Maskenball: Die VfB-Strategen Markus Rüdt, Sven Mislintat und Thomas Hitzlsperger (von links) im Stadion von Wiesbaden Foto: Baumann

Ein Last-Minute-Tor hat dem VfB Stuttgart beim SV Wehen Wiesbaden das erste Geisterspiel nach der Corona-Pause verdorben. Skurril war das Geschehen aber vor allem abseits des Spielfelds.

Wiesbaden - Brita ist nicht etwa eine Spielerfrau – in diesem Fall wäre wohl ein zweites T fällig. Vielmehr handelt es sich bei Brita um einen Hersteller von Trinkwasserfiltern mit Sitz im Taunus. In Bezug auf Zweitligafußball ist man aber vor allem stolzer Namensgeber des Stadions des SV Wehen Wiesbaden. Einer Arena, in der es am Sonntagnachmittag auch abseits der 1:2-Niederlage des VfB sehr gewöhnungsbedürftig zugeht.

Denn es ist erstmals Geisterspiel-Zeit.

Corona-Pandemie hin oder her – Wiesbaden meldet um 13.30 Uhr 17 Grad bei blauem Himmel, als es für den VfB weitergeht mit dieser Zweitligasaison. Ursprünglich war diese Partie des 26. Spieltags für den 15. März geplant gewesen, ehe der Lockdown kam. Der ist jetzt zwar formal überwunden, doch die Atmosphäre in der Arena dient schnell als klarer Beleg: Von Normalität ist die Liga ganz weit entfernt. 49 627 Fans sahen das Hinspiel in Stuttgart (ebenfalls 1:2). Nun ist es im fast menschenleeren Wiesbadener Stadion mucksmäuschenstill, als Schiedsrichter Sascha Stegemann anpfeift.

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Doch es geht immerhin wieder los – endlich! Das findet nach jüngsten Umfragen zwar nicht mal die Hälfte des Fanvolkes; aber auf TV-Präsenz erpichte Sponsoren wie Brita sowie Clubfunktionäre mit ihren auf Kante genähten Budgets finden das sehr wohl. Darunter auch der VfB-Vorstandschef Thomas Hitzlsperger und sein Sportdirektor Sven Mislintat, denen hinter ihren Gesichtsmasken am Ende allerdings die 1:2-Niederlage aufs Gemüt schlägt.

Als es aber erst einmal losgeht, haben immerhin die Spieler auf dem Rasen das skurrile Szenario um sie herum vorerst vergessen. Doch die Fans sind einfach nicht zu ersetzen. Mit ihnen fehlt das Salz in der Bundesliga-Suppe – und so stellt sich schnell die Sinnfrage. „Auf geht’s!“, ruft VfB-Torhüter Gregor Kobel von hinten, während Trainer Pellegrino Matarazzo alles andere als ein Schreihals an der Seitenlinie ist. „Wir konnten nicht mit negativen Emotionen umgehen“, wird der Chefcoach später sagen. Den extrovertierten Part besetzt beim VfB eindeutig Sportdirektor Sven Mislintat, dem auf seinem Tribünenplatz gleich mehrfach der Kragen platzt. „Ist er Freiwild?“, brüllt Mislintat etwa, als sein flinker Außenstürmer Silas Wamangituka wiederholt von den Beinen geholt wird.

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In der Kurve, in der sonst die Wiesbadener Fans stehen, herrscht derweil gähnende Leere. Offenbar aus Pietätsgründen hat man hier auf Werbung verzichtet, während sich auf der Gegenseite das Werbebanner eines Portals für Online-Poker im XXL-Format breit macht. Dass direkt neben der halb fertigen Funktionsarena der altehrwürdige, nach dem 1974er-Weltmeistertrainer Helmut Schön benannte Sportpark vor sich hindümpelt – auch das zeigt, welch kommerziellen Weg der Profifußball eingeschlagen hat.

Wird die Branche die Krise nutzen, um sich selbst zu hinterfragen? Geht es nach den sehr speziellen Regeln im Inneren des Stadions, lautet die klare Antwort: Nein. „Man hat hier so den Eindruck: Wenn die Deutschen das nicht hinkriegen, dann kriegt das keiner hin.“ Das hat Toni Kroos, Mittelfeldstar von Real Madrid, der Bundesliga von Spanien aus mit auf den Weg gegeben. Auch die englische Premier League guckt neidvoll nach Deutschland. Also soll das Hygienekonzept der Deutschen Fußball-Liga (DFL), das wird in der Hauptstadt Hessens schon vor dem Anpfiff klar, möglichst auch halten, was es verspricht.

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Einige Punkte des umfangreichen Reglements für den Besuch des gerade mal mit 270 Personen bevölkerten Stadions sind daher übereifrig ausgefallen. Etwa der Umstand, dass sämtliche Personen auf der Tribüne – die Ersatzspieler beider Mannschaften genauso wie die Sanitäter, die achtköpfigen Delegationen beider Teams, die Kameraleute und die zehn Pressevertreter – eine Maske zu tragen haben, obwohl sie sich im Freien und mit deutlich mehr als 1,5 Metern Mindestabstand aufhalten. Dass vorab im Stadion Fieber gemessen wird und generell keiner mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder Fahrgemeinschaften anreisen soll, rundet die neue Bundesliga-Etikette ab.

Als das Spiel aus ist, steht der VfB ohne Zuschauer und auch ohne Punkte da. „Es ist ein komisches Gefühl, wenn nichts von außen kommt“, resümiert Starstürmer Mario Gomez: „Davon dürfen wir uns aber nicht beeinflussen lassen.“ Wie der direkte Wiederaufstieg dürfte dies für den VfB in den restlichen acht Saisonspielen nicht das einfachste Unterfangen werden.