Die spindelförmige Auffahrt zur B 10/B 27 soll abgerissen und nach dem Willen der Gemeinderatsmehrheit durch einen langen, zweiröhrigen Tunnel ersetzt werden. Foto: Lichtgut//Zweygarth

Eine Mehrheit der Stadträte will die Planungen für einen zweiröhrigen Tunnel an der Friedrichswahl vorantreiben. Die Grünen sprechen angesichts horrender Kosten von Irrsinn, das Linksbündnis sieht das Klimaneutralitätsziel in weite Ferne rücken.

Stuttgart - Darf man unter der Prämisse, dass Stuttgart bis 2035 klimaneutral sein will, heute noch Tunnelbauten beschließen, die sich negativ auf die Kohlendioxidbilanz auswirken? Diese Frage bestimmte am Dienstag die Debatte im Ausschuss für Stadtentwicklung über die neue Verkehrsinfrastruktur an der Zuffenhausener Friedrichswahl. Am Ende beschloss eine Mehrheit aus CDU, SPD, FDP, Freien Wählen und AfD, dass die zum Abriss vorgesehene Auffahrtspindel zur B 10/B 27 durch zwei Tunnelröhren mit einer Länge von 645 Metern (stadteinwärts) beziehungsweise 715 Metern (stadtauswärts) ersetzt werden soll. Der Tunnel soll Zuffenhausen, aber auch Feuerbach von Feinstaub- und Stickoxidausstoß durch den Autoverkehr entlasten. Die Verwaltung strebt als Baubeginn das Jahr 2027 an und rechnet mit einer Bauzeit von etwa zehn Jahren.

Linksbündnis scheitert mit Vorstoß für einen Planungsstopp

Die vom Tiefbauamt und Technikbürgermeister Dirk Thürnau (SPD) favorisierte einröhrige Kurztunnelvariante stadtauswärts, für die sich sogar die Grünen hätten erwärmen können, ist damit vom Tisch. Sowohl die Bezirksbeiräte in Zuffenhausen und Feuerbach als auch verschiedene örtliche Umweltschutzinitiativen hatten sich für die Langversion starkgemacht, aber Verbesserungen für den Rad- und Fußgängerverkehr angemahnt. Radinitiativen und der Verkehrsclub Deutschland (VCD) hatten die Tunnelplanungen dagegen generell als rückwärtsgewandt und klimaschädlich kritisiert. Daran knüpfte das Linksbündnis an: Luigi Pantisano (SÖS) forderte eine Vertagung weiterer Planungsschritte, bis wie angekündigt im Sommer das Beratungsunternehmen McKinsey Empfehlungen für Stuttgarts Klimaneutralitätsziel 2035 ausgearbeitet hat. „Sonst können wir uns davon schon jetzt verabschieden.“ Zudem müsse in einer von seiner Fraktion zusammen mit Grünen und der Puls-Fraktionsgemeinschaft beantragten Planungswerkstatt das Projekt auch im Hinblick auf die Kosten und die angestrebte Verkehrsreduzierung im Talkessel um mindestens 20 Prozent bis 2030 völlig neu aufgerollt werden. Die Forderung nach einem De-facto-Planungsstopp fand aber erwartungsgemäß keine Mehrheit.

CDU spricht von Stadtreparatur, SPD sieht Vorteile für Bezirke

Die Grünen als Mitunterzeichner des Antrags interpretierten den Text anders. Björn Peterhoff erklärte, die Planungswerkstatt könne auch auf Basis der absehbaren Mehrheit für eine lange Tunnelvariante die noch offenen Fragen bearbeiten. Dazu zählten insbesondere Verbesserungen für Fußgänger und Radfahrer im Kreuzungsbereich vor dem Tunnelmund am südlichen Ortseingang von Zuffenhausen sowie eine Grünraumplanung für die durch den Abriss der Spindel frei werdende Fläche.

SPD-Fraktionschef Martin Körner unterstrich die Vorteile des Langtunnels für die angrenzenden Stadtbezirke im Hinblick auf die Reduzierung von Luftschadstoffen und regte die Prüfung eines Stegs für Radfahrer und Fußgänger über die Ludwigsburger Straße an. Dem wollten sich CDU, FDP und Freie Wähler nicht verschließen, die sich ansonsten klar für den langen Tunnel positionierten. Dies sei „ein großes Stück Stadtreparatur“, so CDU-Fraktionschef Alexander Kotz.

Grüne: Dreistellige Millioneninvestition in Langtunnel ist Irrsinn

Streit gab’s auch ums Geld. Für Grünen-Stadtrat Peterhoff sind die grob geschätzten 383 Millionen Euro Baukosten Irrsinn, für FDP-Stadtrat Armin Serwani sinnvoll angelegtes Geld. Peterhoff verwies auf den Rosensteintunnel, dessen Kosten sich seit dem Baubeschluss 2012 von 193 Millionen auf mittlerweile mehr als 450 Millionen Euro mehr als verdoppelt haben. Immerhin: Nach Angaben von Bürgermeister Thürnau ist auch für den Bau des langen Tunnels mit Fördermitteln von Bund und Land zu rechnen, wenn der verkehrliche Nutzen nachgewiesen werden kann. Laut Thürnau könnte die Stadt dann mit rund 60 Millionen Euro an Zuschüssen rechnen. Das wäre ziemlich genau jene Summe, die auch an Förderung für den auf 97 Millionen Euro taxierten und damit deutlich günstigeren Kurztunnel zu erwarten gewesen wäre.