Das Wichtigste, das aus Einzelhandelssicht zügig geklärt werden muss: Was wird aus dem Kaufhofgebäude? Foto: Nagel

Gewerbe und Handel in Bad Cannstatt haben ein schwieriges Jahr hinter sich. Die Sprecher des Einzelhandels wünschen sich ein Gesamtkonzept für das B-Zentrum und eine schnelle Lösung für das Kaufhof-Areal.

Bad Cannstatt - Corona, Aus des Kaufhofes, Leerstand. Für Bad Cannstatt ist es kein sonderlich gutes Jahr. Wie steht es mit der Altstadt und den Handel- und Gewerbetreibenden? Im Gespräch erzählen Dirk Strohm, Sprecher des Vereins Die Altstadt Bad Cannstatt (DABC), und Achim Barth, der Vorsitzende des Gewerbe- und Handelsverein, Verein für Dienstleistungen und Freie Berufe (GHV/VDF), von den Sorgen, Nöten und Wünschen.

Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf Ihre Mitglieder? Gibt es gar Gewinner?

Dirk Strohm: Gewinner gibt es in Bad Cannstatt keine. Das muss man ganz klar sagen. Weder in der Gastronomie noch im Handel. Ich denke, dass wir es überstanden haben, mit einem blauen Auge, hoffe ich. Es kommt jetzt auf den Herbst an. Ich denke, einen weiteren Lockdown können wir uns nicht erlauben. Das würde die Geschäfte völlig ruinieren. Ich hoffe, dass die Einzelhändler im Herbst Vollgas geben können.

Wie sieht es mit Veranstaltungen aus?

Strohm: Wir haben noch die Hoffnung auf den Weihnachtsmarkt, trotz Corona. Wir haben ja nicht den dicht gedrängten Markt. Das ist diesmal für uns ein großer Vorteil. Wir müssen im Herbst und im Weihnachtsgeschäft den Leuten etwas bieten, dass sie rausgehen und es genießen, auch ohne die Enge zu shoppen und zu flanieren. Ich glaube, die Menschen haben ein Bedürfnis rauszugehen. Wir sehen es jetzt. Wenn auf dem Marktplatz der Brunnen fließt, ist viel los. Die Marktstraße ist mittags super besucht. Ich denke, Corona hat vielleicht dazu beigetragen, dass ein bisschen darüber nachgedacht wird. Man hat gesehen, wie es aussieht, wenn alle Geschäfte zu sind. Vielleicht wird ja jetzt erst geschaut, was es vor der Haustüre gibt, bevor im Internet bestellt wird. Das würde schon sehr viel helfen.

Achim Barth: Bei unseren Handelsbetrieben ist es natürlich identisch. Unsere Handwerksbetriebe mussten erst einmal Hygienekonzepte erstellen, Arbeitsschutz und -sicherheit nach Vorgaben der Berufsgenossenschaften umsetzen, direkt beim Kunden vor Ort Schwierigkeiten managen. Ein anderes großes Problem: Wir hatten eine Firma, die musste 14 Tage zumachen, weil ein Mitarbeiter mit Symptomen aus dem Urlaub zurückkam. Wie geht man damit um? Das sind Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt. Ein anderes Thema: Viele Beschäftigte sind im Homeoffice unterwegs. Das funktioniert recht ordentlich, wurde ohne große Planung über Nacht umgesetzt. Das hat auch enorme Konsequenzen. Etwa für die Hotelbranche. Die ganzen Geschäftsreisen finden derzeit nicht statt. Da bricht vieles weg. Viel findet online statt, ohne Publikumsverkehr. Manche Hotels haben sogar noch zu.

Geplant waren ja zwei verkaufsoffene Sonntage, zum Volksfestumzug und am Martini. Einen Volksfestumzug gibt es nicht, also auch keinen verkaufsoffenen Sonntag. Wie sieht es zum Martini aus?

Strohm: Wir planen im Moment noch Martini, weil ja Veranstaltungen bis 500 Personen zulässig sind. Beim Martini-Schauspiel selbst haben wir nie mehr als 500 Leute. Wir haben ja auch noch genügend Platz, um das in verschiedene Bereiche zu teilen, sodass es keine großen Ansammlungen gibt. Wir müssen erst noch den Start der Schulen und Kitas abwarten. Es sind ja hauptsächlich Familien, die zu Martini kommen. Wenn es bei Schulen und Kitas keine Probleme gibt, behalten wir das Konzept bei. Genehmigt ist es ja. Wir hoffen, dass uns da keine Steine in den Weg gelegt werden.

Barth: Für den Niklasmarkt haben wir uns den September als Deadline gesetzt. Aber ich gehe davon aus, dass wir in diesem Jahr keinen Niklasmarkt haben. Wir müssten vermutlich reduzieren und das bringt uns nichts. Wir brauchen die Standanzahl, um Kosten zu decken. Entschieden wird es im September, aber ich bin zu 80 Prozent sicher, dass es in diesem Jahr keinen Niklasmarkt geben wird.

