag (29. Oktober) 60 Jahre alt. Geboren ist er in Wesel, aufgewachsen in Düsseldorf. Dort hat er immer noch eine Wohnung.

Herr Nuhr, wie feiern sie Ihren 60.?

Normalerweise sind wir an meinem Geburtstag immer irgendwo in der Welt auf Reisen. Diesmal werden wir wohl in Italien sein. Feiern kann man ja nicht. Man kann gerade nicht 100 Leute zusammentrommeln. Das ist halt so in diesen Tagen.

Vor zehn Jahren haben Sie sich über Leute beklagt, die ihnen vorschreiben wollen, wie sie zu leben haben. Ist es seither schlimmer geworden?

Es ist flächendeckender geworden. Es gibt kaum noch ein Thema, bei dem nicht Leute fordern, dass man den Mund hält und dass einem die Sendung weggenommen wird. Für mich ist das aber kein so großes Problem wie für andere. Ich kann mich wehren. Bei jungen Künstlern ist das anders.

Werden Sie auch körperlich bedroht?

Nein, der Shitstorm ist ja die humane Variante des Mundtotmachens. Es geht um Berufsverbote, um das Nichtengagieren von Künstlern, um Mobbing. Aber man weiß natürlich nicht, wo diese Entwicklung hingeht.

Im Sommer hatten Sie Ärger mit einem Beitrag für die Deutsche Forschungs-Gemeinschaft (DFG), der eigentlich unangreifbar scheint.

Dachte ich auch. Das war für die DFG eine neue Erfahrung, wie es in der Öffentlichkeit zugeht. Das mag ich denen aber gar nicht vorwerfen. Für mich ist das zentrale Problem der Cancel Culture (also einer Absage- oder Boykottkultur), dass es nicht um das Gesagte geht, sondern darum, Personen aus dem öffentlichen Raum zu entfernen. Bei meiner Arbeit geht es im Wesentlichen um Spaß. Seit einiger Zeit wird aber von ihr gesprochen, als sei ich ein politischer Kämpfer, der besonders polarisierende Dinge von sich gibt. Das finde ich eigentlich nicht. Sehr viel von dem, was ich sage, sind Selbstverständlichkeiten für eine große Mehrheit in unserem Land.

Aus welchem Spektrum kam die Kritik an Ihrem DFG-Beitrag?

Das sind Leute, die behaupten, ich dürfe nicht für die Wissenschaft sprechen, ich wäre ein Wissenschaftsleugner. Ich bin auch schon als Corona- und Klimawandel-Leugner bezeichnet worden. Das ist unfassbar, mit welchen Etiketten man belegt wird. Ich bin weder Corona- noch Klimaleugner, ich bin ja kein Idiot. Es geht mir um eine differenzierte Sicht auf die Dinge. Sind die Maßnahmen gegen den Klimawandel die richtigen, sind sie zielführend, wie ist die Kosten-Nutzen-Statistik? Da mache ich mich dann gerne lustig über Fetische und ineffiziente Dinge. Und da wird man dann schnell zum Feind.

Geärgert hat viele Ihre rhetorische Frage, was Greta Thunberg eigentlich im Winter macht: „Heizen kann es ja nicht sein“.

Ja, aber Heizen ist tatsächlich ein Problem. Als wäre ein Systemwechsel einfach so zu machen. Die globale Wirtschaftsweise zu ändern, ist wahnsinnig schwierig, ohne auf der anderen Seite wahnsinnig viel Leid zu erzeugen bei denen, die aus dem Produktionsprozess dann rausfallen. Es kann nicht die Alternative sein, dass wir uns wie Greta in ein Segelboot setzen. Ich bewundere sehr, wie dieses Mädchen sich einsetzt – mit welchem Idealismus und mit welcher Härte gegen sich selbst. Aber wir haben eine ganz schwierige Problemlage, was den Klimawandel angeht. Abstellen, Aufhören, Stoppen alleine kann es nicht sein. Das führt zu viel zu großen Opfern. Wir sehen ja gerade bei Corona, was passiert, wenn wir nur sechs Wochen die Weltwirtschaft abstellen, wie viele Millionen Menschen da in Armut fallen. Aber es wird nur darüber diskutiert, ob ich einen Witz über Greta machen darf, die damals mächtigste und wichtigste Frau der Welt.

Sie werden auch angefeindet, weil Sie gegen gendergerechte Sprache sind.

Ja, die benutze ich nicht. Der grammatikalische Artikel hat im Deutschen mit dem Geschlecht des Bezeichneten nichts zu tun. Daraus abzuleiten, ich hätte nichts übrig für die Gleichberechtigung und die Freiheit aller Lebensentwürfe, das kann nur böswillig gemeint sein. Bestimmte Gruppen beanspruchen da für sich die Hoheit über die Zeichen, die Herrschaft über die Sprache. Diese Leute glauben, man müsse die Sprache ändern, damit sich die Realität ändert. Das ist unbelegter ideologischer Krempel, der jeder Grundlage entbehrt. Ich habe noch kein einziges Argument dafür gehört, dass, wenn ich ein „-innen“ anfüge, dies die Stellung von Frauen oder Trans-Personen in der Gesellschaft ändern würde. Dieser Glaube, die Realität würde sich der Sprache anpassen, ist ja ohne jeden Beleg und ein Zeichen für ideologischen Kontrollwahn.

Seit wann weht Ihnen der Wind so ins Gesicht?

