Die sintflutartigen Regenfälle der vergangenen Nacht haben im Rems-Murr-Kreis vermutlich zwei Menschen das Leben gekostet. Dennoch hätte es wohl noch viel schlimmer kommen können.
Nach einem vor allem wegen einer überlaufenden Rems angespannten Wochenende war am Sonntagabend eigentlich Entwarnung gegeben worden. „Landratsamt beendet außergewöhnliche Lage“, vermeldete die Behörde gegen 20 Uhr. Sofortmaßnahmen bei Winterbach seien erfolgreich gewesen. Doch dann machte partieller Starkregen die günstige Prognose innerhalb weniger Minuten obsolet.
Alle Überlaufbecken laufen voll
Weil plötzlich alle Überlaufbecken bis zur Oberkante vollliefen, wurden tausende Menschen aufgefordert, ihre Wohnungen zu verlassen. Allein in Remshalden waren 2500 Personen betroffen. Man habe nicht nur ein sogenanntes hundertjähriges Hochwasser erwarten müssen, sondern eines der Stufe „extrem“, sagt der Landrat Richard Sigel. Weil eine Flutwelle von Winterbach bis Remseck zu befürchten war, habe man sich nicht nur entschlossen, die Anwohner in Sicherheit zu bringen, sondern auch unter anderem, den renaturierten Teil der Rems bei Winterbach zu fluten.
Doch nicht nur an der Rems drohte die Lage zu eskalieren. Vor allem im Wieslauftal wurde es prekär. Menschen drohten zu ertrinken, weil sie in ihren Gebäuden eingeschlossen waren. Eine Flutwelle habe Rudersberg in einer so rasanten Geschwindigkeit erfasst, dass sich selbst erfahrene Einsatzkräfte plötzlich von Wassermassen umzingelt gesehen hätten. Zudem war der Anfahrtsweg für die Retter, die auch überörtlich angefordert wurden, über die Straße kaum mehr möglich. Mehrere Einsatzfahrzeuge soffen buchstäblich ab. Nur über Waldrems und den Rettichkreisel konnten die Einsatzkräfte ins Schadensgebiet vorrücken. Gerettete wurden mit Bussen in Sicherheit gebracht, berichtet Stefan Schuh, der stellvertretende Kreisbrandmeister.
Hilfeanforderungen im Sekundentakt
Dann seien im Sekundentakt Hilfeanforderungen aus verschiedenen Teilen des Kreises eingegangen. Die Welle aus dem Rudersberger Rückhaltebecken ergoss sich ebenfalls in Richtung Schorndorf. Auch in Teilen von Winnenden, Berglen und Leutenbach spielten sich dramatische Szenen ab. Wegen des überlaufenden Buchenbachs mussten Menschen mit Booten aus ihren Häusern gerettet werden. In Weinstadt wurden das Wohn- und Gewerbegebiet Trappeler vorsorglich geräumt. In allen Kommunen entlang der Rems wurde die Schule abgesagt – wohl wissend, was das für die Betroffenen und deren Betreuung zum Teil bedeutete, wie der Landrat Richard Sigel einräumt. In den Realschulen hätte es für die Schüler und Schülerinnen der Abgangsklassen etwa die letzte Möglichkeit gegeben, sich auf die anstehende Mathematik-Prüfung vorzubereiten. Die Sicherheit der Menschen sei hier aber absolut vorgegangen.
Während die Sachschäden in einigen Kommunen riesig ausfallen werden – eine Größenordnung kann das Landratsamt noch nicht abgeben –, schien man insgesamt mit dem sprichwörtlichen blauen Auge davon- gekommen zu sein. Nach bisherigem Stand habe das Extremwetter wohl kein Menschenleben gekostet, konstatierten die Verantwortlichen im Krisenstab noch am Mittag. Auch aus den Rems-Murr-Kliniken war nichts Gegenteiliges zu hören. Die Krankenhäuser seien immer handlungsfähig gewesen, sagt Torsten Ade, der Leiter der Winnender Notaufnahme. Zum einen seien die Einrichtungen selbst durch das Hochwasser nicht eingeschränkt gewesen. Zum anderen habe man zwar ein deutlich erhöhtes Patientenaufkommen, aber bisher keine dramatischen Verletzungen registrieren müssen.
Erschütternde Nachricht am Nachmittag
Dann aber sickerte am Nachmittag eine erschütternde Nachricht aus Schorndorf durch: Einsatzkräfte der Feuerwehr hätten bei Abpumparbeiten eines durch Hochwasser vollgelaufenen Kellers in der Mühlstraße im Teilort Miedelsbach zunächst eine, später eine zweite tote Person entdeckt, bestätigte die Polizei auf Nachfrage. Bei den Verstorbenen handele es sich um einen Mann und eine Frau. Die genaue Todesursache sei derzeit noch unklar, auch die Identität müsse noch geklärt werden, hieß es am Nachmittag. Am Abend dann wurde das Bild etwas klarer. Bei den Toten habe es sich um den 58-jährigen Hausbewohner und seine 84-jährige Mutter gehandelt, gab die Polizei bekannt. Beide seien laut Zeugenaussagen damit beschäftigt gewesen, das in das Haus eingedrungene Wasser im Keller abzupumpen. Wie es letztlich zu dem tragischen Unglück kam, müsse noch ermittelt werden, ebenso die genaue Todesursache.
Unabhängig davon ist man im Krisenstab des Landratsamts davon überzeugt, dass es noch viel schlimmer hätte kommen können. Die Hochwasserschutz-Maßnahmen hätten sich ausgezahlt, sagt beispielsweise Andreas Wersch, der Kommandant der Feuerwehr Kernen. Gleichwohl müsse man bei der Vorsorge dranbleiben, sagt der Landrat Richard Sigel – auch das hätten die vergangenen Tage gezeigt.
Die weiteren Aussichten?
Und wie schätzt er die kommenden Tage ein? „Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht“, sagt Sigel, aber man gehe davon aus, dass sich eine solche Regenzelle wie am Sonntag nicht noch einmal einstellen werde. Die Pegelstände gingen zurück, die Rückhaltebecken könnten langsam abgelassen werden. Doch in mehreren Kommunen muss nun mit den Aufräumarbeiten ein weiterer Kraftakt bewältigt werden.