Waschbären sehen putzig aus, können aber echte Plagegeister sein. Foto: / Britta Pedersen/dpa

Wildtiere richten in Siedlungen zunehmend Schäden an. Steinheim verpflichtet deshalb nun als wohl erste Kommune im Landkreis Ludwigsburg einen speziellen Jäger.

Jeder Hausherr, bei dem sich ein Waschbär eingenistet hat, denkt ganz schnell nicht mehr: Was für putzige Tierchen! Denn die kleinen Säuger nagen Kabel an, wüten unter Dachstühlen und hinterlassen nicht selten eine Spur der Verwüstung. Eher unangenehm sind auch Nilgans-Schwärme. „Die können ganze Fußballplätze mit ihrem Kot vorübergehend unbenutzbar machen, wie im vergangenen Jahr in Neckarweihingen geschehen“, sagt der Ludwigsburger Kreisjägermeister Peter Ulmer. Deshalb begrüßt er es, dass das Land den Kommunen ein neues Mittel an die Hand gibt, das sie gegen Wildtiere in Siedlungen einsetzen können: den Stadtjäger.

Die erste Kommune im Kreis Ludwigsburg, die auf diese Karte setzt, ist laut einer Recherche unserer Zeitung Steinheim. Im Verwaltungsausschuss des Gemeinderats wurde Volker Schiele nun in dieses Amt eingesetzt. Schiele musste eine entsprechende Ausbildung absolvieren, ist zudem ein erfahrener Waidmann, der obendrein in der Urmenschstadt eine Pacht hat. Für Ulmer ist das eine ideale Konstellation. „Man sollte immer zuerst mit den Jagdpächtern sprechen und sie fragen, ob sie Interesse an der Aufgabe haben, ehe man jemanden von extern hinzuzieht“, sagt er. Wobei es im konkreten Fall so war, dass Schiele auf die Stadt zugegangen war und angeboten hatte, den Job ehrenamtlich zu übernehmen.

Chaos in Häusern

In Steinheim reagiert man damit vornehmlich auf den Vormarsch der Waschbären. Die Tiere fräßen sich sogar durch Weinberge, sagte Bürgermeister Thomas Winterhalter. Dazu richteten sie Chaos in Häusern an. Zudem würden die Bemühungen um den Artenschutz torpediert. Die Waschbären schnappten sich Eier von Bodenbrütern, könnten aber auch auf Bäume klettern und dort die Nester ausrauben. „Die fressen alles, selbst Amphibien wie Gelbbauchunken. Frösche haben zum Beispiel auch Bitterstoffe. Das mag kein Fuchs, das mag kein Marder – aber der Waschbär frisst das alles“, sagte Schiele. Ferner könnten sie einen Bandwurm auf den Menschen übertragen, der zum Erblinden führe. „Bei einem Vorkommen an einem Kindergarten muss man also wirklich handeln“, betonte Schiele.

Mittlerweile tauchten die kleinen Plagegeister flächendeckend auf der Gemarkung auf, schwerpunktmäßig rund um Bottwar und Murr. Ein Exemplar habe beispielsweise im Steinheimer Schützenhaus sein Unwesen getrieben. Der Schaden gehe in den fünfstelligen Eurobereich. Und aus der Bürgerschaft komme bei solchen und ähnlichen Fällen die Frage, was man dagegen unternehmen könne, sagte der Bürgermeister.

Für gefangene Tiere schlägt das letzte Stündlein

An dieser Stelle wird künftig der Stadtjäger weiterhelfen, der explizit im Siedlungsraum aktiv werden soll, vornehmlich präventiv. Er werde den gepiesackten Bürgern hauptsächlich beratend zur Seite stehen, erklärte Schiele. So könne es weiterhelfen, den Tieren keine Angriffsfläche zu bieten und Schlupflöcher am Haus zu schließen. Mit Ultraschallgeräten könnten Waschbären oder Marder vergrämt werden. „Im Fokus steht die Umsetzung präventiver Maßnahmen zur Schadabwehr“, bestätigt Andreas Fritz, Pressesprecher des Landratsamts.

Kreisjägermeister Peter Ulmer macht aber klar, dass eines auf keinen Fall passieren wird: Dass Schiele mit dem Gewehr im Anschlag durch die Straßen laufen wird, um Wildtiere zu erschießen. Wobei der Steinheimer Stadtjäger umgekehrt auch reinen Wein einschenkte und verdeutlichte, dass es im Fall der Fälle zum Äußersten kommen wird. „Wir werden keinen Waschbär fangen und ihn später wieder aussetzen. Nach einer EU-Richtlinie sind wir verpflichtet, ihn zu töten. Man will die Ausbreitung dieser invasiven Art verhindern“, erklärte er. Im Notfall dürfte er auch im Stadtgebiet zur Waffe greifen. „Den Schusswaffeneinsatz müsste ich aber beim Führungs- und Lagezentrum der Polizei anmelden“, betonte Schiele.

Rasante Zunahme an Wildtieren

Fangen könne man die Waschbären mit speziellen Fallen. Lege man dabei einen Köder aus, werde dabei in der Regel geräucherter Fisch verwendet. Hoch im Kurs bei den Tieren stünden auch Gummibärchen. Springt der Waschbär auf die Leckerlis an, könne er anschließend weggetragen werden.

Dass im Landkreis zunehmend Handlungsbedarf besteht, untermauerte er auch anhand von Zahlen. In früheren Zeiten habe man im Schnitt pro Jahr 50 bis 60 Waschbären erlegt, 2021 seien es mehr als 250 gewesen. Besonders viele Exemplare tummelten sich auf der Gemarkung von Neckarrems, berichtet Peter Ulmer. Wobei die Stadtjäger laut Landratsamt nicht nur Waschbären im Blick hätten. Auch mit Steinmarder, Fuchs, Wildgänsen, Rabenkrähe, Dachs und Nutria könne es zu Konflikten im besiedelten Bereich kommen. Die Behörde hält letztlich auch die Einsetzung von Stadtjägern „im Hinblick auf die Beratung und Unterstützung von Bürger/-innen sowie Kommunen im Umgang mit Wildtieren für sinnvoll“.

Abbau von Bürokratie

Hürden
Wenn ein Waidmann bisher innerhalb von Ortschaften tätig werden sollte, musste er dafür eine Sondergenehmigung bei den Unteren Jagdbehörde beantragen. Diese bürokratische Hürde fällt weg, wenn man einen Stadtjäger einsetzt, der eine spezielle Ausbildung braucht.

Vorreiterrolle
Vom Landratsamt Ludwigsburg sind bisher drei Personen offiziell als Stadtjäger anerkannt worden. „Eine konkrete Einsetzung durch eine Kommune“ sei dem Kreishaus bisher aber nicht gemeldet worden, sodass Steinheim in der Hinsicht eine Vorreiterrolle einnehmen dürfte. In Baden-Württemberg vertraue beispielsweise Heilbronn auf einen Stadtjäger, teilt Tobias Rommel vom Landesjagdverband mit. Zudem werde ein Kollege im nächsten Jahr für Ilsfeld und Neckarwestheim zuständig sein.