17 Zentimeter Größenunterschied zwischen Russell Westbrook (1,91 Meter/links) und Anthony Davis (2,08 Meter) – kein Problem sagen die Rockets. Foto: imago//Jevone Moore

Die Houston Rockets sind das erste Basketball-Team der NBA-Geschichte, das versucht, gänzlich ohne Center zu gewinnen. Kann das gut gehen? Sind Harden und Westbrook nun reif für den Titel?

Houston - Ein Spielmacher, zwei Distanzschützen, zwei große Spieler für die Defensive und die Reboundarbeit. Die Start-Formation im Basketball war mehrere Jahrzehnte keine Zeile wert. Zu klar waren die Positionen und Aufgabenverteilungen der fünf Spieler auf dem Parkett. Experimente waren und sind – allen Trends zu neuen analytischen Herangehensweisen zum Trotz – angesichts des Erfolgsdrucks selten in der nordamerikanischen Basketball-Profiliga NBA.

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Dann kamen im vergangenen Jahrzehnt die Golden State Warriors. Zwar begannen sie in aller Regel ihre Spiele mit einem klassischen Center unter dem Korb. Je nach Gegner spielte der auch zwischen 15 und 25 Minuten, aber insbesondere die Schlussphasen bestritten Stephen Curry und Co. normalweise ohne Center. „Small Ball“ nennen das die US-Amerikaner. Das Ziel: so viele starke Distanzschützen wie möglich aufzustellen. Dafür nahm der dreifache Meister auch in Kauf, in der Defensive den Centern der Gegner körperlich unterlegen zu sein. „Geschwindigkeit schlägt Größe“ lautete das Motto.

Die Warriors legten den Grundstein

Drei Titel in fünf Jahren gewannen die Kalifornier mit dieser Taktik. Die Ära der dominanten Center wie Shaquille O’Neal (2,16 Meter), Dwight Howard (2,11 Meter) oder Yao Ming (2,29 Meter) schien endgültig vorbei. Wenn schon groß, dann müssen die Spieler werfen können. Bestes Beispiel: die deutsche NBA-Legende Dirk Nowitzki (2,13 Meter), der sich trotz erheblicher Defensiv-Schwächen am Ende der Karriere regelmäßig auf der Center-Position wiederfand. Mittlerweile gibt es gleich eine Handvoll Spieler, die jenseits von 2,10 Körpergröße solide Quoten aus der Distanz werfen, aber ihnen fehlt es an Geschwindigkeit.

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Die Houston Rockets um ihre Superstars James Harden und Russell Westbrook treiben die „Small-Ball“-Taktik nun auf ein neues Level. In Clint Capela schickten sie ihren einzigen NBA-tauglichen Center zum Ende der Wechselfrist nach Atlanta und holten sich in Robert Covington einen weiteren Flügelspieler, dessen Kernkompetenz das Verteidigen und werfen an der Dreierlinie ist. Rockets-Coach Mike D’Antoni will all seine Akteure außerhalb der Dreierlinie und der Ball ist fast nur in den Händen seiner beiden Superstars. Das Zauberwort ist „spacing“. Raum schaffen für das gefährlichste Rückraumduo der NBA, das jeden Angriff selbst entscheiden darf: Zug zum Korb oder ein Wurf von draußen?

Fällt der nächste Dreier-Rekord?

Bereits vor dem Capela-Wechsel versuchten die Texaner 43 Drei-Punkt-Würfe pro Partie – im Vorjahr stellten sie mit 45,4 Versuchen im Schnitt einen neuen NBA-Rekord auf. D’Antoni sagt, er könne auch „mit 50 bis 60 leben“. Der offensiv ausgerichtete Coach hat in Westbrook den Aufbauspieler mit der besten Korbleger-Quote der gesamten Liga. Neben ihm spielen Distanzschützen wie Harden, Covington, Aaron Gordon oder P.J. Tucker, die Westbrook die nötigen Räume verschaffen, nahezu ungeschoren unter den Korb zu kommen.

Die Schwachstelle der Small-Ball-Taktik liegt in der Defensive. Wer soll die großen Jungs der Konkurrenten wie Anthony Davis (2,08 Meter/Los Angeles Lakers) oder Rudy Gobert (2,16 Meter/Utah Jazz) verteidigen? „Wie sollen diese Spieler uns verteidigen?“, gibt D’Antoni eine Gegenfrage zurück. Und Westbrook sagte nach dem Sieg über LeBron James, Davis und die L. A. Lakers: „Ist doch egal, wer versucht mich zu verteidigen.“ Den Big Men fehlt die Geschwindigkeit, mit den fünf Flügelspielern der Rockets mitzuhalten. Ziehen sie sich Richtung Korb zurück, haben Harden und Co. grünes Licht, den Dreier zu versuchen.

Die Bilanz spricht bislang für das Experiment

Neunmal traten die Rockets bisher ganz ohne Center an, sechs Partien davon wurden gewonnen. Dabei wurden auch die Topteams aus Los Angeles, Utah und Dallas bezwungen, die in Anthony Davis, Rudy Gobert oder Kristaps Porzingis überragende Big Men in ihren Reihen haben. Zwar sicherten sich in acht der neun Spiele die Gegner mehr Rebounds als die Texaner – das aber wollen Harden und Co. mit ihren Drei-Punkte-Würfen wieder ausgleichen. „Drei Punkte sind immer mehr als zwei“, so D’Antoni.

„Unser Job ist zu gewinnen“, sagt Rockets-Manager Daryl Morey und schiebt hinterher: „Die Spieler wollen das und nehmen die neue Taktik an.“ Für die einen sind die Rockets das „interessanteste Projekt der NBA“. Andere halten sie schlicht für „verrückt“, das überhaupt zu versuchen.

Das Ziel? Die Meisterschaft!

„Wir wollen die Meisterschaft“, gibt Morey das Ziel für die Runde aus. Allein daran müssen sich der Manager und sein Coach D’Antoni am Ende der Saison messen lassen.