Annemarie Fuckel aus Frankfurt hat ihre Berufung gefunden: die Geburtsfotografie und ihren Job als Doula. Wie sie beides vereint und wie es zu ihrem Gewinnerfoto beim Wettbewerb der internationalen Vereinigung der Geburtsfotografen kam, erzählt sie im Interview.
Unter den diesjährigen Gewinnern des Geburtsfotografie-Wettbewerbs der International Association of Professional Birth Photographers (IAPBP) ist auch die 24-jährige Annemarie Fuckel aus Frankfurt. Ihr Foto mit dem Titel „Crossing the veil“ wurde zum Bild des Jahres gekürt. Eines ihrer Fotos („Peaceful arrival“) kam auf den ersten Platz in der Kategorie „Bestes Foto nach der Geburt/ Schwarz-Weiß“, weitere Fotos schafften es in anderen Kategorien in die Top 20. Hier erklärt sie, wie sie zur Geburtsfotografie kam und was für sie den besonderen Reiz ausmacht.
Frau Fuckel, herzlichen Glückwunsch! Ihr Foto „Crossing the veil“ ist das Foto des Jahres 2023 in einem internationalen Wettbewerb. Wieso haben Sie diesen Titel gewählt?
„Veil“ heißt ins Deutsche übersetzt „die Glückshaube“ und bedeutet, dass das Kind komplett in die Fruchtblase eingehüllt ist. Das ist leider etwas sehr Besonderes, dass ein Kind in der kompletten Fruchtblase geboren wird. Denn es geschieht vor allem bei Geburten, die interventionsfrei abgelaufen sind und bei denen nicht oder kaum vaginal untersucht wurde. „Crossing“ bedeutet für mich Initiation, eine Schwelle übertreten. Das passiert auf diesem Foto auf so vielen Ebenen: das Kind betritt eine neue Welt, wenn die Hebamme die Fruchtblase öffnet. Auch die Mutter wird in diesem Moment neu geboren. Sie geht eine ganz neue Rolle als Mutter ein.
Wie kamen Sie zur Fotografie, und wie war speziell Ihr Weg zur Geburtsfotografie?
Die Geschichte ist ein bisschen verrückt. Ich war 17 Jahre alt und war in der elften Klasse. Ich hatte eine Lebenskrise. Mit dem, was die anderen um mich herum machten, konnte ich mich nicht identifizieren. Durch Zufall habe ich auf einer amerikanischen Webseite Geburtsfotos gesehen, und das hat mich in diesem Moment, als für mich alles dunkel und düster war, tief berührt. Ich habe diese Kraft gesehen, und da war für mich klar: „Ich muss das machen, ich will das machen!“
Haben Sie denn schon vorher fotografiert?
Ich bin in einer strukturschwachen Gegend in Thüringen aufgewachsen und war eine recht einsame Jugendliche. Ich war viel mit meinen Hunden in der Natur. Mit 13 Jahren habe ich mir eine Spiegelreflexkamera schenken lassen. Hunde zu fotografieren ist eine Herausforderung, da ist viel Bewegung, und Hunde bleiben nicht einfach mal still. Das war eine gute Übung. Mit 17 habe ich mir zu Weihnachten und Geburtstag Geld gewünscht. Damit konnte ich einen Online-Kurs zur Geburtsfotografie belegen, der in den USA angeboten wurde. Außerdem habe ich mir 4000 Euro für eine Kamera geliehen. Die erste Geburt, die ich fotografiert habe, war die Geburt meines Hundes. Ein Jahr später, 2019, habe ich dann die erste Geburt eines Menschen fotografiert.
In Ihrer Heimat Thüringen war das Thema Geburtsfotografie eher unbekannt. War es nach Ihrem Umzug nach Frankfurt leichter?
Ich bin 2019 nach Frankfurt gezogen und habe dort auch zunächst viele Klinken putzen müssen, um diese Art der Fotografie bekannter zu machen. Jetzt, vier Jahre später, wissen die Leute, wovon man redet. Bei einer meiner ersten Geburten, die ich fotografisch begleitet habe, habe ich versucht, die Gebärende zu unterstützen, weil die Geburt anders ablief als erhofft und schwierig war. Ich habe dann gemerkt, dass ich mich auf mein Gefühl und meine Intuition verlassen kann. Ich habe mich dann später in Berlin zusätzlich zur Doula ausbilden lassen. Doulas sind nichtmedizinische Geburtshelferinnen, die die Frauen körperlich und emotional begleiten.