Gute Frage. Irgendwann wurde entdeckt, dass ich das kabarettistische Klischee verlassen habe. Natürlich ist jeder gegen den Klimawandel, aber wenn man anfängt, darüber nachzudenken, was man wirklich dagegen tun kann, verlässt man oft schon die gemeinsame Basis. Dann wird man vom Freund plötzlich zum Feind. Wenn ich einen Grünen kritisiere, bin ich sofort ein Klimaleugner, wenn ich die AfD kritisiere, bin ich ein Volksverräter. Drunter macht es keiner mehr. Skandalisierung ist der Normalzustand unserer Auseinandersetzung geworden. Dass ausgerechnet ich da ständig mitten drin bin, hat wahrscheinlich damit zu tun, dass ich ideologisch nicht leicht verortbar bin.

Wenn Kollegen wie Volker Pispers Sie angehen, der Sie als „humoristischen Arm der Pegida-Bewegung“ bezeichnet hat, trifft Sie das?

Ich habe mich niemals pro Pegida oder AfD geäußert, ich lasse keine Gelegenheit aus, um meine größtmögliche Distanz zu diesem Haufen zu demonstrieren. Wenn mich jemand so etikettiert, tut er das wider besseres Wissen, um einen Andersdenkenden zu diffamieren und aus dem Diskurs zu entfernen. Das ist schäbig, aber üblich heute.

Sie haben Fehler eingeräumt. Was würden Sie heute anders machen?

Wenn Dinge nach sieben, acht Monaten wieder rausgeholt werden, erscheint vieles von damals als Fehler, weil man inzwischen weiter ist. Wenn ich 2010 von „dem Islam“ gesprochen habe, war das am Anfang einer Diskussion. Heute würde ich das ganz anders differenzieren. Das Internet vergisst aber nicht, und da muss man aufpassen, nicht von den falschen Leuten vereinnahmt zu werden. Als ich mich auf einen Aufruf von 100 Lungenärzten bezog, die sich gerade zur Luftverschmutzung geäußert haben, kam hinterher raus, dass die sich bei ihren Berechnungen um eine Null vertan hatten. So etwas ist ärgerlich, konnte ich aber nicht ahnen. Da war natürlich Aufruhr. Dabei hatte die Fehlberechnung auf die Grundaussage des Aufrufs, nämlich dass Stickoxide kaum Einfluss auf unsere Lebenserwartung haben, sondern dass die Feinstäube das zentrale Problem sind, gar keinen Einfluss. Dennoch wurde mir Vorwürfe gemacht, auf das falsche Pferd gesetzt zu haben. Da kann man nichts machen.

Sie waren lange Mitglied der Grünen. Heute werden Sie als konservativer Liberaler verortet. Widersprechen sie dem?

Ja. Natürlich. Ich halte stete Veränderung für einen wesentlichen Motor meines Handelns. Ich bin weit weniger konservativ als die meisten, die mir Konservatismus vorwerfen. Ich glaube, es gibt nichts Konservativeres als Teile der Linken, die mit Methoden des 19. das 21. Jahrhundert gestalten möchten.

Ist diese neue Hysterie ein Social-Media-Phänomen?

Natürlich hat das damit zu tun, dass jeder jetzt eine Art Flüstertüte hat, mit der er sich bemerkbar machen kann. Aber viele Medien, die man früher als Alternative dazu hatte, sind inzwischen Verstärker dieses Wutbürgertums, indem sie morgens die Twitter-Trends checken. Was da getrendet hat, landet dann in der Zeitung. Leider machen sich die alten Medien damit überflüssig.

Ermüdet Sie diese Hysterie manchmal?

Oft. Ich kann es aber nicht ändern. Das sind eben die Rahmenbedingungen heute. Es ist nicht berechenbar, wann der Shitstorm wieder losgeht. Dass meine Sicht der Dinge als derart polarisierend wahrgenommen wird, ist einfach lächerlich, weil ich eigentlich die Dinge nur weiterdenke und nicht radikalisiere. Ich halte den Dauershitstorm für ein schlimmes Symptom, weil er zeigt, wie sehr sich die Bereitschaft verringert hat, andere Denkansätze als bereichernd zu empfinden.

Schon mal daran gedacht, nur noch zu fotografieren?

Nein, im Gegenteil. Ich halte es für wichtiger denn je, mitzureden, nicht klein beizugeben. Je größer die Lautstärke wird, für umso wichtiger halte ich nachdenkliche Stimmen. Und, ehrlich gesagt, halte ich mich für eine nachdenkliche Stimme, auch wenn in der Zeitung steht: „Nuhr wütet wieder“ – das ist sowieso immer gelogen. Ich wüte nie. Ich spreche in der Regel ruhig und bedacht. So geht heute skandalisierender Journalismus, Clickbaiting. Leider muss man in vielen Tageszeitungen einen Kulturverfall diagnostizieren, was das angeht. Viele Menschen sehen sich dort mit ihrer Haltung zum Leben nicht mehr repräsentiert. Für die bin ich ein wesentlicher Faktor. Meine Arbeit besteht darin, mit Humor zu verarbeiten, was da draußen gerade los ist. Ich versuche, mit Freude an der Auseinandersetzung auf lustige Art Nachdenklichkeit zu erzeugen. Ich glaube, dass deswegen so viele Leute meine Sendung gucken.

ZUR PERSON: Dieter Nuhr hat in Essen Kunst und Geschichte auf Lehramt studiert. Sein erstes Soloprogramm „Nuhr am Nörgeln“ brachte er 1994 auf die Bühne. Er hat den Deutschen Kleinkunstpreis und fünf Mal den Deutschen Comedypreis gewonnen. Mehrfach moderierte er den ZDF-Jahresrückblick. In der ARD läuft seine Satire-Sendung „Nuhr im Ersten“.