Jüdische Mitbürger wurden im vergangenen Jahr häufig angefeindet. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

In Baden-Württemberg ist die Zahl der gegen Juden gerichteten Straftaten um die Hälfte gestiegen – und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Opposition sieht den Innenminister in der Pflicht.

Stuttgart - Die Zahl der antisemitischen Straftaten in Baden-Württemberg ist im Jahr 2021 um fast die Hälfte gestiegen. 337 Fälle verzeichnet das Innenministerium. Dem stehen 228 Fälle aus dem Jahr 2020 gegenüber. Für Oliver Hildenbrand (Grüne) ist das eine alarmierende Zahl. „Durchschnittlich wurde allein in Baden-Württemberg fast täglich eine antisemitische Straftat begangen“, erklärte er. Und das seien nur die den Behörden bekannten Fälle. Er fordert, „der im Koalitionsvertrag vereinbarte Aktionsplan gegen Hasskriminalität muss jetzt mit Hochdruck ausgearbeitet und ressortübergreifend umgesetzt werden“.

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FDP: Inhaltsleere beim Minister

Der oppositionellen FDP reichen Worte und der Appell an den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt nicht aus. Fraktionsvize Nico Weinmann spricht sich für „ein entschiedenes Vorgehen der Sicherheitsbehörden“ und ein „konsequentes Unterbinden der Nutzung antisemitischer Symbole auf Demonstrationen“ aus. Nötig sei auch, die Justiz im Bereich der Hasskriminalität deutlich zu stärken. Innenminister Thomas Strobl (CDU) wirft Weinmann einen „inhaltsleeren Kurs vor“. Den ressortübergreifenden Kabinettsausschuss gegen Hass und Hetze, auf den Strobl und die grün-schwarze Koalition große Hoffnungen setzen, hält die FDP für wirkungslos.

SPD hat genug von „Sonntagsreden“

Konkretes Handeln statt „Sonntagsreden“ verlangt auch die SPD. Ihr Verfassungsschutzexperte Boris Weirauch erinnert an 40 offene Haftbefehle gegen Rechtsextremisten. 35 „aktenkundige Rechtsextremisten“ dürfen Weirauch zufolge „mit staatlicher Erlaubnis immer noch Schusswaffen besitzen". Das nennt der Abgeordnete „ein Sicherheitsrisiko“. Er erinnert daran, dass Strobl schon im Juni 2021 eine Schutzverordnung für jüdische Einrichtungen angekündigt habe. „Bisher ist nichts passiert, Strobl muss jetzt endlich seine Hausaufgaben machen und liefern“, sagt Weirauch.

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Insgesamt registrierte das Innenministerium im vergangenen Jahr 883 Fälle von Hasskriminalität (2020 waren es 746). Allein 670 davon kamen aus dem rechten Spektrum. Meist ging es um Volksverhetzung und Gewaltdarstellung. Es folgen Beleidigungen und Propagandadelikte. Von den antisemitisch motivierten Straftaten wurden 100 im Kontext der Pandemie erfasst.

Innenministerium startet Social-Media-Kampagne

CDU-Fraktionschef Manuel Hagel hat die Devise „Null Toleranz bei Hasskriminalität und Antisemitismus“ ausgegeben. Innenminister Thomas Strobl, der wegen einer Coronainfektion im Krankenhaus liegt, hatte schon in der vergangenen Woche gesagt, die erfassten Taten seien nur die Spitze des Eisbergs. „Wir wollen, dass dieser Berg aus Hass und Hetze schmilzt- und zwar auch unterhalb der Oberfläche“. Es gehe auch um eine gesellschaftliche Kurskorrektur. Das Ministerium verweist darauf, dass das Land für den Schutz jüdischer Einrichtungen in den kommenden drei Jahren jährlich rund eine Million Euro zur Verfügung stellen will.

Noch im ersten Quartal dieses Jahres soll eine Kampagne in den sozialen Medien starten, die für Hass und Hetze sensibilisiert. In einem Modellprojekt geht es zudem etwa um das Löschen strafrechtlich relevanter Hasspostings und die Einrichtung von Spezialdezernaten bei den Staatsanwaltschaften.