Die Sammlung umfasst mehr als 2500 Aktenordner voll rechtsextremistische Literatur sowie mehrere Gigabyte Daten (Symbolbild). Foto: imago/blickwinkel/McPHOTO/M. Begsteiger

Im Karlsruher Generallandesarchiv wird zum Jahreswechsel ein Zentrum für Extremismusforschung entstehen. Das Ziel: wissenschaftlich fundierte Gegenstrategien entwickeln. Einen „Lesesaal für Rechtsextremisten“ wolle man keinesfalls bieten.

Karlsruhe - Die Bestände sind riesig: Mehr als 2500 Aktenordner, 200 Regalmeter rechtsextremistische Literatur, mehrere Gigabyte Daten. Diese sind Teil einer Schenkung, die das Generallandesarchiv in Karlsruhe ab dem Jahreswechsel in die Archivbestände einpflegen wird: als Basis für eine bislang bundesweit einzigartigen Stelle für Extremismusforschung. Sie ist auch eine Konsequenz aus dem NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags, der eine solche Stelle forderte.

Kern der neuen Dokumentationsstelle ist die seit 1983 entstandene Sammlung des unter Pseudonym arbeitenden Journalisten Anton Maegerle, der diese dem Karlsruher Generallandesarchiv vermachen wird. Neben dem umfangreichen Aktenmaterial, das er über Jahre recherchierte, gehören dazu auch eine große Zahl von Publikationen und Zeitschriften aus dem rechten politischen Spektrum. Und so sind Titel wie „Zuerst!“, als ein Magazin für sogenannte „deutsche Interessen“ oder Werke des umstrittenen britischen Holocaust-Leugners David Irving Teil der Sammlung.

Mit 230 000 Euro gefördert

Maegerle, der sich schon früh mit dem Phänomen der „Neuen Rechten“ befasste, hatte für seine Arbeit zahlreiche Preise erhalten, und war auch in den beiden zwischen 2014 und 2018 tagenden NSU-Untersuchungsausschüssen im Stuttgarter Landtag mehrfach als Zeuge geladen.

Die Dokumentationsstelle im Karlsruher Generallandesarchiv wird mit einer Anschubfinanzierung von 230 000 Euro aus Landesmitteln gefördert. Der Auftrag für die Einrichtung der Stelle „kam aus der Mitte des Landtags, und wurde von den vier demokratischen Parteien gemeinsam getragen“, sagt die Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne).

Basis für Strategien gegen Rechts

Indem Maegerle die Sammlung an das Generallandesarchiv übergebe, werde „wertvolles Wissen über rechtsextreme Strukturen erschlossen und zugänglich gemacht“, ergänzt sie. Je mehr man dazu wisse, „desto besser könne man auch lernen, Gegenstrategien zu entwickeln“. In Zusammenspiel mit dem in Karlsruhe ansässigen Bundesgerichtshof, der Bundesanwaltschaft, und dem künftigen „Forum Recht“, einem interaktiven Ausstellungs- und Diskussionsforum zu Fragen des Rechtsstaats, werde ein „neuer Hotspot“ im Umgang mit Extremismus entstehen.

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Laut der Wissenschaftsministerin habe es bei der Wahl der Einrichtung zuvor Überlegungen gegeben, eine solche Stelle auch „im universitären Bereich“ anzusiedeln – die Bedingungen seien in Karlsruhe jedoch von Anfang an „als optimal“ angesehen worden. „Der Herr Maegerle vertraut uns sein Lebenswerk an“, sagt der Leiter des Generallandesarchivs, Wolfgang Zimmermann. Er, wie auch der Chef des Landesarchivs Baden-Württemberg, Gerald Maier, sehen darin „ein großes Zeichen der Wertschätzung und des Vertrauens“.

Kein „Lesesaal für Rechtsextremisten

Weil es sich, so Zimmermann, bei einem Teil der sukzessive an das Generallandesarchiv übergehenden Aktenbestände auch „um sensible Daten handele“, müssten auch noch bauliche Voraussetzungen geschaffen werden. Diese sollen bis Ende dieses Jahres erfolgen. Zimmermann machte deutlich, dass beim Archiv Maegerle nicht die gleichen freien Zugänge gelten könnten wie bei anderen Archivalien. So eine Sammlung habe „ein anderes Gefährdungspotenzial als der Nachlass einer Adelsfamilie aus dem 17. Jahrhundert“, so der Archiv-Leiter. Zudem wolle man keinen „Lesesaal für Rechtsextremisten“ bieten. Die Bestände sollen einen vertieften Diskurs über Extremismus ermöglichen, indem das Material wissenschaftlich aufgearbeitet und präsentiert werde.

Anton Maegerle, der nach massiven Drohungen wegen seiner Arbeit seit langem nur unter Pseudonym publiziert, war bei der Präsentation des Vorhabens im Generallandesarchiv zugegen – gab sich aber bewusst nicht zu erkennen. Ministerin Theresia Bauer kündigte für Ende Januar kommenden Jahres eine zweitägige Fachtagung zum Thema „extremistische Strukturen in der Gesellschaft“ an – in den Archivräumen in Karlsruhe.