Was macht für Sie den Reiz aus, die Schwangeren als Doula und als Fotografin zu begleiten?
In Frankfurt boomt die Nachfrage nach einer Begleitung durch ein Doula. Die Frauen merken, dass eine Geburt ein Prozess ist, für den man Eigenverantwortung übernehmen muss, möchte, sollte. Eine Doula kann Familien zusätzlich anders begleiten als eine Hebamme, die die psychosoziale Begleitung neben ihrer medizinischen Rolle tragen muss. Ich bin ganz oft als Fotografin während der Geburt in die Rolle der Doula gerutscht. Das war kompliziert für mich. Mittlerweile biete ich Geburtsfotografie nur noch zusammen mit der Begleitung an. Ich habe festgestellt, je besser ich die Frauen kenne, ihre Erlebnisse, ihre Ängste, spiegelt sich das auch in den Bildern wider. Je mehr Vertrauen die Familien zu mir haben, desto enger ist man auch während der Geburt dabei. Das sieht man in den Bildern.
Eine Kategorie beim diesjährigen Wettbewerb heißt „Not und Verlust“. Das Gewinnerfoto zeigt ein winziges, tot geborenes Kind. Wie wichtig ist es Ihrer Erfahrung nach, auch solche Momente zu dokumentieren?
Zur Geburt gehört Sterben dazu. Jede dritte Schwangere erlebt eine kleine Geburt, also eine Fehlgeburt. Auch in fortgeschrittener Schwangerschaft sterben ungeborene Kinder. Es ist aber immer noch ein Tabuthema. Auf Instagram habe ich ein Foto teilen dürfen, auf dem ein tot geborenes Kind zu sehen ist. In den Kommentaren äußern sich immer wieder Frauen, die erzählen,dass sie vor 20 Jahren ein totes Kind geboren haben und es nicht mal gezeigt bekommen haben. Früher wurde oft gesagt, die Kinder solle man gar nicht in den Arm nehmen. Nicht, dass man eine Bindung aufbaut. Aber genau das ist für die Frauen so wichtig, dass sie das Kind im Arm halten und es einen Raum bekommt.
Wie wichtig ist in dem Moment ein Foto des verstorbenen Kindes für die Mütter und Familien?
Zumindest den Familien, die ich kennengelernt habe, war es extrem wichtig, diese Bilder zu haben. Es ist ein Beweis. Es gibt dem Kind einen Raum. Es hilft den Frauen beim Verstehen. Man hat das Kind in seinem Körper wachsen lassen, man hat es geliebt, man hat es geboren und es gibt Menschen, die haben es kennengelernt. Oft sind die Hebamme, die Familie und ich die Einzigen, die dem Kind begegnen durften. Die Frauen können anderen sagen und zeigen: „Das war mein Kind.“
Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
Ich würde gern ein Buch schreiben. Einen Bildband mit großformatigen Fotos, in dem aber gleichzeitig auch die Geschichten der Frauen erzählt werden, die ich begleitet habe. Gerne auch Gedichte und Gedanken der Mütter. Ich möchte ein Buch schreiben, dass es Frauen ermöglicht, die Dimension von Geburt zu begreifen. Etwas, was Frauen emotional, seelisch und spirituell auf die Reise in der Schwangerschaft mitnimmt. Geburt findet maßgeblich innen statt, und da würde ich den Frauen gerne etwas an die Hand geben.
Geburtsfotografie
Annemarie Fuckel
Aufgewachsen in Thüringen, zog Annemarie Fuckel nach dem Abitur 2019 nach Frankfurt am Main. Nach einem Online-Kurs in Geburtsfotografie in den USA und ersten Erfahrungen, ließ sich Fuckel in Berlin zusätzlich zur Doula ausbilden. Die 24-Jährige ist selbst im vierten Monat schwanger und eröffnet in Kürze ein Atelier in Kronberg im Taunus. Infos unter https://annemarielea.de/
Geburtsfotografie
Wer einen Geburtsfotografen sucht, wird auf der Seite geburtsfotografen.com fündig. Die Fotografen sind dort nach Postleitzahl gelistet. Im Stuttgarter Raum gibt es einige Fotografen, die Geburten fotografieren. Eine von ihnen ist Franzi Molina. Weitere Informationen gibt es auf franzimolina.de