Novavax gilt in der Branche als Hoffnungsschimmer (Symbolbild) Foto: dpa/Alastair Grant

Die Impfpflicht im Gesundheitswesen bedeutet für viele Pflegeheime eine enorme Herausforderung. Sie suchen eh schon Personal. Jetzt befürchten sie weiteren Mitarbeiterschwund.

Niederstetten - Vor einigen Tagen musste Volker Köhler, Betreiber eines privaten Pflegeheims in Niederstetten, einer Klinik einen Korb geben. Sie suchte für eine pflegebedürftige Patientin mit absehbar erhöhtem Betreuungsaufwand einen Platz. „Aber ich habe absehbar weniger Mitarbeiter - meine Personaldecke wird mit der Impfpflicht im Gesundheitswesen noch löchriger“, begründet Köhler seine Absage. Er rechnet mit Ausfällen, denn ab dem 16. März sollen ungeimpfte Mitarbeiter in Kliniken, Pflegeheimen und ambulanten Diensten zur Immunisierung bewegt werden. Ziel: Steigende Impfquoten, um die Corona-Pandemie weiter einzudämmen.

Zwei von Köhlers 25 Beschäftigten in Betreuung und Pflege haben bereits angekündigt, sich nicht impfen zu lassen. Das Seniorenhaus im Vorbachtal hat 51 Pflegeplätze und ist damit nicht eines der allerkleinsten. Einrichtungen mit 51 bis 60 Plätzen machen neun Prozent der insgesamt 1912 Heime aus.

Personalsituation sei ohnehin schon angespannt

Köhler ist nicht der einzige, dem die geplante berufsbezogene Impfpflicht Kopfzerbrechen bereitet. Eva-Maria Armbruster, Vorstand Sozialpolitik des Diakonischen Werks Württemberg, pflichtet dem 58-Jährigen bei: „Die bevorstehende Impfpflicht verschärft die ohnehin bereits angespannte Personalsituation an vielen Stellen, wenn auch nicht flächendeckend.“

Insbesondere in abgelegenen Regionen, zu denen Niederstetten im Main-Tauber-Kreis gehört, sei die Personalnot sowohl im stationären als auch in ambulanten Bereich groß. Einen Hoffnungsschimmer sieht die Kirchenrätin im neuen Impfstoff Novavax, der vorrangig an Mitarbeiter im Gesundheitswesen verteilt wird. „Wir hoffen, dass sich noch einige damit immunisieren lassen“, sagt die Fachfrau der Diakonie Württemberg, die der Dachverband von 255 Altenpflegeheimen im Land ist.

Radikaler schritt bei der Evangelischen Heimstiftung

Darunter fällt auch die Evangelische Heimstiftung. Der größte Träger im Südwesten wagt einen radikalen Schnitt: Alle ungeimpften Mitarbeiter sollen vom 16. März an freigestellt werden. Aus Sicht der Heimstiftung ist es nicht zu verantworten, dass alte Menschen trotz Impfung schwer erkranken, weil sich einige Beschäftigte in der Pflege nicht impfen lassen. „Ob sich diese Linie allerdings aufrecht erhalten lässt“, betont Hauptgeschäftsführer Bernhard Schneider, „ist seit dieser Woche fraglich.“ Politiker in Land und Bund machten nicht den Eindruck, die Impfpflicht konsequent umsetzen zu wollen. Die meisten Träger warten aber die Einzelfall-Entscheidungen der Gesundheitsämter ab, bevor sie Personal gehen lassen.

Auch Köhler will seine beiden ungeimpften Mitarbeiter so lang behalten, wie das Gesundheitsamt kein Betretungsverbot ausspricht. Ansonsten drohe er andere Vorschriften zu verletzen. „Ich kann dann den Personalschlüssel nicht halten“, erklärt der Geschäftsführer. Ganz zu schweigen von dem Signal für die geimpften Mitarbeiter, wenn die nicht Geimpften bei Fortzahlung der Bezüge nach Hause geschickt würden und ihre Kollegen das mit Überstunden ausbaden müssten.

Viele Fragezeichen

Aus Sicht der Betreiber gibt es bei der Impfpflicht noch etliche Fragezeichen: Wie lange braucht das Amt für seine Entscheidungen? Was passiert, wenn infolge von Ausfällen der Betrieb auf der Kippe steht? Und wer bezahlt bereits vorbeugend zurückgeholte Rentner und Teilzeitkräfte, deren Arbeitszeit vorsorglich verlängert wurde?

Im Südwesten leben laut Statistischem Landesamt fast 472 000 Menschen (Stand: 2019), die von den Pflegekassen als pflegebedürftig anerkannt wurden. Darunter sind etwa 94 000 in stationärer Pflege und 378 000 zu Hause oder im Haushalt von Verwandten, wo sie von ambulanten Diensten und/oder Angehörigen versorgt werden.

Köhler moniert, dass die Politik sich wenig um diejenigen kümmere, die ihre Gesetze umsetzen müssen. „Die halsen uns immer mehr Aufgaben auf und stehlen sich dann aus der Verantwortung.“. Beispiel: Testen von Besuchern und Personal. „Das ist ein hoher Aufwand - Zeit, die dann von der Pflege abgeht.“ Sein Ruf nach Hilfe durch die Bundeswehr verhallte ungehört - als Folge wurden die Besuchszeiten eingeschränkt.

Helfen Kräfte aus dem Ausland?

Einen einreisewilligen türkischen Hilfspfleger anzustellen, das untersagt ihm die Ausländerbehörde, weil die Hilfspflege nicht als Mangelberuf anerkannt sei. Köhler solle Fachkräfte aus der EU anwerben. „Doch die Anerkennung der Qualifikation einer Fachkraft zieht sich oft über ein Jahr hin - wer weiß, ob ich die mir dann noch leisten kann.“ Fehlanzeige auch bei Stellenausschreibungen.

Die Teilimpfpflicht wird sich nach Einschätzung der Diakonie auch auf die ambulanten Dienste auswirken. Schon jetzt sei es ein Glücksfall, wenn man als Angehöriger für seine pflegebedürftigen Verwandten Hilfen der häuslichen Pflege ergattere. „Mit der Teilimpfpflicht wird es noch schwieriger, Wünsche nach bestimmten Uhrzeiten oder Mitarbeitern zu erfüllen“, sagt Armbruster und fügt hinzu: „Die Patienten müssen jetzt Kompromisse machen.“