Winfried Kretschmann ist der einzige grüne Ministerpräsident Deutschlands. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Er ist der einzige grüne Ministerpräsident: Winfried Kretschmann bleibt mit seinen 72 Jahren der große Trumpf der Ökos bei der Wahl im Südwesten. Doch der personelle Aderlass, die Schmach bei der OB-Wahl in Stuttgart und eine Raseraffäre machen den Grünen zu schaffen.

Reutlingen - Drei Monate vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg wollen die Grünen Ministerpräsident Winfried Kretschmann erneut zum Spitzenkandidaten küren. Bei einem wegen der Corona-Pandemie größtenteils digitalen Parteitag an diesem Samstag und Sonntag soll zudem das 130-seitige Wahlprogramm mit dem Titel „Wachsen wir über uns hinaus“ beschlossen werden. Lediglich die engere Parteispitze wird in der Stadthalle Reutlingen vor Ort sein. Grünen-Bundeschef Robert Habeck hat sein Kommen wegen der Infektionslage abgesagt, wird aber eine Videobotschaft schicken.

Kretschmann hält sich die Koalitionsfrage offen

Die Grünen führen seit zehn Jahren die Regierung in Baden-Württemberg an - vorher stellte fast sechs Jahrzehnte die CDU den Ministerpräsidenten. Von 2011 bis 2016 hatte die Ökopartei mit der SPD regiert, danach ging sie eine Koalition mit der CDU ein. Während Grünen-Landeschefin Sandra Detzer eine grün-rote Koalition nach einem Wahlsieg am 14. März bevorzugen würde, will sich Kretschmann nicht auf ein Bündnis festlegen. Zumal im Bund vieles für eine Koalition aus Union und Grünen nach der Wahl Ende September spricht. Im Land liegen in Umfragen mal die Grünen vorn, mal rangiert die CDU mit ihrer Spitzenkandidatin, Kultusministerin Susanne Eisenmann (56), vorn.

Eisenmann lange nicht so bekannt und beliebt wie ihr Chef

Der im Land beliebte Kretschmann hatte lange überlegt, ob er für eine dritte Amtszeit antreten soll, sich dann aber dafür entschieden - wohl auch mangels einer echten Alternative. Im direkten Vergleich hängt der 72-jährige Amtsinhaber seine Herausfordererin deutlich ab, wie eine Umfrage Mitte November ergab. Wenn man den Ministerpräsidenten direkt wählen könnte, würden sich nur 13 Prozent für Eisenmann entscheiden, 66 Prozent für Kretschmann.

Gleichwohl steht die Frage im Raum, ob Kretschmann bei einem Wahlsieg die ganze Legislaturperiode regieren will oder schon vorher für einen jüngeren Nachfolger den Platz freimachen könnte. Bei den Grünen wird diese Frage aber nur hinter vorgehaltener Hand gestellt. Eine echte Kronprinzessin oder einen Kronprinzen gibt es nicht.

Hinter Kretschmann lichten sich die Reihen

Stattdessen steht bei den Grünen zur nächsten Wahlperiode ein Generationswechsel an. Bewährte Kräfte wie Finanzministerin Edith Sitzmann und Umweltminister Franz Untersteller hören auf. Letzterer musste jüngst auch noch Spott über sich ergehen lassen, weil er mit seinem Auto mit 177 Sachen über die Autobahn gerast war, obwohl nur 120 km/h erlaubt waren. Fritz Kuhn ist als Stuttgarter OB nicht mehr angetreten. Prompt ging die Wahl mit der Kandidatin Veronika Kienzle klar verloren. Der letzte grüne OB in einer größeren Stadt ist Boris Palmer in Tübingen. Doch der ist wegen diverser Provokationen vor allem für Parteilinke ein rotes Tuch.

Zum Parteitag ging Palmer auf seine Partei zu. Er wünsche sich ein besseres Verhältnis zu seiner Partei, sagte er „Stuttgarter Zeitung“ und „Stuttgarter Nachrichten“ (Samstag). Der Landesvorstand der Grünen hatte Palmer im Mai den Parteiaustritt nahegelegt - wegen dessen umstrittenen Äußerungen über ältere Menschen in der Corona-Pandemie („Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären“). Mit dem Vorstandsbeschluss habe man ihm den Stuhl vor die Tür gesetzt, dieser Beschluss sei noch nicht rückgängig gemacht worden, sagte Palmer. „Aber ich würde mir eine Versöhnung wünschen.“

Grüne Jugend drängelt bei Klimaschutz

Beim wichtigen Wahlkampfthema Klimaschutz dringt die Grüne Jugend darauf, dass Baden-Württemberg bis 2035 klimaneutral wird. Im Entwurf der Parteiführung für das Wahlprogramm steht bisher lediglich, dass Baden-Württemberg „so schnell wie möglich“ klimaneutral werden soll. Um das zu ermöglichen, müssten alle Treibhausgase vermieden oder gespeichert werden. Nötig dafür wären unter anderem eine schnelle Abkehr von Kohle, Öl und Gas, ein rascher Umstieg auf Ökostrom und Fahrzeuge ohne Abgase sowie die Renovierung von Millionen Häusern.

Gentechnik bleibt Zankapfel

Sehr umstritten bleibt bei den Grünen weiter die Gentechnik. Die Führung habe im Entwurf deutlich gemacht, dass die Freiheit der Forschung gewährleistet sein müsse, erläuterte Detzer. Es müsse aber klar sein, dass die Grünen eine Wende zur ökologischen Landwirtschaft ohne Gentechnik wollten.