Doris Kretzschmar vom Treffpunkt Caritas Foto:  

Doris Kretzschmar begleitet seit vielen Jahren Sportler zu den Special Olympic National Games. Im Interview spricht sie über die Wettkämpfe. Dabei sein ist für viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht alles.

Die Special Olympic National Games (SONG) mit 4000 Sportlern und Sportlerinnen mit geistiger Behinderung fanden fünf Tage lang in Berlin statt. Die Eröffnungsfeier verfolgten 11 000 Menschen im Stadion. Dabei – wie bei allen zehn Auflagen seit der Einführung 1998 – war auch Doris Kretzschmar, Sozialarbeiterin beim Treffpunkt Caritasverband Stuttgart. „Allgemein hat sich viel in Sachen Inklusion getan, es könnte aber noch mehr sein“, sagt Doris Kretzschmar im „Mittwochswort“.

Frau Kretzschmar, Sie haben bisher keine Auflage der SONG ausgelassen. Was reizt Sie an der Veranstaltung?

Zugegeben, die Betreuung der Athleten, diesmal waren es 48, ist stets eine Herausforderung. Aber wenn man sieht, welche Freude und wie viel Spaß sie bei den Spielen haben, dann wirkt das förmlich ansteckend und lässt die Anstrengung schnell vergessen. Die SONG sind auch die größten inklusiven Sportfeste, Inklusion ist für mich eine Herzensangelegenheit.

In vielen Trailern über die SONG ist die Rede von der Steigerung des Selbstbewusstseins der Menschen mit geistiger Behinderung.

Das ist so. Die Menschen mit geistiger Behinderung finden im Alltag häufig wenig bis kaum Wertschätzung, sei es in der Freizeit oder auch am Arbeitsplatz. So hat mir beispielsweise diese Woche ein Vater geschrieben, wie gut seinem Sohn der Gewinn der Goldmedaille in Berlin getan hat. Er hat sie an seinen Arbeitsplatz in die Werkstätte mitgenommen und voller Stolz seinen Kollegen gezeigt. Das darf man nicht unterschätzen, die Spiele tragen zur Persönlichkeitssteigerung bei und machen die Personen selbstbewusster für den Alltag.

Aber Persönlichkeitsbildung und das Gemeinschaftsgefühl sind nicht alles, was für die Sportler mit geistiger Behinderung zählt.

Keineswegs, dabei sein ist für viele nicht alles. Ganz im Gegenteil. Sie wollen auch den Erfolg, die Medaille. Und sie sind enttäuscht, wenn sie leer ausgehen. So zitterten unsere Fußballer bis zum Schluss um Bronze. Die Anspannung war groß, die Freude noch größer, nachdem es mit Platz drei doch geklappt hat. Andererseits herrschte bei den vier Tischtennisspielern und der einen -spielerin schlechte Stimmung, nachdem keine Medaille ergattert wurde.

Nun hat das Thema Inklusion in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. Merken Sie da etwas davon?

Als wir 1998 bei den ersten Spielen teilgenommen haben, waren nur 280 Teilnehmer am Start, dieses Mal 4000. Es wären noch einige mehr gewesen, wenn eine Corona-Erkrankung vielen den Start nicht vermasselt hätte. Das Thema ist durchaus in den Fokus gerückt und findet auch in der Politik mehr Berücksichtigung. Jedoch ist es beispielsweise der Paralympics-Bewegung besser gelungen, eine größere Bedeutung im Lauf der Jahre zu erlangen. Es gibt also noch viel zu tun.

Und Inklusion durch Sport?

Auch in diesem Bereich ging es voran, haben sich die Vereine geöffnet. Seit vielen Jahren kooperieren wir mit der Kanugesellschaft Stuttgart, dem TV Cannstatt im Fußball und dem TV89 Zuffenhausen im Tischtennis und Unified Basketball, bei dem Behinderte und Nichtbehinderte gemeinsam spielen. Neu dazugekommen sind die Sportvg Feuerbach und die Sportkultur Stuttgart. Jedoch tun sich die Menschen mit geistiger Behinderung oft schwer, den Weg in den Verein zu finden.

Warum?

Das kann auch an den Menschen mit Behinderung selbst liegen, die teilweise eine Hemmschwelle haben, wenn sie mit „Normalen“ Sport treiben sollen. Oder es auch gar nicht möchten und ihren geschützten Rahmen schätzen. Oft beginnen Angebote auch zu spät, oder es gibt Probleme, zu den Sportstätten zu gelangen.