Seit Corona stecken viele Clubs in der Krise. Ein vorübergehendes Hoch beschert ihnen jedoch Halloween. Die Gruselpartys sind ein Umsatzbringer – und die Auswahl zwischen Boa und Mash ist riesig.
Für die Nacht vor Allerheiligen ist die Boa seit Tagen ausverkauft. Auf der Warteliste, berichtet Betreiber Henrik Biegger, stehen inzwischen 700 Namen. Hunderte haben E-Mails geschickt, weil sie bei der Halloween-Party in der dann blutrünstig umdekorierten Location an der Tübinger Straße dabei sein wollen. Auch andere Nachtstationen der Stadt melden erfreut, dass der Run auf den Grusel-Spaß in diesem Herbst besonders groß ist.
Jens Herzberg, den man eine DJ-Legende nennt, weil er seit 1984 in Stuttgart auflegt, lädt an Halloween seit 20 Jahren unter dem Titel „Sing du Sau“ zu Karaoke im Schlesinger ein. Bei der durchgeknallten Show bekommen meist diejenigen den stärksten Beifall, die am peinlichsten sind. „Oft sind richtig gute Sänger dabei“, sagt Herzberg. Das Publikum aber liebt die Misstöne. Wer richtig schön falsch singt, ist der Größte einer gnadenlosen Nacht.
„Der Club-Hype ist vorbei“, konstatiert DJ Jens Herzberg
Bei der singenden Sau dürfte es voll werden im Schlesinger. Einen Vorverkauf gibt es nicht, nur die Abendkasse – dort beginnt der Kampf um Karten gegen 21 Uhr. „Der Club-Hype ist vorbei“, sagt Herzberg. Als Gründe dafür nennt er: Corona, hohe Preise, die „generelle wirtschaftliche Lage“ und ein verändertes Ausgehverhalten, weil man auf Partnersuche nicht mehr in die Disco gehe, sondern bei Tinder hin- und her wische. Bei speziellen Events, etwa bei der 80er-Party in der Staatsgalerie oder eben an Halloween, brummten die Läden zum Glück wieder.
Ob Perkins Park, Zubrovka, SI-Centrum, Hi Life, LKA Longhorn, Proton oder das queere Halloween von Fame im Mash – die Auswahl zum Gruseln ist riesig. Überall kostümieren sich die Gäste, wie zuletzt mit Dirndl und Lederhosen auf dem Cannstatter Wasen. Und wer sich nicht verkleiden will, darf trotzdem mitfeiern – also um sich etwa darüber zu amüsieren, wie Clubs zu Geisterbahnen werden.
Stuttgarts Nachtmanager Nils Runge verweist darauf, dass trotz des Zwischenhochs an Halloween die Situation für Clubs „nach ihren eigenen Aussagen immer noch größtenteils angespannt“ sei. Seit der Pandemie und durch die gegenwärtigen Krisen habe sich „ das Ausgehverhalten vieler Menschen merklich verändert“, erklärt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Dies betreffe vor allem die größeren Clubs.
„In unserer zunehmend individualisierten Gesellschaft suchen Menschen verstärkt nach einzigartigen und maßgeschneiderten Erlebnissen“, beobachtet Runge vom Pop-Büro Region Stuttgart und fährt fort: „Diese Veranstaltungen sprechen ein Publikum an, das nach Abwechslung und neuen, innovativen Angeboten sucht.“ Die Herausforderung für Bars und Clubs bestehe daher zunehmend darin, „mit kreativen Konzepten und Events neue und alte Zielgruppen zu erreichen, um auch langfristig erfolgreich und wettbewerbsfähig zu bleiben.“
Hinzu kämen wirtschaftliche Faktoren, die das Ausgehverhalten beeinflussten, sagt Runge: „Steigende Lebenshaltungskosten, vor allem in teuren Städten, lassen weniger Spielraum für Freizeitaktivitäten. Auch das größere Streaming-Angebot verändert die Art, wie Menschen ihre Freizeit gestalten. Zudem legen insbesondere jüngere Menschen großen Wert auf soziale Verantwortung und ökologische Nachhaltigkeit, was sich unmittelbar auf die Wahl der Veranstaltungen auswirkt.“
Was der Nachtmanager fordert
Hohe Gagen und steigende Kosten erschwerten darüber hinaus das wirtschaftliche Handeln von Betrieben oder verringere die Gewinnmargen. „Das macht die Lage noch schwieriger“, konstatiert Stuttgarts Nachtmanager.
Trotz der kulturellen und gesellschaftlichen Bedeutung von Clubs fehle es weiterhin „an einer flächendeckender Unterstützung“, klagt er. Die Konkurrenz durch andere Freizeitangebote wachse, und es gebe bürokratische Herausforderungen. Runge fordert: „Wir brauchen dringend Maßnahmen auf kommunaler, Landes- und Bundesebene, die das Handeln von Clubs erleichtert.“ Es sei wichtig, „die gesellschaftliche Funktionen von Clubs zu unterstützen und sie als Orte des sozialen Austauschs, der Diversität und des kulturellen Schaffens zu erhalten und zu fördern“.