Die Arbeitsbedingungen bei den Lieferdiensten sind nicht immer ganz einfach. Die EU will das nun mit neuen Regeln verbessern. Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Millionen Menschen arbeiten inzwischen bei Lieferdiensten wie Uber und Deliveroo. Die EU will nun deren Arbeitsbedingungen verbessern, doch es gibt Widerstand.

Brüssel - Dominic weiß, dass er ausgebeutet wird. „Was soll ich tun“, sagt der junge Mann aus dem Kongo, „es ist die einzige Arbeit, die ich im Moment finde.“ Also liefert er mit dem Rad Pizza, Döner und Burger quer durch Brüssel zu den Kunden. Zusammen mit einigen Kollegen wartet er am Nebeneingang eines McDonald’s in der Fußgängerzone der belgischen Hauptstadt auf seine Bestellung. Ein kalter Wind treibt den Regen durch die Straßen, keiner der jungen Männer versucht in diesem Moment, den Job irgendwie schönzureden. Die meisten von ihnen haben keine Ausbildung, manche keinen Schulabschluss und alle brauchen das Geld zum Überleben.

Fahrer klagen in Belgien gegen Deliveroo

Dass ein belgisches Gericht in diesen Tagen über die Arbeitsverhältnisse bei Lieferdiensten geurteilt hat, wissen sie nicht. Über 100 Fahrer von Deliveroo hatten dagegen geklagt, dass sie als Selbstständige gewertet werden und wollten eine feste Anstellung bei der Plattform erzwingen. Die Richter sahen das allerdings anders und wiesen die Klage ab. Deliveroo hätte die Angelegenheit damit gerne abgehakt, bei der Urteilsverkündung wurde allerdings deutlich gemacht, dass das letzte Wort in dieser Sache noch nicht gesprochen sei.

Das sieht auch die Europäische Union so. Wie die EU-Kommission jüngst deutlich machte, sollen die Arbeitsbedingungen von Beschäftigten bei Dienstleistern wie Uber und Deliveroo deutlich verbessert werden. „Mit immer mehr Jobs, die durch digitale Arbeitsplattformen entstehen, müssen wir anständige Arbeitsbedingungen für alle sicherstellen, die ihr Einkommen aus dieser Arbeit beziehen“, unterstrich Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager. Das heißt, es sollen klare Regeln über den Status der Beschäftigung von Fahrern und Lieferanten geschaffen werden.

Die Lieferplattformen boomen in Europa

Das Geschäftsmodell der Plattformen ist denkbar einfach. Ihre Beschäftigten sind offiziell selbstständig. Somit müssen die Unternehmen sie nicht sozialversicherungspflichtig einstellen oder Urlaub bezahlen. Das sei aber Augenwischerei, glauben die Verantwortlichen bei der EU und gehen davon aus, dass von den EU-weit mehr als 28 Millionen Beschäftigten in der sogenannten Gig-Economy rund 5,5 Millionen „fälschlicherweise als Selbstständige eingestuft werden“.

Dabei wandelt die EU allerdings auf einem schmalen Grat. Denn zum einen soll der Boom der Plattformen nicht abgewürgt werden, schließlich werden dadurch Arbeitsplätze auch für Menschen geschaffen, die in vielen anderen Bereichen keinen Job finden. Auf der anderen Seite soll in Europa in diesem Bereich kein ungeschütztes Arbeitsprekariat entstehen, zumal der Sektor wirtschaftlich immer bedeutender wird. Nach Angaben der EU-Kommission stiegen die Einnahmen in der Plattformwirtschaft von rund drei Milliarden Euro im Jahr 2016 auf etwa 14 Milliarden Euro im vergangenen Jahr.

