Die Puppenküche von Anneliese Dreifus aus Stuttgart Foto: Noam Preisman

Mit Blick auf den Holocaust-Gedenktag am 27. Januar ist in Berlin die Ausstellung „Sechzehn Objekte – Siebzig Jahre Yad Vashem“ eröffnet worden. Darin geht es um persönliche Geschichten von Holocaust-Opfern und -Überlebenden. Auch Stuttgart spielt dabei eine Rolle.

Es ist nur eine Puppenküche. Ein Spielzeug aus Keramik. Bestehend aus einem kleinen Herd und ein paar Töpfchen, um eine Art Ofenrohr herumgruppiert. Wann hat man so gekocht? Im vorletzten Jahrhundert vielleicht? Ein Museumsstück also? Und wer stand damals am Herd? Puppen? Zwerge? Das sind so Gedanken, die man hat, wenn man auf die Kinderküche blickt.

Wenn man ihre Geschichte kennt, schaut man sie mit ganz anderen Augen an. Die Geschichte geht in Kurzform so: In der Gerokstraße in Stuttgart lebte in den 1920er Jahren eine jüdische Familie, die Familie Dreifus. Angesehene Bürger; der Vater, Max Dreifus, hatte ein Geschäft für Herrenbekleidung. Die Mutter, Elsa Dreifus, verstarb früh. Und da waren noch die beiden Töchter, Anneliese und Helga. Als Hitler an die Macht kam, waren sie Kinder. Nach der Reichspogromnacht 1938 verschleppten die Nazis ihren Vater und sperrten ihn ins KZ Dachau. Glücklicherweise kam er wieder frei, allerdings unter der Bedingung, dass er Deutschland verließ.

Die Miniküche hat die Flucht überdauert

Im April 1939 wanderte die kleine Familie nach Amerika aus. Anneliese hatte einige wenige Spielsachen dabei, darunter die Puppenküche aus Keramik. Sie bewahrte sie auf und schenkte sie ihrer Tochter Agnes, die das Erinnerungsstück später der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem überließ. Die kleine Küche ist also tatsächlich ein Museumsstück. Sie steht für ein jüdisches Schicksal, das im dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte spielt.

Jetzt ist die kleine Küche nach Deutschland zurückgekehrt. Nicht nach Stuttgart, dafür nach Berlin für eine Ausstellung mit dem Titel „Sechzehn Objekte – Siebzig Jahre Yad Vashem“, die am 25. Januar – zwei Tage vor dem Holocaust-Gedenktag am 27. Januar – im Paul-Löbe-Haus von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und Dani Dayan, dem Vorsitzenden der Internationalen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, eröffnet wurde. Initiiert hat sie der deutsche Freundeskreis Yad Vashem in Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte in Israel und dem Deutschen Bundestag.

Jedes der 16 Objekte steht für ein Bundesland

Die Puppenküche ist eines der genannten 16 Objekte. Sie stehen für 16 persönliche Geschichten, die je in einem der 16 heutigen Bundesländer ihren Ausgang nahmen. „Das ist eine Erinnerung daran, dass jeder Ort in Deutschland durch den Holocaust einen Teil seiner Geschichte und seiner Identität verloren hat“, betonen die Kuratoren Ruth Ur, Geschäftsführerin des deutschen Freundeskreis Yad Vashem, und Michael Tal, Direktor der Objektsammlung Yad Vashem. Dieser Verlust betrifft auch Stuttgart, wo die Familie Dreifus lebte und Anneliese als Kind mit ihrer Puppenküche spielte. Das Haus in der Gerokstraße gibt es heute noch.

Ein anderes eindrückliches Objekt ist ein Chanukka-Leuchter. Er stand einst in der Wohnung des Rabbiners Arthur Posner und seiner Frau Rosi in Kiel. Ein altes Foto zeigt im Vordergrund den Leuchter auf der Fensterbank. Beim Blick durch das Fenster ist eine Hakenkreuzfahne zu sehen. Die Aufnahme entstand zwei Jahre vor der Machtergreifung der Nazis. Sie deutet das bevorstehende Grauen symbolhaft an. Ein Bild, das sich in der Rückschau einbrennt.

Der Leuchter steht ebenfalls für eine Fluchtgeschichte. Seine Besitzer konnten vor den Nazis fliehen, samt Leuchter, den die Nachkommen der Gedenkstätte übergaben. „Alle Objekte eint, dass sie einer Familie oder einer Person gehörten, die einst in Deutschland lebten und Teil der Gesellschaft waren“, erklären die Kuratoren: „Sie wären Alltagsgegenstände geblieben, stünden sie nicht für unzählige Leben und Gemeinschaften, die durch den Nationalsozialismus zerstört wurden.“

Die Objekte werden zum ersten Mal in Deutschland ausgestellt

Die Berliner Ausstellung ist von hoher Symbolkraft – auch für die Gedenkstätte Yad Vashem, die in diesem Jahr 70 wird und sich als einzigartiges Gedächtnis des Holocaust versteht. Es geht um eine neue Form der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. In den Worten von Ruth Ur und Michael Tal: „Indem wir Gegenstände aus der Sammlung von Yad Vashem mit ihren Ursprungsorten in Deutschland verbinden, wollen wir eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart bauen.“ Diese Brücke ist in der Tat neu, denn die Yad-Vashem-Objekte wurden zuvor noch nie in Deutschland gezeigt. In Berlin sind sie bis zum 17. Februar zu sehen. Ab 6. März wird die Geschichte der Stuttgarter Puppenküche und der anderen 15 Objekte auf dem Unesco-Welterbe Zollverein in Essen weitererzählt.

Weitere Informationen unter: www.bundestag.de/ausstellung-yad-vashem

Freundeskreis Yad Vashem

Aufgabe
Der deutsche Freundeskreis Yad Vashem wurde 1997 gegründet. Eine seiner zentralen Anliegen ist es nach eigener Darstellung , „die Arbeit der internationalen Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem im öffentlichen Bewusstsein zu verankern“. Zu diesem Zweck stärkt er die Beziehungen zwischen der Holocaust-Gedenkstätte und deutschen Institutionen und bietet Bildungs- und Gedenkprogramme. Vorsitzender ist Kai Diekmann.