Bauchfett zeigt sich oft nicht so klar wie hier – auch schlankere Menschen haben es, und es ist ein Einfalltor für das Coronavirus. Foto: imago/Sven Simon

Übermäßig vorhandenes Bauchfett kann eine Entzündung im Körper auslösen – und Immunsystem, Nerven und Stoffwechsel schwächen. Das ist nicht nur im Hinblick auf Covid-19 gefährlich. Aber warum ist das so?

Ein sogenannter Bierbauch gefährdet an sich schon die Gesundheit. Er erhöht aber auch das Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf bei Covid-19. Verursacht wird die Bauchwölbung durch das innere Fettgewebe unter der Bauchmuskulatur, das viszerale Fettgewebe, das die Organe in der Bauchhöhle umgibt. Häufig lagert sich Fett auch in Leberzellen ein. Es handelt sich also nicht um Unterhautfettgewebe, das zwischen Bauchmuskeln und Haut liegt. Nicht nur dicke, sondern auch noch schlank aussehende Menschen können viszerales Fettgewebe haben. Es verursacht bei ihnen nur noch keine Bauchwölbung und ist deshalb von außen nicht erkennbar. Das Bauchfett schwächt das Immunsystem – und könnte auch im Zusammenhang mit Long-Covid-Symptomen eine Rolle spielen. Matthias Blüher, der die Adipositas-Ambulanz für Erwachsene am Universitätsklinikum Leipzig leitet und Direktor des Helmholtz-Institute for Metabolic, Obesity and Vascular Research in München ist, erläutert, warum das so ist.

Herr Blüher, warum ist das Fettgewebe in der Bauchhöhle so gefährlich?

Das viszerale Fettgewebe ist als eigenständiges Organ zu sehen. Es speichert nicht nur Fett, sondern stellt selbst auch Substanzen wie Hormone, Botenstoffe und Entzündungsfaktoren her. Diese Substanzen sind an verschiedenen Stoffwechsel- und immunologischen Prozessen beteiligt und verursachen eine niedrigschwellige Entzündung im Körper. Das hat weitreichende Folgen, denn alle Systeme in unserem Körper wie Immunsystem, Stoffwechsel, Nervensystem und Hormonsystem kommunizieren miteinander und beeinflussen sich gegenseitig: Der Stoffwechsel verändert sich ungünstig, was einen Typ-2-Diabetes begünstigt, und das Immunsystem wird durch diese Entzündung chronisch aktiviert, somit gestresst und auf Dauer geschwächt. Eine auf kleiner Flamme schwelende Entzündung im Körper ist deshalb sowohl im Hinblick auf Krebserkrankungen als auch auf Infektionskrankheiten problematisch.

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Welche Folgen hat das fürs Immunsystem bei Kontakt mit Viren?

Wenn das Immunsystem durch eine zuvor schon vorhandene niedrigschwellige Entzündung gestresst ist, ist dies eine schlechte Ausgangsposition für den kräftezehrenden Kampf mit Sars-CoV-2 oder anderen Viren. Die Immunantwort fällt schwächer aus als normal, und die Infektion besteht länger.

Was haben denn viszerales Fettgewebe und das Coronavirus miteinander zu tun?

Im Bauchfettgewebe befinden sich außer den Fettzellen auch diverse Immunzellen: weiße Blutkörperchen, sogenannte Killerzellen, die abnormale Zellen wie Tumorzellen und virusinfizierte Zellen erkennen und abtöten können, sowie Fresszellen. Diese Immunzellen und die Fettzellen haben eine Gemeinsamkeit: Alle haben auf ihrer Oberfläche Andockstellen – ACE-2-Rezeptoren – für das Coronavirus. Die benötigt das Virus, um in eine Zelle zu gelangen und sich dort zu vermehren. Prall gefüllte Fettzellen sind besonders beliebt. Aber das Coronavirus infiziert auch Zellen im Fettgewebe und beeinflusst damit ihre Funktion. Ob die Viren im Fettgewebe auch Long-Covid- und Post-Covid-Beschwerden begünstigen können, ist noch nicht geklärt, aber im Prinzip möglich. Eine bereits im Fettgewebe schwelende Entzündung könnte durch die Infektion mit dem Coronavirus beeinflusst werden. Wir stehen aber erst am Anfang der Forschung zur Wechselwirkung zwischen Covid-19 und der Funktion des Fettgewebes.

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Das Immunsystem von fettleibigen Menschen oder Typ-2-Diabetikern ist von vornherein bereits geschwächt. Warum ist das so?

Übergewicht kann eine Insulinresistenz verursachen. Körperzellen reagieren dann nicht mehr empfindlich genug auf das Hormon Insulin, dessen Aufgabe es ist, die Zellen zur Blutzuckeraufnahme zu veranlassen. Der Blutzuckerwert steigt deshalb an. Wenn Immunzellen insulinresistent sind, reagieren sie langsamer auf Infektionen. Deshalb können sie gegen Sars-CoV-2 oder auch gegen Grippeviren nur wenig ausrichten. Das erhöht dann auch das Risiko für lebensbedrohliche Immunreaktionen zum Beispiel bei Grippeerkrankungen. Muss ein Patient wegen einer Infektion ins Krankenhaus, sollte eine Insulinresistenz daher immer mitbehandelt werden.

Was sollten Betroffene tun, um ihre Gesundheit zu schützen?

Erstens: Sie sollten sich, wenn ansonsten nichts dagegenspricht, unbedingt impfen lassen. Deutliches Übergewicht und Fettleibigkeit, also Adipositas, sind im Hinblick auf Corona als Vorerkrankungen zu sehen. Betroffene haben ein schwächeres Immunsystem als normalgewichtige gesunde Gleichaltrige. Zweitens: Das Bauchfett muss weg. Nach einer radikalen Diät oder magenverkleinernden Operation verringert sich auch die Anzahl der veränderten Immunzellen im Fettgewebe. Jedes Kilogramm weniger wirkt sich damit indirekt auch antientzündlich aus. Das Immunsystem wird wieder schlagkräftiger.

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Der Diabetologe

Werdegang
 Matthias Blüher hat Medizin an der Universität Leipzig studiert. Im Zuge seiner Facharztausbildung für Innere Medizin arbeitete er unter anderem an der Havard Universität in Boston. Seit 2005 ist Matthias Blüher Professor für Endokrinologie am Universitätsklinikum Leipzig.

Auszeichnung
 2003 erhielt Blüher für seine Tätigkeit außerdem den Deutschen Adipositas Forschungspreis.