Jetzt zum Thema Kaufhof, der ja bekanntlich Ende Oktober zumacht. Was muss da jetzt aus Ihrer Sicht getan werden, auch städtebaulich und mithilfe der Wirtschaftsförderung?

Strohm: Ganz wichtig: Es muss schnellstmöglich etwas getan werden. Es müssen zügig Konzepte umgesetzt werden. Ein bisschen was kann die Wirtschaftsförderung beeinflussen. Aber es sind die Eigentümer, die entscheiden, was passiert. Nicht die Stadt.

Die Stadt könnte es kaufen.

Strohm: Ich glaube, die Eigentümer wollen nicht verkaufen. Ich hoffe, dass alles zügig und schnell funktioniert und wir innerhalb von drei Jahren etwas Neues stehen haben. Und es nicht ewig eine Brachfläche bleibt.

Hauptproblem sind die drei Eigentümer.

Barth: Meiner Meinung nach hilft da nur eins: Abriss und Neubau. Das Schlimmste wäre, wenn das Gebäude drei, vier Jahre leer steht. Die Stadt kann auf die Eigentümer Druck ausüben, dass diese schnell zu einer Entscheidung kommen. Und in dem Zusammenhang kann die Stadt das, was sie schon erworben hat, die Schwaben-Galerie, auch gleich mitabreißen.

Sinnvoll wäre doch ein Gesamtkonzept. Was müsste da Ihrer Meinung nach geschehen?

Barth: Aus meiner Sicht fängt es schon an, wenn man nach Bad Cannstatt anfährt. Wenn man mit der Bahn am Wilhelmsplatz ankommt, zeigt sich Bad Cannstatt von seiner hässlichsten Seite. Das ist der erste Ansatzpunkt, am Wilhelmsplatz muss endlich was passieren. Der Platz lädt im Augenblick nur zu einem ein: zum direkten Weiterfahren nach Fellbach. Die Stadt will ja im Zuge der Fußball-EM 2024 ein Gesamtkonzept umsetzen, etwa den Bahnhofsvorplatz verschönern. Man muss den Wilhelmsplatz, die Seelbergstraße, den Bahnhofsvorplatz und die Altstadt sinnvoll verbinden. Das wäre der große Wurf. Alles andere wird Bad Cannstatt nicht helfen.

Es ist ja nicht so, dass die Stadt nichts tut.

Barth: Das ist aber eher Stückwerk. Das große Ganze fehlt. Wenn ich einzelne Mosaiksteine mache für ein Gesamtkonstrukt, dann ist das auch viel verständlicher für die Öffentlichkeit. Aber wenn ich nur da mal was und dann dort mal was mache, ist das Stückwerk, das keiner fassen kann. Es braucht eine große Idee, die ich mit kleinen Maßnahmen umsetze.

Strohm: Das ist der Punkt. Wenn ich eine einheitliche Beleuchtung vom Bahnhof bis zum Neckar hätte, wäre das schon mal schön. Oder eine einheitliche Beschilderung. Das sind Kleinigkeiten, aber die bringen etwas. Die Schilder wurden uns schon vor zwei Jahren versprochen. Und das verstehe ich nicht. Gelder stehen bereit, das Layout ist klar, es ging schon durch den Bezirksbeirat. Aber es liegt immer noch in der Schublade. Das regt mich auf. Es braucht alles immer ewig. Wie das Parkleitsystem. Das wird einem alle fünf Jahre neu versprochen. Dann wird neu geplant. Da wird Geld ausgegeben für irgendwelche Ideenwettbewerbe. An der Umsetzung hakt es aber.

Barth: Wenn es aber um Radwege geht, wird alles zügig umgesetzt.

Bei der Werbesatzung und dem Möblierungskonzept zur Steigerung der Attraktivität und Qualität der Altstadt, die im Dezember vorigen Jahres vorgestellt wurde, waren alle beteiligt, herrschte Konsens.

Strohm: Die Möblierung wurde uns für 2020 versprochen, jetzt ist es schon wieder auf 2021 verschoben. Das ist nervig und frustrierend für alle, die sich hier einsetzen, im Ehrenamt oder sonst. Ich mache das jetzt schon 20 Jahre. Aber es ist nicht viel passiert. Es wurde schon so viel versprochen. Umgesetzt wurde aber nur der autofreie Marktplatz – und den wollte ich nicht. (lacht)

Das ist kein Cannstatt-Problem.

Barth: Da sind wir wieder beim Gesamtkonzept. Die Werbesatzung ist gut, aber was nützt die, wenn der Rest nicht kommt? Man muss genau schauen, wenn ich eine Entscheidung treffe, welche Auswirkung hat diese auf andere Bereiche. Wir kommen immer wieder zurück auf das übergeordnete Bild.

Im kommenden Jahr geht der Rosensteintunnel in Betrieb. Dann soll auch die Wilhelmsbrücke für den Autoverkehr gesperrt werden. Das ist nicht in Ihrem Sinne?

