Autofahrer dürfen Radler im Schwabtunnel nicht überholen. Wer zu Stoßzeiten an der Engstelle in Stuttgart unterwegs ist, wird Zeuge etlicher Regelverstöße.
Eva Koberstein hat einen kleinen Selbsttest gemacht. Sie wollte zehnmal direkt hintereinander durch den Schwabtunnel radeln – jeweils von Süd nach West – und zählen, von wie vielen Autos sie dabei überholt wird. Trotz der geriffelten, durchgezogenen Linie. Nach dem siebten Mal brach Eva Koberstein den Versuch ab, bereits da konnte sie sagen: Es sind im Durchschnitt pro Durchquerung mehr als vier Autos.
Und auch an diesem Morgen unter der Woche wird schnell deutlich: Viele Autofahrer ignorieren sowohl die durchgezogene, geriffelte Mittellinie als auch das Überholverbotsschild. Während Pedelec-Fahrer fast so schnell wie die Autos im Tunnel unterwegs sind, haben Leute mit Rädern ohne Motor deutlich mehr Mühe, wenn sie den Hang von Süd nach West hochstrampeln. Kommt kein Gegenverkehr, überholen Autos die Fahrradfahrer gar in Kolonnen. Eine Mutter hatte unserer Redaktion geschildert, dass sie sich von den Autos teils bedroht fühlt.
Polizei bestätigt „ausgeprägte“ Regelverstöße
Die Polizei bestätigt auf Nachfrage unserer Redaktion, dass dies keine Momentaufnahme ist. Kontrollen würden zeigen: Die Regelverstöße im Schwabtunnel seien „sehr ausgeprägt“, sagt die Sprecherin Daniela Treude. Wer im Schwabtunnel beim Überholen erwischt wird, zahlt ein Bußgeld von 70 Euro und kassiert einen Punkt in Flensburg.
Eva Koberstein kennt den Schwabtunnel seit 30 Jahren. Sie sei hier schon durchgeradelt, als sie noch studiert habe, sagt die Lehrerin aus Stuttgart-Süd. „Es ist halt so schlimm, dass sich seither überhaupt nichts geändert hat.“
Vor Kurzem hat die Stadt die beiden Gehwege durch den Schwabtunnel für Radler freigegeben. Schlicht, weil die Polizei darum gebeten hatte. Nun müssen die Beamten die Schüler, die hier mit dem Rad unterwegs sind, nicht mehr vom Trottoir auf die Autofahrbahn scheuchen.
Radler wie Eva Koberstein halten nichts von dieser Lösung. „Ich finde das sehr gefährlich.“ Den Vorschlag, Radler könnten ja auch absteigen und kurz schieben, kommentiert sie so: „Da müssen wir uns schon fragen: Was haben wir für ein Ziel?“ Dass sie ihr Rad schieben soll in einer Stadt, die bis 2035 klimaneutral sein will? „Das ist eine so krasse Ungleichbehandlung“, sagt sie. „Das ist ja auch politisch irgendwann nicht mehr glaubwürdig.“
Hildegard Lobeck, die ebenfalls häufig im Schwabtunnel unterwegs ist, findet die Ignoranz des doppelten Überholverbots traurig: „Es ist total egal, was man hinschreibt, es wird sich nicht daran gehalten.“ Wenn dieses Verbot für viele wie Luft sei, warum sollten sie sich an eine Temporeduzierung halten, die derzeit auch von der Stadt geprüft wird? „Das Einzige, was meiner Meinung nach hilft, ist ein Überfahrschutz auf der Mittellinie.“
So genannte „Leitschwellen“ und „Trennelemente“, wie die Stadt Stuttgart sie nennt, müssen auch umfangreich geprüft werden, wie aus einer Stellungnahme des Ordnungsamts hervorgeht. Denn: Busse fahren ebenfalls durch den ohnehin engen Tunnel, Rettungsfahrzeuge müssten bedacht werden und letztlich auch die Entwässerung.
Dass zudem ein Blitzer wegen Platzmangels nicht infrage kommt, hält die Stuttgarter Radlerin Hildegard Lobeck für „Ausreden“, wie sie sagt. „Die machen so kleine Kameras“, sie zeigt mit Daumen und Zeigefinger zwei Zentimeter an. Wenn man sich mit ihr eine Weile unterhält, wird deutlich, dass sie auch wirklich ein bisschen wütend ist. „Dieses Überholen ist gefährdend, unsozial und unnötig.“ Nach dem Tunnel folgten auf beiden Seiten mehrere Ampeln. „Es gibt überhaupt keinen Grund, zu überholen. Aber bei einem Fahrrad denken irgendwie alle: Fahrrad, langsam, schnell vorbei.“