2019 in Stuttgart neu im Angebot: Fridays-for-Future-Demonstration auf dem Marktplatz. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko - Lichtgut/Max Kovalenko

Die Zahl der Kundgebungen in der Landeshauptstadt steigt stetig. Vor allem an Wochenenden ballen sich die Veranstaltungen. Das Ordnungsamt tut sich schwer, alle Wünsche zu erfüllen.

StuttgartDie Zahl der Kundgebungen steigt und steigt in der Stadt. Das geht seit dem Jahr 2009 so. Damals sprach man vom Stuttgart-21-Effekt: Die breite Bewegung, die Menschen mit unterschiedlichstem Hintergrund im Protest gegen den Bahnhofsumbau vereinte, ließ die Zahl der Demos in Stuttgart von 586 Veranstaltungen im Jahr 2009 auf 1174 im Jahr 2010 anschwellen. Das war aber nur der Anfang. Denn auch wenn es auf die 500. Montagsdemo gegen S 21 zugeht: Die Ablehnung des Milliardenprojekts allein ist nicht mehr die Ursache für die konstant steigenden Zahlen bei den Kundgebungen.

1559 Demonstrationen hat die Stadt als Versammlungsbehörde im Jahr 2019 gezählt. Das sind knapp 100 mehr als im Vorjahr (1467) und fast so viele wie im Rekordjahr 2013, als bei 1603 Gelegenheiten Menschen in Stuttgart für oder gegen etwas auf die Straße gingen. „Und das sind nur die Versammlungen, die uns gemeldet sind“, sagt Stefan Praegert vom Ordnungsamt. Denn das Versammlungsrecht schreibt nicht vor, dass eine Demonstration angemeldet werden muss. Auch muss sie nicht, wie oft noch fälschlicherweise angenommen, genehmigt werden. Das Grundgesetz gewährt das Recht auf Versammlungsfreiheit. Also können – vor allem kleinere – Kundgebungen auch gehalten worden sein, ohne dass die Stadt als zuständige Behörde davon erfuhr. Hingegen zählt die an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr eingerichtete Mahnwache der Stuttgart-21-Gegner gegenüber dem Bahnhof lediglich als eine Kundgebung. Drei Themen seien im Jahr 2019 neu dazugekommen: Die Proteste gegen das Dieselfahrverbot, die wöchentlichen Demos der Jugendbewegung Fridays for Future und seit Oktober „nahezu täglich“ Demos der kurdischstämmigen Bürger gegen den Einmarsch der Türkei in Nordsyrien. Vor allem die Kurdenproteste haben auch die Polizei beschäftigt: Da bei diesem Thema auch mit Auseinandersetzungen nationalistisch gesinnter türkischstämmiger Bürger zu rechnen ist, war sie bei mehreren Demonstrationen mit einem großen Kräfteaufgebot im Einsatz.

Das Ansteigen der Demozahlen ist nicht neu. Neu ist allerdings, dass sich Stefan Praegert, der zuständige Abteilungsleiter im Ordnungsamt, Sorgen macht. Wegen des Platzmangels. „Wir haben bisher irgendwie immer Lösungen gefunden, dass auch bei mehreren Versammlungen an einem Tag alle einen Platz finden, mit dem sie zufrieden sind“, sagt er. Aber er gibt zu bedenken: „Irgendwann wird es für uns auch mal eng.“ Denn schließlich dürfe man die Zahl der Demos nicht durch 365 teilen – was immer noch einen Wert von mehr als vier pro Tag ergeben würde. „Das verteilt sich ja nicht gleichmäßig über die Wochentage. Die meisten wollen möglichst publikumswirksam auftreten und so, dass auch viele Zeit haben, teilzunehmen“, erläutert. Daher seien Freitag und Samstag die Hochzeit für Demonstrationen in der Stadt. „Da ist dann Diplomatie gefragt. Wer kriegt zum Beispiel den Schlossplatz, denn den wollen natürlich alle haben.“

Begehrte Plätze

Die „Hotspots“, also die begehrten und häufig belegten Plätze sind neben dem Schlossplatz auch die Lautenschlagerstraße, der Kronprinzplatz, die Königstraße und die Theodor-Heuss-Straße mit der Verlängerung in der Friedrichstraße und der Schillerstraße. In Kooperationsgesprächen mit der Verkehrsbehörde, der Polizei und den Veranstaltern versuche man, eine für alle gute Lösung zu finden.

„Das finden wir auch wichtig: Man muss miteinander reden und auf die Bedürfnisse der anderen Rücksicht nehmen“, erläutert Sven Hahn, der Citymanager. Für ihn steht wie für die Versammlungsbehörde über allem: „Es gilt Artikel 8 des Grundgesetzes, die Versammlungsfreiheit, und das ist ein wichtiges Gut“, betont er. Dennoch weiß er auch von Problemen zu berichten, die Mitglieder der von ihm geführten City-Intiative Stuttgart (CIS) mitunter haben, wenn vor ihrer Tür nicht nur sprichwörtlich, sondern tatsächlich eine Demo nach der anderen vorbeizieht. „Ich war bei einer Pop-up-Veranstaltung eines neuen Geschäfts an der Lautenschlagerstraße. Da kamen fünf oder sechs Demos an dem Samstag vorbei. Damit war der Tag für den Laden gelaufen“, sagt Hahn.

Dabei betont er, dass beide Seiten flexibel sein können: „Wir haben zum Beispiel unsere lange Einkaufsnacht im Frühjahr wegen einer großen Demo verlegt“, sagt er. Das war die große Kundgebung eines breiten Bündnisses gegen immer höhere Wohnungsmieten in der Stadt. Umgekehrt wich das Bündnis etlicher Kultureinrichtungen mit ihrer Demonstration gegen eine AfD-Anfrage zur Herkunft von Künstlern um ein paar Hundert Meter“ in den Park aus, als die CIS bei der Ausrichtung ihres Kinder- und Jugendfestivals darum gebeten hatte.