Felix Lochs Kosmos endet nicht drei Meter neben dem Eiskanal – der Rodler blickt über den Horizont seiner Sportart weit hinaus. Foto: imago/Eibner

Felix Loch weiß, dass er als deutscher Rodler ein angenehmes Leben führt, wie es nicht jedem Menschen vergönnt ist. Deshalb engagiert sich der 32-Jährige für Hilfe für die Ukraine – und fährt im Flüchtlingskonvoi mit.

Felix Loch zählt seit mehr als einem Jahrzehnt zu den weltbesten Rodlern. Der Kosmos des Olympiasiegers aus Berchtesgaden hört aber nicht neben dem Eiskanal auf, der 32-Jährige engagiert sich für Hilfe für die Menschen aus der Ukraine. Dafür geht Felix Loch bis an die Grenzen.

Hallo Herr Loch, welches Thema steht derzeit ganz oben auf Ihrer To-do-Liste? Sport, Familie oder die Ukraine-Hilfe?

Alles, könnte man sagen. Das Training ist jetzt wieder wichtig, ich befinde mich schon voll in der Vorbereitung auf den nächsten Winter, und das schaut ganz gut aus. Nach der Saison lief alles etwas ruhiger als früher, das haben wir bewusst so geplant, dann kam der Krieg in der Ukraine.

Sie haben sich in die Hilfe für die Menschen eingebracht.

Das war doch klar, dass man hilft, wenn man die Zeit dafür findet. Das mache ich immer noch, auch wenn es gerade im Moment ein bissel schwieriger ist, weil ich wieder mehr Termine habe. Aber wenn ich die Zeit finde, dann binde ich mich gerne ein und unterstütze die Hilfe.

Sie sind im Verein „Athletes for Ukraine“, der vom Ex-Biathleten Jens Steinigen gegründet wurde, auch Ihre Frau Lisa zählt zu den Gründungsmitgliedern.

Genau, der Verein wächst und wächst; das macht es einerseits einfacher, weil man die Arbeit besser aufteilen kann, aber auch komplizierter, weil es mehr zu organisieren gibt. Ich tu’, was ich kann.

Was tun Sie denn gerade?

Unterschiedlich. Ich war ja zweimal im Konvoi, der Hilfsgüter an die ukrainisch-polnische Grenze transportiert und Flüchtlinge von dort mit zurück nach Deutschland gebracht hat. Das läuft noch immer, aber jetzt fahren große Busse, wir sind damals noch mit Kleinbussen unterwegs gewesen. Aktuell mache ich mit, wenn wir die Mamas und die Kinder einladen, um gemeinsam Sport zu treiben. Einmal waren wir in Prien am Chiemsee, wo wir einen Spielnachmittag in der Turnhalle veranstaltet haben – wir haben den Kindern einen schönen Tag bereitet. Es ist auch wichtig, dass sich die Leute untereinander vernetzen. Wenn ich auf meinen Terminen unterwegs bin, mache ich beispielsweise auch immer aufmerksam auf unsere Arbeit.

Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie zum ersten Mal im Hilfskonvoi unterwegs waren?

Man weiß nicht, was auf einen zukommt, aber man macht das einfach, ohne groß zu überlegen, was alles passieren könnte. Ich habe schon so viele schöne Dinge in meinem Leben erleben dürfen, deshalb wollte ich etwas zurückgeben an die, denen es nicht so gut geht. Deswegen war ich sofort dabei, als Jens mich gefragt hat. Wenn man an der Grenze steht und die Flüchtlingslager mit den Familien sieht, läuft es einem schon eiskalt den Rücken runter, weil man ja selber zwei Kinder daheim hat, denen es gut geht und die alles haben, was sie brauchen. Ich habe nicht groß nachgedacht, sondern einfach geholfen, wo es nötig war, Hilfsgüter verteilt und die Plätze für die Rückfahrt vollgemacht. Meine Frau war dabei, die hat das extrem mitgenommen, deshalb war sie beim zweiten Mal nicht mehr dabei.

Sie konnten besser damit umgehen?

Ja, ich glaube, das kommt auch vom Sport. Natürlich hat es mich mitgenommen, aber ich habe einfach funktioniert, so wie man das im Sport im Wettkampf macht. Das hat mich geprägt, dass ich mich nicht ablenken lasse, wenn es drauf ankommt und das leiste, was man von mir erwartet. Da war das für mich ein bissel einfacher als für meine Frau. Aber man muss sagen, das prägt einen schon, das wird man sein Leben lang mit sich tragen.

Was war dabei so bedrückend?

Die gesamte Situation in den Auffanglagern. Leute, die seit fünf Tagen auf der Flucht quer durch die Ukraine waren und nicht wussten, wie es weitergeht. Und als sie in unserem Kleinbus saßen, war das für sie die nächste Reise ins Ungewisse. Da war dann auch die Sprachbarriere, Englisch haben viele gar nicht oder nur schlecht gesprochen und von uns keiner Ukrainisch. Wir konnten ihnen nicht mitteilen, wohin wir fahren, wie lange es dauert und was dort dann passiert. Das haben wir unterschätzt, deshalb haben wir bei der zweiten Fahrt Dolmetscher dabeigehabt. Wir haben die Leute nach ihrer ersten Nacht in Inzell besucht, da haben wir gesehen, wie glücklich sie dann doch waren.