Großer Wildwuchs bei den Arbeitsverhältnissen

Im Moment herrscht bei der Regelung der Arbeitsverhältnisse noch ein großer Wildwuchs mit hunderten Urteilen nationaler Gerichte. Bei der Durchsetzung ihrer Interessen kämpfen die Plattformbetreiber mit sehr harten Bandagen. Anders als in Belgien entschied zum Beispiel in Spanien im August ein Gericht, dass die Arbeiter der Dienstleistungsplattformen als Angestellte anerkannt werden müssen. Deliveroo reagierte prompt und stellte seine Aktivitäten in dem Land einfach ein.

In Deutschland tobt bei dem Lieferdienst Gorillas seit Monaten ein Konflikt um bessere Arbeitsbedingungen zwischen den Beschäftigten und dem Unternehmen. Nach langen Auseinandersetzungen haben die Mitarbeiter nun zumindest einen eigenen Betriebsrat. Die Geschäftsführung hatte versucht, die Wahl gerichtlich zu verhindern, war damit aber zuletzt vor dem Landesarbeitsgericht Berlin gescheitert. Zudem verspricht die Plattform eine bessere Bezahlung und seinen Fahrern darüber hinaus eine bessere Ausstattung für den Winter.

Die EU präsentiert Regeln für die Plattformen

Die EU treibt aber eine europaweite Regelung voran. „Plattform-Arbeiter verdienen das gleiche Maß an Schutz wie jeder andere in der Europäischen Union“, unterstrich Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovksis in Brüssel und präsentierte einige Regeln, anhand derer in Zukunft festgelegt werden soll, ob jemand bei einer Plattform angestellt werden oder selbstständig bleiben sollte. Dabei soll nicht die einzelne Arbeitskraft, sondern die Plattform betrachtet werden.

„Der Vorschlag enthält eine Liste von Kriterien, von denen mindestens zwei erfüllt sein müssen, damit Plattformen als Arbeitgeber gelten“, so die Kommission. Dazu zählt etwa, ob elektronisch überwacht wird, wie die Arbeit ausgeführt wird oder ob es verbindliche Regeln in Bezug auf Erscheinungsbild und Verhalten gegenüber Kunden gibt. Berücksichtigt wird auch, ob die Plattform ihren Beschäftigten die Wahl bei der Arbeitszeit und der Ablehnung von Aufgaben lässt.

Die Reaktion der Plattformen ist eindeutig

Die Reaktion der Plattformen auf den Vorstoß der EU-Kommission ließ nicht lange auf sich warten. Der Vorschlag nehme denjenigen die Arbeit weg, die lieber flexibel und selbstständig arbeiteten. Uber bemängelte, dass der Kommissionsvorschlag „tausende Arbeitsplätze gefährdet, kleine Unternehmen kurz nach der Pandemie lahmlegt und Dienstleistungen beeinträchtigt, auf die europäische Verbraucher zählen“. Der Interessenverband Delivery Platforms Europe, der unter anderem Deliveroo und Uber Eats vertritt, warnte vor „negativen Folgen für Lieferanten selbst sowie für Restaurants und Kunden“. Arbeitnehmerorganisationen wie der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) begrüßten hingegen die Vorschläge der EU-Kommission. Der „Freifahrtschein“ für viele Anbieter, die viel zu lange riesige Gewinne eingefahren und sich ihren Verpflichtungen entzogen hätten, komme nun zu einem Ende, sagte Ludovic Voet vom EGB.

Ein langer Weg bis zu den Regelungen

Bis die Vorschläge in Kraft treten können, ist es allerdings noch ein sehr langer Weg. Als nächstes werden sich das EU-Parlament und die EU-Länder ausgiebig mit dem Gesetzesvorhaben der Kommission beschäftigen. Sie werden über Anpassungen verhandeln und am Ende müssen alle zu einem Kompromiss kommen.

Dem jungen Lieferanten Dominic in Brüssel ist dieser ganze Streit um angestellt oder selbstständig irgendwie egal. Er mache den Job ein paar Monate und werde bald etwas Besseres finden, erklärt er selbstbewusst. Seine Kollegen lachen, als sie diesen Satz hören. Genau das hätten sie auch gesagt, als sie ihren Job angetreten haben, das sei allerdings schon Jahre her.

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