Für geflüchtete Frauen ist es schwierig, dem gewalttätigen Mann zu entkommen. Foto: dpa/Maurizio Gambarini

Sie sind dem Krieg entronnen, doch ihr Leid hat kein Ende. Für viele geflüchtete Frauen gehört häusliche Gewalt zum Alltag. Die Beratungsstelle Frauen und Information kann mit einem speziellen Angebot helfen.

Stuttgart - Endlich im sicheren Land! Doch die geglückte Flucht aus dem Krisengebiet oder dem Krieg ist für viele geflüchtete Frauen noch lange nicht das Ende ihres Leids. Für viele geht die körperliche, psychische oder sexualisierte Gewalt durch den Ehemann hierzulande genauso weiter wie zuvor in der Heimat, oder sie wird angesichts der schwierigen Lebenssituation in einer beengten Unterkunft und der fehlenden Perspektiven sogar noch schlimmer.

Die „Beratung und Information für Frauen“ (Bif), die im Verein Frauen helfen Frauen angesiedelt ist, kann jetzt mit Fördermitteln der Aktion Mensch ihr im Januar 2018 begonnenes Projekt „Gewaltschutz für geflüchtete Frauen“ für weitere zwei Jahre fortführen. „Die Nachfrage war so hoch, dass wir eine weitere Förderung beantragt haben“, sagt Lisa Veit, die im Projekt für die pädagogische Betreuung der geflüchteten Frauen zuständig ist. „Dass wir nun weitermachen können, freut uns sehr.“

Befreiung aus dem Teufelskreis

In den zurückliegenden drei Jahren gab es im Bif 212 Beratungen für geflüchtete Frauen, die sich aus dem Teufelskreis von ehelicher Gewalt befreien wollen. Lisa Veit betont, dass die Zusammenarbeit mit ihnen besonders zeitintensiv sei, das liege nicht nur an den Sprachproblemen: „Unser Konzept von Beratung kennen die Frauen nicht. Wir müssen beispielsweise immer wieder klarmachen, dass wir für sie keine Entscheidungen treffen können, sondern sie nur beraten.“

Aleyna S. (der Name ist aus Sicherheitsgründen geändert) ist eine der Frauen, die bei Lisa Veit Hilfe fand. Die Misshandlungen und Demütigungen durch ihren Mann hatten gleich nach ihrer Zwangsverheiratung in ihrem Herkunftsland Syrien begonnen. „Dort war ich deswegen dreimal im Krankenhaus“, erzählt sie. Auch einen Suizidversuch hat sie hinter sich, da war sie 16 und schon Mutter. Heute ist sie 27 Jahre alt und hat vier Kinder. Ihnen gegenüber wurde der Ehemann zwar nie gewalttätig, versichert sie, aber dennoch hatte immer Angst um sie.

Zwangsheirat mit 13 Jahren

Als sie 13 war, arrangierten die beiden miteinander verwandten Familie die Hochzeit: Ihr zukünftiger Ehemann war damals 30! Mit 15 brachte sie ihr erstes Kind zur Welt. Dass eine ihrer Töchter ebenfalls in so jungem Alter verheiratet werden könnte, ist heute für sie undenkbar. „In Syrien sagt man, wenn ein Mädchen mit 15 noch nicht verheiratet ist, ist für sie der Zug abgefahren“, berichtet sie und lächelt in die Kamera. Wegen Corona muss das Gespräch digital geführt werden – der Dolmetscher ist zugeschaltet, denn sie spricht kaum Deutsch.

Über die Türkei und Griechenland flüchtete die Familie nach Deutschland. Aleyna war mit dem vierten Kind im achten Monat schwanger. „Ich bin vor der Entbindung allein nach Deutschland ausgereist.“ Sonst wäre es wegen der Dokumente für das Neugeborene schwierig geworden.“ Das war Anfang 2018. Der Ehemann blieb mit den drei älteren Kindern zunächst in Griechenland zurück. „Natürlich habe ich in Deutschland daran gedacht, dass jetzt die Gelegenheit wäre, ihn zu verlassen. Aber ich musste warten, bis er mit den anderen Kindern nachgekommen war“, sagt sie nüchtern. Sie wollte nicht riskieren, dass er ihr die Kinder wegnimmt. Damit hatte er oft gedroht.

Familie droht nach der Trennung

Nachdem die Familie in Deutschland wieder vereint war, gelang es Aleyna zusammen mit ihren vier Kindern, den Mann zu verlassen. Sie schaffte es, in eine andere Flüchtlingsunterkunft umzuziehen. Deswegen erhielt sie üble Beschimpfungen seitens der Familien, auch von ihrer eigenen: Sowohl aus Syrien als auch von Verwandten des Mannes, die in Deutschland leben, wurde ihr gedroht. Ihr Ehemann bekam Hausverbot für die Unterkunft, in der sie und die Kinder lebten, denn die Nachbarn hatten mehrfach die Polizei gerufen wegen ihrer Schreie, wenn er gekommen war und sie verprügelte. Das Hausverbot kümmerte ihn allerdings wenig. Immer wieder tauchte er auf, immer wieder wurde er gewalttätig. „Von den anderen Geflüchteten half mir niemand“, erzählt sie. „Nur die deutschen Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen.“

Ohne ein Wort Deutsch zu sprechen gelang ihr eine zweite Flucht: ins Frauenhaus – und von dort aus hat sie sich unter anderer Identität und in einer anderen Stadt eine eigene Existenz aufgebaut. Aleyna versteht mittlerweile einigermaßen Deutsch. Einen Sprachkurs kann sie jedoch erst machen, wenn sie einen Kitaplatz für das Jüngste hat und die Coronakrise soweit überwunden ist, dass die Kurse wieder stattfinden.

Große bürokratische Hürden

Der Neuanfang wäre für sie ohne das Bif-Projekt kaum zu bewerkstelligen gewesen. Denn die Zugangshürden für einen Frauenhausaufenthalt für Frauen, die sich noch im Asylverfahren befinden, sind hoch: Das beginnt damit, dass sie am Wohnort bleiben müssen. Die Flucht in ein Frauenhaus bedeutet jedoch fast immer einen Ortswechsel, schon aus Sicherheitsgründen. Somit muss die häusliche Gewalt gegenüber der Ausländerbehörde erst einmal bewiesen werden.

Die zweite Hürde stellt sich bei der Finanzierung des Aufenthalts im Frauenhaus. Wie Aleyna leben die Frauen von Zuweisungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Der Kostenträger muss von der Notwendigkeit des Umzugs in ein Frauenhaus überzeugt werden, damit der Aufenthalt dort finanziert wird. Dies kann eine Frau in der Situation von Aleyna, noch dazu ohne ausreichende Sprachkenntnisse, nicht alleine bewerkstelligen.

Corona stoppt die Information

Für Frauen, die im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland kamen, besteht drei Jahre lang eine Bindung an den Partner. „Viele befürchten, dass sie den Aufenthalt verlieren werden, wenn sie sich trennen“, weiß Lisa Veit aus ihrer Arbeit. Tatsächlich kann diese sogenannte Bestandszeit für die Partnerschaft außer Kraft gesetzt werden, wenn es Anzeichen für häusliche Gewalt gibt.

Vor der Coronakrise informierte das Bif regelmäßig in den Flüchtlingsunterkünften über seine Angebote. Dies ist derzeit nicht mehr möglich. „Die Frauen finden deswegen ausnahmslos über die Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen sowie die Ehrenamtlichen in den Unterkünften zu uns“, sagt Lisa Veit und hofft darauf, sehr bald wieder vor Ort über das Bif-Projekt informieren zu können.