Die Zivilisation liegt in Trümmern – in Simon Stålenhags „Das Labyrinth“. Foto: Fischer Tor /Simon Stålenhag

Der Schwede Simon Stålenhag führt in seiner Graphic Novel „Das Labyrinth“ in eine faszinierende Trümmerwelt. Und manches kommt einem sehr vertraut vor.

Irgendwas ist hier gründlich schiefgelaufen. Die Erde sieht ziemlich unbewohnbar aus auf den Bildern von „Das Labyrinth“. Die faszinierende Tristesse saugt einen sofort ein. Der neueste „illustrierte Roman“ – man darf auch Graphic Novel sagen – des 38-jährigen Schweden Simon Stålenhag untertreibt anfangs sogar noch. Im Lauf der Geschichte wird erst klar, wie lebensfeindlich die Erdoberfläche geworden ist, wie wenige Menschen in einer Bunkeranlage namens Kungshall überlebt haben – und um welchen Preis.

Erzählen in der Todeszelle

Stålenhag zeigt zunächst nur eine winzige Momentaufnahme, aber der Horizont weitet sich in zwei ineinander geschobenen Rückblenden. Eine Frau, eine Wissenschaftlerin, sitzt in einer Todeszelle in Kungshall. Sie erzählt vom letzten Auftrag ihres Lebens: wie sie mit ihrem Bruder, einem Militärangehörigen, sowie einem schwierigen Teenager, für den sie Elternfunktion übernommen haben, eine routinemäßige Datensammeloperation an der kaputten Erdoberfläche durchgeführt hat. Also dort, wo seltsame schwarze Sphären nach und nach Atmosphäre, Boden und Wasser vergiftet haben. Auf dieser Expedition geht es um die Entstehung von Kungshall, um ein apokalyptisches Szenario der Auslese: Bunker bieten eben nie Platz für alle.

Stålenhags poetisch morbiden Stil, seine Szenarien des post- und schwellenapokalyptischen Lebens kennt man schon aus „Tales from the Loop“, „Things from the Flood“ und „The Electric State“. Aber in „Das Labyrinth“ ist der Stil noch ein bisschen ausgereifter. Hier treffen die kaltschnäuzige Genauigkeit des oberflächenverliebten Fotorealismus und die Stimmungsdichte grüblerisch-melancholischer Ölmalerei knisternd aufeinander. Obendrein ist das Ganze Illusionstheater allererster Güte: Stålenhag arbeitet nicht mit Pinsel und Ölfarben, sondern mit Tablet und Computer.

Besser als die Streamingserien

So großartig Stålenhags Bilder sind, ihre stärkste Wirkung liegt in ihrem Ungenügenden. Sie zeigen eben nicht alles, ständig möchte man mehr wissen, in sie hineintreten und dann über die Schulter oder wenigstens ein bisschen weiter nach links oder rechts schauen. Der karge Text steht übrigens als normale Prosa zwischen den Bildern, nie in Balken oder Sprechblasen in den Bildern. Daher Stålenhags altmodische Beschreibung der Werke als „illustrierte Romane“.

Weniger ist hier mal wieder deutlich mehr. Ausgehend von einer kleinen individuellen Geschichte, streut Stålenhag Infobrösel und Andeutungen, die ein eindringliches Bild der Welt und Katastrophe vermitteln, aber doch die Neugier wachhalten. Beständig fällt einem dabei auf, wie das alles in einer aktuellen Streamingserie bis zum Geht-nicht-mehr ausgewalzt und durcherklärt würde.

Vertrautes Verhalten

Interessanterweise hat eine Serie, „Tales from the Loop“ bei Amazon Prime Video, mal versucht, ein Stålenhag-Buch adäquat rätselhaft und zurückhaltend umzusetzen. Das ist interessant geraten und unbedingt einen Blick wert. Aber wo einen in den Büchern ein permanentes Gruselgefühl gefangen nimmt, schrammt die Serie ab und an mal an vornehmer Langweiligkeit entlang.

In „Das Labyrinth“ ist nichts von Langeweile zu spüren. Auch abgehoben ist das Ganze nicht, so bizarr die Bilder auch scheinen. Erst mal, erzählt Stålenhag, habe die Menschheit versucht, die sich klar entfaltende Katastrophe einfach zu ignorieren. Das kommt einem dann doch sehr realistisch und bekannt vor.

Simon Stålenhag: „Das Labyrinth“. Graphic Novel. Aus dem Schwedischen von Stefan Pluschkat. 152 Seiten. 36 Euro. Hier geht’s zur Leseprobe.