Strohm: Das wäre ein noch größerer Schlag. Es ist die Verbindung zum Hallschlag und über den Neckar. Die ist extrem wichtig. Es wurde schon durch die U 12 das Wohngebiet abgegraben. Wenn man uns auch noch die Brücke wegnimmt, ist man mit dem Auto auch noch schneller in Stuttgart als in Bad Cannstatt. Das ist ein Problem. Ich habe viele Kunden von da. Diese Kunden fahren dann nach Stuttgart oder Fellbach. Da sind sie schneller dort. Die Brücke brauchen wir. Sie ist ja auch baulich nicht so, um sie als Fußgängerbrücke nutzen zu können. Wenn ich über die Brücke laufe, möchte ich das Wasser sehen und nicht rechts und links 1,50 Meter hohe Stahlträger. Mit einer Fahrradstraße könnte ich ja leben. Dass aber keine Autos mehr fahren dürfen, wäre der Tod. Die Neckarvorstadt und der Hallschlag wären von uns abgeschnitten. Da sehe ich wirklich große Probleme und keinen Sinn dahinter.

Barth: Ich wohne im Espan. Alleine in unserem Wohnblock leben 30 bis 40 Familien. Die wissen aber gar nicht, was Bad Cannstatt alles zu bieten hat, obwohl sie hier wohnen. Sie kennen vielleicht noch das eine oder andere Restaurant und laufen durch die Marktstraße, schauen aber nicht nach links oder rechts. Für sie findet alles, was den Einkauf für den täglichen Bedarf betrifft, ausschließlich in Fellbach statt. Oder man fährt mit der Bahn in zwölf Minuten nach Stuttgart. Die haben Bad Cannstatt gar nicht auf dem Schirm. Für sie ist Bad Cannstatt nicht attraktiv. Wenn ich mit dem Auto nach Bad Cannstatt fahre, brauche ich Glück, um einen Parkplatz zu finden. Das wird ja nicht besser, wenn noch einmal eine Fahrradspur entsteht. Es gibt theoretisch genügend Parkplätze, aber sie sind unattraktiv. Es passen die Lage nicht oder die Größe. Meist beides zusammen.

Sehen Sie das auch so, Herr Strohm?

Strohm: Da muss ich widersprechen. Das Auto hat nicht mehr den Stellenwert. Wenn ich am Samstag auf den Markt schaue, ist der rammelvoll. Und da kommen vielleicht zehn Prozent mit dem Auto. Wir müssen nach der Aufenthaltsqualität schauen. Im Sommer funktioniert das gut. Durch Corona hatten wir auch manche Dinge, die ich sehr begrüße. Es wurde mehr Außengastronomie zugelassen, auf kurzem Dienstweg. So etwas finde ich positiv. Das bereichert die Stadt. Atmosphäre schaffen, auch eine schöne Möblierung, wenn sie denn kommt, ist viel wichtiger als Autostraße oder Fahrradwege. Deswegen kommen die Leute nach Bad Cannstatt. Natürlich muss es gescheit beschildert sein. Parkplätze sind nicht der Schwerpunkt. Wir haben eine superschöne Altstadt. Wir haben die Atmosphäre schon da. Wir müssen es schaffen, dass die Menschen gerne herkommen.

Barth: Wenn man Kaufkraft nach Bad Cannstatt bringen will, muss man attraktiv sein.

Sie machen übers Jahr schon viel in Bad Cannstatt im Vergleich zu anderen Bezirken. Auch durch viele Vereine. In den letzten 10, 15 Jahren wurden viele Veranstaltungen installiert. Da ist Bad Cannstatt auf einem guten Weg, muss aber aufpassen, dass es nicht zu viel wird.

Strohm: Ich denke, wir haben viele abgestimmte Veranstaltungen. Es ist ja nicht immer die gleiche Zielgruppe, die wir anzusprechen versuchen. Mehr kann es nicht werden. Das bringt die Menschen nach Bad Cannstatt. Da ist eben immer was los. Das ist ja das Schöne. Dieses Image brauchen wir. Man kommt her zum Eis essen, schlendern, Freunde treffen. Darum geht es hauptsächlich. Wenn die Leute dann noch einkaufen, weil es gescheite Geschäfte gibt, das ergibt sich dann. Zum Glück sind die Leerstände gerade in Häusern, in denen die Vermieter darauf achten, was reinkommt. Die lassen es lieber leer stehen, als dass sie etwas reinnehmen, das nicht zu Bad Cannstatt passt. Sondern etwas, das Bad Cannstatt aufwertet und die nächsten zehn Jahre funktioniert.

Was würden Sie sich anstelle des Kaufhofes wünschen?

Strohm: Große Flächen für 200 bis 300 Quadratmeter fehlen hier. Dass etwas angesiedelt wird, für zehn bis zwölf Geschäfte. Auch nachhaltige Läden. Das Klientel dafür wäre da.

Barth: Und ein großer Lebensmittelhändler.

Die Fragen stellten Uli Nagel und Edgar Rehberger.