Elizabeth Banks (links) und Sigourney Weaver in „Call Jane“ Foto: DCM/Wilson Webb

Phyllis Nagy zeigt ein Frauennetzwerk, das Ende der 60er Jahre Schwangerschaftsabbrüche organisiert, bis sie 1973 erlaubt werden. Die Rücknahme der Legalisierung durch den Supreme Court in diesem Jahr macht den Film erschreckend aktuell.

Zum Treffen mit dem Krankenhaus-Ausschuss hat Joy (Elizabeth Banks) ein Tablett Cookies mitgebracht. Selbstgebackenes sorgt ja immer für gute Stimmung. Und in der Sitzung geht es schließlich um ihr Leben. Joy ist schwanger und leidet an einer Herzinsuffizienz. Eine Fortsetzung der Schwangerschaft kann tödlich für sie ausgehen.

Im Jahr 1968 ist Abtreibung in Chicago gesetzlich verboten wie in den meisten US-Bundesstaaten. Der behandelnde Arzt hat deshalb einen „therapeutischen Abbruch“ beantragt. Aber dem komplett männlich besetzten Ausschuss sind die Überlebenschancen von 50 Prozent für die Schwangere Grund genug, den Antrag abzuschmettern. „Lassen Sie sich die Treppe runterfallen. Bei mir hat es funktioniert“, rät die Sekretärin in der Arztpraxis hinter vorgehaltener Hand.

Die Frauen riskieren hohe Haftstrafen

Aber dann sieht Joy an einem Stromkasten einen Zettel. „Schwanger? Ängstlich? Hilfe. Ruf Jane an.“ steht darauf. Die Telefonnummer führt sie zu einem Untergrundnetzwerk, in dem Frauen sichere, illegale Abtreibungen organisieren. Der Arzt verlangt 600 Dollar, aber er ist gut. Nach dem Eingriff findet sich Joy bei einem Teller Spaghetti im Haus von Virginia (Sigourney Weaver) wieder, wo sich die Gruppe um die Nachsorge kümmert – eine bunte Mischung an Frauen, die mit ihrem feministischen Engagement hohe Haftstrafen riskieren. Joy wird in den Zirkel aufgenommen, als Chauffeurin, dann als ärztliche Assistentin. Schließlich eignet sie sich selbst das Wissen und die Fertigkeit an, den Eingriff durchzuführen.

Die Regisseurin Phyllis Nagy erzählt in „Call Jane“ fiktionalisiert von der gleichnamigen feministischen Hilfsorganisation, die Ende der 60er und Anfang der 70er mehr als 12 000 illegale Abtreibungen organisiert hat, ohne dass dabei eine einzige Schwangere gestorben ist. Mit viel Zeitkolorit, sorgfältiger Ausstattung und gedreht auf 16-Millimeter-Filmmaterial, atmet „Call Jane“ die Atmosphäre der späten 60er, in der politische Initiativen wie diese den gesellschaftlichen Umbruch einleiteten. Aber Nagy behandelt das Thema Abtreibung nicht nur als Politikum, sondern beleuchtet ebenso umsichtig, was ein illegaler Schwangerschaftsabbruch für die betroffenen Frauen bedeutet.

Der Eingriff verliert seine Monstrosität

In mehreren, sensibel inszenierten Sequenzen nimmt sie dem schmerzhaften, medizinischen Eingriff jene Monstrosität, die ihm auch im Kino immer wieder zugeschrieben wird. Der Film schließt mit einem Happy End, als im Jahr 1973 der US-Supreme Court im Fall „Roe vs Wade“ das Recht auf Abtreibung als verfassungskonform einstuft – jenes Urteil, das im Juni dieses Jahres nach fast 50 Jahren von einem neu besetzten Supreme Court wieder gekippt wurde.

„Call Jane“ ist als Film angelegt, in dem sich die feministische 68er-Oma und die Metoo-Enkelin gemeinsam vor Augen führen können, wie Frauenrechte und gesellschaftlicher Fortschritt erkämpft werden. Aber die aktuellen, grotesken Entwicklungen in den USA verwandeln die Retrospektive in einen bitteren Blick in die Zukunft: Frauen, die sich für eine Abtreibung entscheiden, werden in vielen Bundesstaaten erneut in die Illegalität getrieben.

Call Jane :
USA 2022. Regie: Phyllis Nagy. Mit Elizabeth Banks, Sigourney Weaver. 122 Minuten. Ab 12 Jahren.