Es herrscht viel Not auf der Welt, warum setzen Sie sich für die Ukraine ein?

Diese Frage höre ich oft. Es ist ein Konflikt vor unserer Haustüre. Von Berchtesgaden an die ukrainische Grenze sind es etwa 1000 Kilometer, das ist die gleiche Entfernung wie von Berchtesgaden nach Kiel. Es ist halt nicht weit, und deshalb ist es für mich etwas anderes, auch weil die Kultur ähnlich zu unserer ist.

Jens Steinigen hat den Verein ins Leben gerufen, der Großteil der Mitglieder stammt aus dem Wintersport. Wird die Basis noch ausgebaut? Es wäre doch hilfreich, wenn Stars aus dem Fußball oder anderen Mannschaftssportarten dabei wären.

Da sind wir definitiv dran, das Ziel ist, den Verein zu vergrößern. Es müssen ja nicht mal Sportler sein, wir sind für alle Helfer offen. Natürlich wären große Namen gut, sie hätten eine gewaltige Reichweite.

Wollen Sie nicht mal auf den FC Bayern München zugehen?

Das haben wir gemacht, da haben wir ja ganz gute Kontakte. Aber der FC Bayern hat seine eigene Strategie, wo und wie er bei Hilfsprojekten aktiv wird.

Engagiert sich Deutschland aus Ihrer Sicht ausreichend bei der humanitären Hilfe?

Ich denke schon. Wenn man sieht, wie groß die Unterstützung ist, da müssen wir uns nichts nachsagen lassen. Wenn es darum geht, dass wir zusammenstehen und gegenseitig helfen, da halten wir schon zusammen, das hat man bei der Flutkatastrophe im Ahrtal gesehen. Die Hilfe jetzt funktioniert sehr gut, auch wenn man sagen muss, dass die Bürokratie in Deutschland manches erschwert, da könnte man vieles einfacher gestalten.

Die Sportwelt sanktioniert Athleten und Athletinnen aus Russland mit einem weitreichenden Startverbot. Ist das aus Ihrer Sicht ein richtiger Schritt?

Definitiv, wenn ich auch zugeben muss, dass ich hin- und hergerissen bin. Ich kenne auch einige russische Sportler, zu denen ich Kontakt habe. Die sind sehr vorsichtig mit dem, was sie sagen. Ich denke, dass sie sich nicht immer so äußern können, wie sie wollen, weil es sonst mit der Karriere schnell vorbei sein könnte. Bei manchen lebt die ganze Familie von dem Geld, das der Sportler mit nach Hause bringt. Ich befürchte, dass, wenn man etwas Falsches sagt, man vielleicht nicht gleich im Arbeitslager landet, aber manche seiner Privilegien einbüßt. Es gibt garantiert viele Menschen in Russland, die gegen diesen Krieg sind, die sich aber nicht äußern können oder wollen, weil sie sonst um ihr Leben fürchten. Sollte sich aber ein russischer Sportler für diesen Krieg aussprechen, möchte ich ihn in Wettkämpfen nicht mehr sehen.

Eine Trennung von Sport und Politik ist ohnehin ein Märchen, oder?

Sicher, man hat es ja auch bei den Spielen in Peking gesehen. Wer behauptet, Sport und Politik schließen sich aus, ist so weit weg vom Sport wie ich vom Stricken. Das kann man nicht wegreden.

Muss man bei der Vergabe von Großveranstaltungen nun neue Maßstäbe anlegen?

Auf jeden Fall. Ich hoffe, dass wir mit den Spielen 2026 in Mailand und Cortina in die richtige Richtung gehen – weg von diesen überdimensionierten Spielen. Immer noch größer, immer noch mehr, davon muss man weg. Dann sind wird endlich da, wo der Wintersport gelebt wird und hingehört. Eigentlich brauchen wir nur fünf Standorte für Olympische Spiele, damit könnten wir die Spanne von 20 Jahren überbrücken – mehr erlebt ein Athlet im Normalfall sowieso nicht. Man muss nicht alle vier Jahre etwas Neues bauen, damit würden die vorhandenen Sportstätten auch intensiver genutzt.

Glauben Sie, dass in absehbarer Zeit in Deutschland wieder Olympische Spiele stattfinden?

Schwierig. (Lacht.) Im Wintersport haben wir es zweimal probiert, dabei einmal gemeinsam mit Salzburg. Ich kann mir schon vorstellen, dass wir Sommerspiele sehr gut ausrichten würden, und wenn, dann in Berlin – ich finde, so eine Veranstaltung gehört in die Hauptstadt. Über Sommerspiele könnten wir reden, über Winterspiele wohl nur in Kooperation mit Österreich. Ich würde mich freuen, wenn wir’s noch mal hinbekommen würden.