Der Kanzler wurde per Video zugeschaltet: Robert Habeck (li.), Olaf Scholz und Christian Lindner bei der Pressekonferenz im Kanzleramt. Foto: dpa/Kay Nietfeld

Die Regierung will bis zu 200 Milliarden Euro mobilisieren, um die Gas- und Stromrechnung der Haushalte und Unternehmen zu drücken. Wir erklären, worum es im Detail geht.

Deutschland stemmt sich mit aller Macht gegen die wirtschaftlichen Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine: Die Bundesregierung will bis zu 200 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen, um die Verbraucher angesichts stark gestiegener Strom- und Gaskosten zu entlasten, Unternehmen zu stützen und einen Kollaps der Gasmärkte zu verhindern.

Das gaben Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) am Donnerstag bekannt. Die zusätzlichen Kredite werden außerhalb des Bundeshaushalts verbucht. Scholz sprach angesichts der riesigen Summe von einem „Doppel-Wumms“ – in Anspielung auf den „Wumms“, mit dem die Vorgängerregierung 2020 das Land aus der Coronakrise katapultieren wollte. Damals ging es um Konjunkturhilfen im Umfang von 130 Milliarden Euro. Ein Überblick.

Was genau plant die Regierung?

Scholz, Habeck und Lindner haben lange um die Frage gerungen, wie eine angemessene Antwort auf die Energiekrise aussehen sollte. Jetzt ist ein „Abwehrschirm“ geplant, der Deutschland vor den Auswirkungen der von Russland verursachten Energie- und Wirtschaftskrise schützen soll. Dafür wird der so genannte Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), der zu Beginn der Coronapandemie eingerichtet worden war, reaktiviert und mit frischem Geld gefüllt. Er soll noch in diesem Jahr mit zusätzlichen Kreditermächtigungen im Umfang von 200 Milliarden Euro ausgestattet werden. Das Geld soll bis ins Jahr 2024 zur Verfügung stehen. Finanzminister Lindner sagte, Deutschland befinde sich „in einem Energiekrieg um Wohlstand und Freiheit“. Der Plan der Bundesregierung sei eine „glasklare Antwort“ an Russlands Präsident Wladimir Putin.

Was genau soll mit dem Geld geschehen?

Die Möglichkeiten zur Nutzung des Fonds sollen begrenzt werden. Und zwar auf die Finanzierung der geplanten Gaspreisbremse, zur Anschubfinanzierung der geplanten Strompreisbremse, zur Stützung von Unternehmen, die wegen der hohen Energiepreise zusätzliche Hilfen benötigen sowie zur Rettung von Gasimporteuren, die nach dem Wegfall russischer Gaslieferungen zu horrenden Preisen Ersatz beschaffen müssen und die Mehrkosten nur bedingt an ihre Kunden weitergeben können.

Was passiert mit der Gasumlage?

Sie kommt nicht, die Bundesregierung zieht die entsprechende Verordnung zurück. „Die Gasumlage wird jetzt in die Annalen der Geschichte eingehen“, sagte Wirtschaftsminister Habeck. Eigentlich sollten sämtliche Gaskunden ab dem 1. Oktober pro Kilowattstunde Gas 2,4 Cent extra entrichten. Mehr als 30 Milliarden Euro sollten auf diese Weise zusammenkommen und anschließend an angeschlagenen Gasimporteure wie Uniper, SEFE (ehemals Gazprom Germania) und VNG ausgeschüttet werden. Um die Umlage hatte es in den vergangenen Wochen viel Ärger gegeben, weil auch Trittbrettfahrer Ansprüche geltend machten. Zudem gab es rechtliche Bedenken, weil der Hauptprofiteur Uniper verstaatlicht wird. Sollten Versorger von Kunden bereits Geld im Zusammenhang mit der Gasumlage eingezogen haben, so muss dieses zurückgezahlt werden.

Wie ist der Stand der Dinge bei der Strom- und bei der Gaspreisbremse?

Für die Strompreisbremse sollen übermäßige Gewinne der Erzeuger abgeschöpft und an die Verbraucher zurückgegeben werden. Bei diesem Plan bleibt es, die Bundesregierung strebt weiterhin ein einheitliches Vorgehen auf EU-Ebene an. Habeck will, dass die Strompreisbremse noch in diesem Jahr greift. Die Details stehen aber noch nicht fest. Im Hinblick auf die Gaspreisbremse arbeitet eine Expertenkommission mit Hochdruck an einem Konzept. Es soll bis Mitte Oktober vorliegen. Geplant ist, dass jeder Verbraucher ein subventioniertes Grundkontingent an Strom und Gas erhält und für den darüber hinaus gehenden Verbrauch den Marktpreis zahlen soll. Beim Gas dürfte dies den Staat je nach konkreter Ausgestaltung einen zweistelligen Milliardenbetrag kosten. Die vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer auf Erdgas soll wie geplant kommen, sie wird auch auf Fernwärme ausgedehnt.

Was wird aus der Schuldenbremse?

Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse verbietet dem Bund, in normalen Zeiten im größeren Umfang neue Schulden zu machen. 2022 ist die Bremse wegen der Pandemie noch ausgesetzt. Finanzminister Lindner will die Schuldenregel 2023 aber unbedingt wieder einhalten. Deshalb setzte er durch, dass der schuldenfinanzierte, bis ins Frühjahr 2024 reichende Abwehrschirm in einem Schattenhaushalt außerhalb des regulären Etats angelegt wird. Für den Finanzminister und FDP-Chef ist das eine einigermaßen gesichtswahrende Lösung.

Mit der Zweckbindung der Mittel will Lindner Begehrlichkeiten anderer Ministerien abwehren. Für die geplanten Kreditermächtigungen soll der Bundestag in diesem Jahr noch einmal feststellen, dass sich das Land in einer Notsituation befindet. Das ermöglicht dann eine höhere Kreditaufnahme – und zwar über die ohnehin für 2022 geplante Neuverschuldung des Bundes im Umfang von fast 140 Milliarden Euro hinaus.

Ob die 200 Milliarden Euro, mit denen der Wirtschaftsstabilisierungsfonds ausgestattet werden soll, auch komplett abfließen, lässt sich noch nicht sagen. Theoretisch denkbar ist freilich auch, dass sich die Summe im Laufe der Zeit als zu klein herausstellen könnte.