Der aktuelle Flächennutzungsplan von Gerlingen stammt aus dem Jahr 1984. Er regelt unter anderem, wo Wohnen, Gewerbe oder Landwirtschaft möglich sind. Foto: Simon Granville

Der Flächennutzungsplan von Gerlingen ist 40 Jahre alt. Damals wurde nach ganz anderen Kriterien bewertet. Bürgermeister Dirk Oestringer erklärt im Interview, was heute wichtig ist.

Der aktuell geltende Flächennutzungsplan (FNP) in Gerlingen ist fast 40 Jahre alt. Die Stadt stellt in den nächsten Jahren deshalb einen neuen Plan für die gesamte Gemarkungsfläche auf. Wir haben mit Bürgermeister Dirk Oestringer (parteilos) darüber gesprochen, welche Weichen damit für die Stadtentwicklung gestellt werden.

Der bestehenden FNP stammt aus dem Jahr 1984. Wieso hat man in Gerlingen so lange gewartet, einen neuen aufzustellen?

Im Detail müsste man das die kommunalpolitisch Verantwortlichen der letzten Jahrzehnte fragen. Man muss aber auch sehen, dass man den FNP zwar seit 1984 nicht grundsätzlich neu gefasst, aber doch punktuell immer wieder verändert hat. Wenn heute ein Bebauungsplan aufgestellt wird, kann das nicht auf Planungsgrundlagen von vor 40 Jahren erfolgen. In einem Parallelverfahren muss dann der FNP im Detail angepasst werden. Eigentlich sollte es aber umgekehrt sein und der FNP die Leitlinien vorgeben. Aktuell möchten wir das rund 13 Hektar große Neubaugebiet Bruhweg II als letztes großes Entwicklungsgebiet in der Stadt entwickeln. Auch deshalb müssen wir uns nun Gedanken über eine Überarbeitung des FNP machen.

Welche Auswirkungen hat es, wenn städtebauliche Entscheidungen auf einem veralteten FNP fußen?

Der FNP integriert Planungen verschiedener Bereichen wie Wohnen, Arbeit, Verkehr, Mobilität, Umwelt. Bei diesen Themen hat sich das Rad seit 1984 massiv weitergedreht. Der aktuell geltende Plan hält den realen Gegebenheiten schlichtweg nicht mehr stand.

Was berücksichtigt ein FNP heute, was 1984 noch keine oder nur eine geringere Rolle gespielt hat?

Das Thema Klimaanpassung wird heute ganz anders bewertet als damals. Man muss nur an die Problematik von Starkregenereignissen denken. Auch Themen wie Artenschutz und -vielfalt hatten 1984 einen anderen Stellenwert. Stichwort: Biotopverbundplanung. Auch die Lebenswelt der Menschen hat sich gewandelt: wie wir wohnen, wie wir arbeiten, wie wir uns fortbewegen. So verlangt zum Beispiel der Trend zum Homeoffice mehr Wohnraum. Es gibt mehr Fahrzeuge und ganz andere Formen der Mobilität. Das alles muss ein FNP berücksichtigen.

Wie gelingt es, den Bedarf nach neuen Siedlungsgebieten mit dem Schutz unbebauter Flächen in Übereinstimmung zu bringen?

Das ist ein Abwägungsprozess. Der Schutz unserer Grünflächen ist extrem wichtig. Auf der anderen Seite haben wir durch den starken Zuzug in unsere Region den Bedarf an neuem Wohnraum. Außerdem leben derzeit in Gerlingen circa 750 geflüchtete Menschen, die untergebracht werden müssen. Das alles muss man in die Waagschale werfen. Die Entscheidung trifft am Ende der Gemeinderat.

Ist es überhaupt denkbar, dass ein neuer FNP am Ende tatsächlich weitere Siedlungsflächenpotenziale beinhaltet?

Diese Frage muss in den nächsten Jahren diskutiert werden. 1984 war man schneller dabei, neue Siedlungsflächen auszuweisen. Heute geht man eher in die Innenentwicklung. Aber ausschließen kann man es nicht, dass wir am Ende auch neue Wohnflächen ausweisen. Da würde ich ja dem beschriebenen Abwägungsprozess vorgreifen.

Die Planungen sehen vor, dass parallel auch ein neuer Landschaftsplan (LSP) entwickelt wird. Was regelt der?

Es gibt übergeordnete Ziele des Naturschutzes. Damit diese lokal angewendet werden, braucht es die entsprechenden Verordnungen im LSP. Der Landschaftsplan selbst entwickelt aber keine Verbindlichkeit, dazu muss er erst in den Flächennutzungsplan integriert werden. Der Erhalt und die Entwicklung von unbebauten Freiräumen oder die nachhaltige Waldentwicklung sind typische Themen des LSP.

Vor einer Neuaufstellung des FNP verlangt der Gesetzgeber eine förmliche Beteiligung der Öffentlichkeit. Wie funktioniert das?

Der FNP wird zweimal öffentlich ausgelegt. Einmal in eine frühzeitigen Stadium, später dann noch einmal. Jeder Bürger und jede Bürgerin kann dann Rückmeldung zu einzelnen Details geben. Die konkrete Beteiligungsformen werden wir noch entwickeln.

Wann wird der Plan stehen?

Wir haben am 1. Februar ein externes Fachbüro mit dem Neuaufstellungsprozess beauftragt. Dieser Prozess ist sehr aufwendig. Wir rechnen mit drei bis vier Jahren. Aber Verzögerungen durch Einsprüche oder aufgrund der Komplexität des Themas sind hier immer denkbar.

Eine Stadt wächst weiter

Der Ort
Die Gerlinger Gemarkung umfasst rund 1700 Hektar Fläche. 40 Prozent davon ist Wald. 25 Prozent der Gemarkungsfläche sind landwirtschaftlich genutzte Böden.

Die Entwicklung
Der Flächennutzungsplan (FNP) hat die Aufgabe, die vorhandene und beabsichtigte städtebauliche Entwicklung entsprechend der voraussehbaren Bedürfnisse darzustellen. Er wird von der Gemeinde erstellt und gibt in groben Zügen Auskunft über Bauflächen und Baugebiete sowie Verkehrsflächen und Grünanlagen.

Der Plan
Der FNP ist als vorbereitendes Planungsinstrument für Bürgerinnen und Bürger nicht rechtsverbindlich, jedoch aber behördenverbindlich und stellt die erste Stufe der Bauleitplanung dar. Wird ein Gebiet in der Gemeinde durch einen FNP neu als Wohngebiet ausgezeichnet, kommt es regelmäßig zu einer Steigerung der Grundstückspreise in diesem Gebiet.