In Japan wird am 1. April der Tag der Volljährigkeit gefeiert – in der Regel mit einer großen Zeremonie. Foto: imago stock&people/imago stock&people

In Japan werden mit Anfang April zwei Millionen Menschen erwachsen – aufgrund einer Gesetzesänderung. Diese bringt nicht nur Freiheit, sondern auch Kopfschmerzen. Experten fürchten eine schlagartige Verschuldung des Nachwuchses.

„Wenn wir jetzt erwachsen sind, was dürfen wir dann eigentlich?“, fragt Momoka Sato ihre Freundin und wackelt mit dem Finger. „Zeig mir mal, wie man raucht!“, ruft ihre Freundin Mine Kawasaki, die ihren mit einem Smiley bemalten Finger in die Kamera streckt. „Okay, ich erkläre euch alles“, wackelt dann der Finger von Rinka Konishi. „Wir werden ohne das Einverständnis der Eltern Handyverträge abschließen dürfen. Wir dürfen auch einen Kredit aufnehmen, Kreditkarten ausgestellt bekommen und eine eigene Wohnung mieten.“

Das Kurzvideo, in dem junge Menschen ihre Freiheit in naher Zukunft erklären, ist drei Jahre alt. Das eineinhalbminütige Fingerkino von vier Oberschülerinnen der Iwata High School in der südwestjapanischen Präfektur Oita, der Siegerbeitrag eines Ausschreibens des japanischen Justizministeriums, wurde damals im ganzen Land ausgestrahlt. Richtig akut wird dessen Inhalt aber erst in diesen Tagen: Denn jetzt werden alle Personen im damaligen Alter der vier Oberschülerinnen auf einen Schlag erwachsen.

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Mit dem 1. April senkt Japan nach langen politischen Diskussionen das Volljährigkeitsalter von bisher 20 auf 18 Jahre. Was in anderen Industrieländern das Standardalter des Erwachsenseins ist, löst in Japan seit Jahren Diskussionen aus. Es ist die erste derartige Gesetzesänderung seit 146 Jahren – als Japan mit der Meiji-Verfassung den Übergang von einer Feudalgesellschaft in eine parlamentarische Demokratie beschloss.

Das Wahlalter hat sich nicht geändert

Als einen „bedeutenden Wandel“ beschrieb „Mainichi Shimbun“, eine der größten Tageszeitungen des Landes, den Schritt. Schließlich sind an einem einzigen Tag rund zwei Millionen Menschen, die zuvor unter dem legalen Schutz der Minderjährigkeit standen, offiziell auf sich allein gestellt. Was das Wahlrecht angeht, hat dies zwar keine weiteren Auswirkungen mehr, da das Mindestwahlalter schon 2016 auf 18 gesenkt wurde.

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Aus Perspektive der Regierung ist die jetzige Gesetzesänderung nicht zuletzt Wirtschaftspolitik. Das ostasiatische Land, dessen Bevölkerung inmitten einer steigenden Lebenserwartung und geringen Geburtenrate seit Jahren altert und schrumpft, verspricht sich von der Reform vor allem neue Konsumentinnen und Konsumenten. Für die kaum noch wachsende Volkswirtschaft Japans hat die Änderung also tatsächlich enorme Bedeutung.

Manchen macht die Umstellung auch Sorgen

Allerdings wird sie nicht nur positiv gesehen. Vielmehr nimmt seit einiger Zeit die Sorge zu, dass nun Millionen junge Menschen ins kalte Wasser einer konsumorientierten Gesellschaft gestoßen werden, über deren Gefahren sie nicht viel wissen. „Wenn man Japan mit Deutschland vergleich, ist die Konsumentensouveränität in Japan schon deutlich niedriger“, sagt etwa Vincent Lesch, ein deutscher Japanologe an der dänischen Universität Aarhus und Experte für das japanische Bildungssystem.

„Durch die geringen finanziellen Kompetenzen kommt es auch öfter dazu, dass sie in Verträge gedrängt werden“, so Lesch. „Es reicht von Markenartikeln, Schuhen und Kleidung über Handys bis zu Abonnements und In-Game-Käufe bei Videospielen.“ Und häufig finde man keinen Ausweg. „Da kauft man etwas, das real gar nicht vorhanden ist, von dem man oft auch nicht weiß, wie man das cancelt.“ Was bisher noch früher oder später herauskam, weil die Kreditkarte der finanziell erfahrenen Eltern benutzt worden war, könne nun zu schmerzhaften Verschuldungen führen.

Manche Betriebe haben sich schon in Stellung gebracht

Finanzprobleme unter jungen Menschen sind schon länger ein Problem. Immer wieder ist von Fällen zu hören, in denen Teenager unwissentlich Schulden in Höhe vierstelliger Eurosummen angehäuft haben. Umfragen ergaben zuletzt, dass die Bezahlung mit Kreditkarten oder Mikrokrediten unter jungen Erwachsenen beliebt ist. Die Sparquote dagegen liegt seit Jahren bei jungen Menschen nahe der Nulllinie oder darunter. Und nun, im Vorlauf der Gesetzesänderung, haben sich diverse Betriebe mit Lockangeboten in Stellung gebracht, um junge Konsumenten für sich zu gewinnen. „Wir haben es in den letzten Jahren vermehrt gesehen, dass es Schneeballsysteme auf junge Menschen absehen“, berichtete Nana Ogasawara, Rechtsprofessorin an der nordjapanischen Universität Yamagata und Vorsitzende eines Verbraucherschutzverbands. „Oft wird zum Beispiel versprochen, dass ihnen in Seminargruppen Investmentwissen beigebracht wird. Und es besteht ein Anreizsystem, andere Personen anzuwerben, die alle einen Eintrittspreis zahlen.“

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Da solche Systeme je nach Machart nicht verboten sind, sieht Ogasawara die Lösung in Aufklärung. „Meine Tochter ist fünf Jahre alt. Ich versuche, sie kleines Bargeld benutzen zu lassen, damit sie ein Gefühl dafür kriegt, dass das Geld wirklich weg ist, wenn man es ausgibt.“ Zudem haben Schulen die Verantwortung, Finanzwissen zu vermitteln, was viele Experten skeptisch sehen. „Die Lehrpläne sind so voll, dass das kaum eine Priorität werden kann“, sagt Vincent Lesch. Er sieht auch die Eltern in der Pflicht.

Nur seien Eltern häufig die Letzten, auf die junge Erwachsene hören wollen. Ein neues Vertragsrücktrittsrecht soll helfen: Je nach Produkt können junge Menschen rund eine Woche lang ihre Unterschrift für Verträge annullieren. Allerdings sind hierüber laut Umfragen nur rund zwei Drittel informiert. Etwas anderes dagegen wissen praktisch alle 18-Jährigen: Das offizielle Recht auf Alkohol- und Tabakkonsum haben auch nach dem 1. April nur Personen ab 20.