Stuttgart - Mit dem Etikett „Schokoladenstadt“ schmückt sich so manche Großstadt gern - Hannover beispielsweise, Köln oder Halle. Manchmal auch Berlin oder Leipzig. Aber Stuttgart? Für diese Aussage dürfte man vielerorts Verwunderung ernten. Vielleicht auch den Satz: „Ihr? Ihr könnt doch nur Autos bauen.“ Das stimmt zwar. Aber nicht nur. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich die Schwabenmetropole den Ruf als Schokoladen-Hauptstadt Deutschlands erworben. Mehr als 1000 Menschen arbeiteten zu diesem Zeitpunkt in Fabriken, die braunes Naschwerk herstellten. Kakaopulver, Pralinen, Bonbons - die süßen Geschäfte „Made in Stuttgart“ brummten.
Geblieben ist davon nicht viel. Das Aufkommen der Supermärkte ließ bereits vor Jahrzehnten Schokolade zum billigen Massenprodukt verkommen, zudem litten die Hersteller in Stuttgart unter steigenden Kakaopreisen. Immer mehr Betriebe strichen die Segel.
Die bekannteste Marke siedelte vor mehr als 80 Jahren bereits von Stuttgart nach Waldenbuch um. Die Rede ist von Ritter Sport. Deren Geschichte begann mit dem Ja-Wort, das sich Alfred Eugen Ritter und Clara Göttle 1912 gaben. Die Verbindung erwies sich für beide Seiten als profitabel. Er war gelernter Konditormeister, sie besaß ein Süßwarengeschäft. Kurz nach der Hochzeit gründeten sie eine Schokoladen- und Zuckerwarenfabrik in Cannstatt. Der Standort: ein Hinterhof in der Moltkestraße. Wenige Monate nach Ende des Ersten Weltkriegs erfolgte der Umzug in die Wilhelmstraße. Dort erinnert heute noch eine Plakette am Gebäude an die einstige Produktionsstätte. Das schmackhafte Quadrat gab es damals noch nicht - genauso wenig wie den Firmennamen, die bunten Verpackungen oder den „Knick-Pack“. Verführt wurden die Kunden stattdessen mit „AlRiKa“-Schokolade - eine Zusammensetzung aus den Namen Alfred, Ritter und Kannstatt. Als die Produktionsstätte aus allen Nähten platzte, verabschiedete sich das Unternehmen aus Stuttgart.
Das Quadrat wurde für Ritter Sport zum Erfolgsgaranten. Bei Eszet waren es die dünnen Schokoladentäfelchen, die sich perfekt aufs Frühstücksbrot legen ließen. 1857 eröffneten Konditormeister Ernst Staengel und sein Schwager Karl Ziller ihren Betrieb in einem kleinen Wohnhaus im Furtbachweg. Hergestellt wurden Bonbons, Pralinen, Ostereier, Konfekt und Schokolade - und diese galt es auch außerhalb der Stadtgrenzen an die Kundschaft zu bringen. Ein griffiger Name sollte die Kartons schmücken. Beide Inhaber verständigten sich auf die Initialen ihrer Nachnamen „S“ und „Z“ und das daraus gebildete Wort „Eszet“. Kurz nach der Gründung ging es Schlag auf Schlag. Staengel wurde zum Hoflieferanten des Königs ernannt, ein Umzug in ein großes Gebäude in der Olgastraße war unausweichlich. 500 verschiedene Artikel stellte das Unternehmen zeitweise her. Unter den Nachfolgern vergrößerte sich die Firma: 1902 wurde in Untertürkheim eine Fabrik gebaut, in der bis zu 200 Personen arbeiteten. 1933 gingen die fürs Frühstück gedachten Eszet-Schnitten erstmals in Produktion. 35 Pfennig mussten Kunden zu dieser Zeit für einen Sechser-Pack bezahlen - kein Pappenstiel. 1975 kam das Aus: Die Firma wurde vom Kölner Stollwerck-Konzern aufgekauft.
Eszet und Ritter Sport sind nur zwei Marken, die von Stuttgart aus ihren Siegeszug in die Welt antraten. Geht man in der Zeit noch weiter zurück, stößt man auf die Schokoladenfabrik Moser-Roth, die um 1910 rund 550 Mitarbeiter und damit mehr Arbeitnehmer als alle anderen Betriebe dieser Art aufweisen konnte. Alles begann im Jahr 1846. Eduard Otto Moser gründete in der Tübinger Straße eine Konditorei mit Konfektherstellung. Seine Spezialität waren „Pariser Bonbons“, die er auf Reisen vertrieb. 1858 verlegte Moser seinen Firmensitz in die Calwer Straße und begann mit der Herstellung von Schokolade - etwas, das er in Frankreich gelernt hatte.
Und auch ein weiterer Zuckerbäcker machte sich in den 1840er-Jahren mit einer eigenen Firma selbstständig: Wilhelm Roth Junior. Dessen Sparsamkeit ging trotz voller Geschäftsbücher soweit, dass Bewerber in seinem Büro auf einer Kiste Platz nehmen mussten, die Anschaffung eines weiteren Sessels stufte er als „zu üppig“ ein. 1896 kam es zur Fusion der früheren Konkurrenten. Der Name lautete nun: „Vereinigte Schokoladen- und Bonbonfabriken Moser-Roth GmbH“. Im Frühjahr 1942 wurde die Firma von der Reichsregierung geschlossen, im September 1944 brannte das Gebäude nach einem Luftangriff aus - es war nur das vorläufige Ende. Denn die Geschichte kreuzt sich mit der eines weiteren Schokoladenfabrikanten: Karl Haller eröffnete 1921 in Obertürkheim seine Produktionsstätte. Fünf Jahre später erwarb er in der Augsburger Straße ein eigenes Areal und verlegte den Firmensitz samt Produktion dorthin. Bis zu 400 Mitarbeiter - einschließlich 90 Außendienstmitarbeitern - beschäftigte er in Spitzenzeiten. Die Kunden konnten neben Kakaopulver zu Schokolade und Pralinen greifen. 1948 schluckte Haller die Marke Moser-Roth. Der umtriebige Unternehmer hatte viel vor - und in Sachen Selbstvermarktung ein gutes Näschen. Nach dem Zweiten Weltkrieg stiftete er der Ballonsportgruppe in Stuttgart den ersten Gasluftballon. Die Tauffahrt erfolgte mit dem Unternehmensnamen in riesigen Lettern auf der goldbraunen Kugel. Fünf Jahre später fand der Höhenflug mit dem Tod des Unternehmers ein jähes Ende. Die Fabrik wurde in den 1960er-Jahren verkauft. Die Marke hingegen gibt es immer noch - zu finden in den Regalen des Discounters Aldi. Hergestellt wird die Schokolade jedoch nicht mehr in Stuttgart, sondern in Berlin.
Weitere bekannte Firmen: Die Robert Friedel GmbH wurde nicht nur mit ihrer Schokolade, sondern auch mit ihrer Brause bekannt. Die im Stuttgarter Osten ansässige Firma Schoko Buck (Verkaufsschlager: Kola-Schokolade) wurde von dem Schweizer Unternehmen Tobler gekauft und 1985 als letzte Schokoladenfabrik Stuttgarts stillgelegt. Für seine Katzenzungen war der Betrieb Waldbaur, 1848 im Stuttgarter Westen gegründet, berühmt. Dessen Markenrechte wurden auch von Stollwerck übernommen.