Mattia Binotto: Der Ferrari-Teamchef finden den Weg in die Erfolgsspur nicht und erlebt immer wieder heftige Debakel. Foto: imago

Seit Januar 2019 ist Mattia Binotto auf dem Posten des Teamchefs von Ferrari, doch in der Formel 1 geht es anstatt aufwärts immer weiter abwärts. Der 50-Jährige hat sich viele Probleme geschaffen.

Stuttgart - Der Spitzname für den neuen Mann an der Spitze der Scuderia Ferrari war schnell gefunden, nachdem der Formel-1-Rennstall den Technikdirektor am 7. Januar 2019 zum Teamchef befördert hatte: Mattia Binotto, damals 49 Jahre alt, galt als der Harry Potter der Formel 1, weil der Mann ebenso wie der Zauberschüler aus Hogwarts von burschikoser Statur ist und weil er vor allem eine ähnliche Rundbrille trägt. Doch im Gegensatz zur fiktiven Gestalt sucht der in Lausanne geborene Italo-Schweizer noch immer vergeblich und verzweifelt nach dem Stein der Weisen, und gut eineinhalb Jahre nach seiner Einsetzung als Zauberlehrling mutet die Ferrari-Garage für ihn manchmal an wie die Kammer des Schreckens. Eines muss nicht mehr bewiesen werden: Zaubern kann Mattia Binotto nicht, das steht fest – sonst sähe die Realität für die Roten wohl kaum so pechschwarz aus.

Die verknappte Corona-Saison 2020 der Formel 1 ist erst zwei Rennen alt, da ahnen die Ferrari-Fans bereits, dass es ein gewaltiges Wunder braucht, damit die Scuderia im Dezember den Fahrer-Weltmeister stellen kann. In der Teamwertung liegt Ferrari nach dem Totalausfall beim Großen Preis der Steiermark – Charles Leclerc hatte Sebastian Vettel weggeräumt und beide Autos irreparabel beschädigt – nur auf Platz fünf der Konstrukteurs-WM. Dabei haben die beiden Auftritte in Österreich jedem einigermaßen begabten Kfz-Mechatroniker demonstriert, dass der Bolide mit der Bezeichnung SF 1000 keine Meisterleistung der Ingenieurskunst nach Formel-1-Maßstäben darstellt. „Wir müssen akzeptieren, dass die Stoppuhr nicht lügt“, räumte Binotto ein.

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Ferrari-Vorstandschef Louis Camilleri musste bereits nach dem mäßigen Saisonauftakt seinem Formel-1-Teamchef hoch offiziell Absolution erteilen und ihm das weitere Vertrauen aussprechen – wenn aber das zweite Rennen eine noch schrecklichere Offenbarung mit sich bringt, dauert es womöglich nicht mehr lange bis zur Apokalypse. Gerhard Berger, mit Unterbrechung sechs Jahre lang Ferrari-Fahrer, sieht Binotto in seinen Aufgaben überfordert, weil er in „der derzeitigen Struktur die Jobs von Jean Todt, Ross Brawn und Rory Byrne allein stemmen“ müsse. Das Ü-Ei der Formel 1: Teamchef, Technikchef und Chassischef in einem. In all der Flut von Aufgaben hat Mattia Binotto häufig recht unglücklich agiert.

Als das Duell um die Nummer eins zwischen Altstar Vettel und Jungstar Leclerc vor einem Jahr brisanter wurde, fuhr der der Teamchef Schlingerkurs wie ein Orientierungsloser. Es gab keinen strukturierten Plan und keine klaren Ansagen – das schadete allen. Erst hieß es, die Scuderia setze auf den Deutschen, bald ignorierte Leclerc die Marschroute, ohne einen Rüffel zu bekommen, dann galt der Monegasse als Liebling.

Sebastian Vettel, immerhin ein viermaliger Weltmeister, war schleichend demontiert worden; freilich hatte der Heppenheimer diese Entwicklung durch eigene Fehler begünstigt. Zur Führungsschwäche gesellte sich ein böses Kommunikationsmanko, als Ferrari schließlich die Trennung von Vettel erklärte. Es habe sich, teilte der 33-Jährige später verwundert mit, nicht so zugetragen wie es das Team in der Presseerklärung dargestellt habe. Eine vorbildliche Trennung von einem wichtigen Mitarbeiter sollte korrekt ablaufen, Signore Binotto gab kein gutes Bild ab.

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Wenn es lediglich um einen verbesserungsfähigen Führungsstil ginge, müsste sich der 50-Jährige wahrscheinlich keine Sorgen machen. Doch die Vermutung, Ferrari habe 2019 beim Motorenmanagement unerlaubt getrickst, wurde noch nicht glaubhaft widerlegt. Der Automobil-Weltverband Fia hatte die Italiener dringend aufgefordert, sie mögen wieder zurückrüsten, was geschehen ist, wie die Daten der folgenden Rennen zu belegen scheinen. Die Philosophie, den Erfolg um jeden Preis zu erringen, dürfte in der Chefetage von Ferrari nicht mit einem zustimmenden Kopfnicken beurteilt worden sein. Betrug ist nicht gut fürs Image. Auch dabei dürfte Binotto in seiner Personalakte bei Konzernmutter Fiat-Chrysler kaum Pluspunkte gesammelt haben.

Der schwerwiegendste Kritikpunkt aber lautet: Dem Maschinenbau- Ingenieur (Master in Fahrzeugtechnik) ist nicht gelungen, seine Mannschaft zu einen, sie einzuschwören und zu motivieren sowie die Strukturen herzurichten, um für das Jahr 2020 ein konkurrenzfähiges Auto zu entwerfen. Der kleine Mann ist kein charismatischer Anführer, der seine Belegschaft mitreißen kann. Kein Vordenker, dessen Ideen und Visionen die Mitarbeiter begeistern. Kein Rhetoriker, der Schwieriges leicht aussehen lässt. Und schließlich ist Mattia Binotto nicht Harry Potter. Er kann nicht zaubern.