Ein „Montagsspaziergang“ in Leonberg Foto: Simon Granville/Simon Granville

Eine rasch wachsende Zahl von Demonstrierenden geht in südwestdeutschen Städten für Demokratie und Wissenschaft auf die Straße. Die Initiatoren sind erfindungsreich.

STUTTGART - Zum Ausklang des vergangenen Jahres drohte der Name der Stadt Ravensburg zum Synonym wiederkehrender abendlicher Gewalttätigkeiten zu werden. Sie gingen von Gegnern der Coronamaßnahmen aus, die sich nicht mit dem Herumtragen von Transparenten begnügten. Die Ravensburger Polizei bearbeitet aktuell mehrere Strafanzeigen wegen Volksverhetzung und Angriffs auf Polizisten. Anfang dieser Woche organisierten sich in der Türmestadt erstmals Demonstrierende, die den Aggressionen nicht mehr tatenlos zusehen wollen.

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Dabei war die 22-jährige Hanna Schak. „Es macht mir große Angst, wie rechte Ideologien und Verschwörungsgeschichten seit Corona wieder Gehör finden“, sagt sie. Man dürfe die Regierung für manche Entscheidung kritisieren, aber „das ist kein Grund dafür die Wissenschaft zu leugnen und mit Rechten auf die Straße zu gehen.“ Laut einem Organisator ist die nächste ähnliche Demo schon in Vorbereitung.

Die Menschenkette lebt wieder auf

Ravensburg ist längst kein Einzelfall. Im ganzen Südwesten organisiert sich Widerstand gegen die Corona-Widerständler, die sich oft nicht um Versammlungsgenehmigungen scheren. In Konstanz kam am vergangenen Montag nach Polizeiangaben rund 450 Menschen zusammen, um den so genannten Spaziergängern entgegenzutreten. In Rastatt gründete sich das „Aktionsbündnis Mittelbaden“, unterstützt von Regionalpolitikern aus SPD und Grünen-Partei, dem örtlichen Gewerbeverein sowie dem Hotel- und Gaststättenverband. Rund 180 Bündnis-Teilnehmer gingen dort am Montag auf die Straßen. In einer Pressemitteilung heißt es zu den Auftritten der Impfgegner: „Wir sehen mit großer Besorgnis, wie derartige Treffen für antidemokratische Reden, Aufrufe gegen das Impfen und zur Verbreitung von Falschinformationen genutzt werden.“ Auch undemokratisches Verhalten könne wie ein Virus wirken.

Auch in Mannheim werden die Gegenproteste fortgesetzt. Bundesweit beachtet hatte sich dort am 27. Dezember eine erste Menschenkette aus 400 Teilnehmerinnen zum Schutz demokratischer Werte gebildet. Nachahmer fanden sich seither unter anderem auch in Mühlacker. Unter dem Stichwort „Uffbasse!“ haben Mannheimer eine Online-Petition gegen rechte Gewalt gestartet.

Zur Not auch ein Gegenprotest im Internet

In Singen am Bodensee ist es auf Initiative des SPD-Landtagsabgeordneten Hans-Peter Storz erstmals zu einer Online-Demonstration gegen die „Spaziergänger“ gekommen – auch Vertreter anderer Parteien und Kirchenleute hatten sich angeschlossen. Weiter aktiv ist auch ein Bündnis aus Pflegekräften in Schwäbisch Hall. Bereits im vergangenen Mai hatten sich Pflegekräfte den wöchentlichen „Mahnwachen“ so genannter Querdenker öffentlich entgegengestellt. In Offenburg wiederum kamen am vergangenen Montag erstmals rund 450 Menschen zusammen, um demokratische Werte auf der Straße zu verteidigen.

Noch sind die Gegendemonstranten klar in der Minderzahl. Nach Angaben des Innenministeriums zählten Polizeidienststellen allein am vergangenen Wochenende 33 „Versammlungslagen“ von Impfgegnern mit rund 13 500 Teilnehmern. Rund 1300 Polizeibeamte waren im Einsatz. Rund 450 Verstöße gegen die Corona-Verordnung – vor allem das Fehlen von Masken – seien geahndet worden, so das Ministerium. Die Regelungen der Städte sind uneinheitlich; vielerorts werden unangemeldete Aufzüge von „Spaziergängern“ geduldet.

In Ulm haben Medizinstudenten genug

So auch in Ulm, wo sich montags zuletzt rund 3000 Gegner von Corona-Maßnahmen ohne Anmeldung versammelten. Für diesen Freitag haben Studierende des Fachs Medizin der Universität Ulm erstmals zur Gegendemonstration in der Innenstadt aufgerufen. Den unsäglichen Behauptungen der „Querschwurbler“, so eine Teilnehmerin, müsse endlich laut widersprochen werden. Bei Redaktionsschluss lief die Demo noch.