Braunkohlekraftwerk Jänschwalde in Brandenburg: Deutschland will bis 2038 ganz aus der Kohle aussteigen. Zunächst könnte sich das Land aber gezwungen sehen, mehr Kohlestrom zu erzeugen, als ihm lieb ist. Foto: dpa/Patrick Pleul

In der Stromproduktion soll laut Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) jetzt verstärkt Kohle statt Erdgas zum Einsatz kommen. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Nach und nach dreht Russlands Machthaber Wladimir Putin Westeuropa den Gashahn zu. Auch Deutschland bekommt seit der vergangenen Woche deutlich weniger Erdgas geliefert. Wenn es schlecht läuft, gelingt es nicht, rechtzeitig die Gasspeicher für den Winter zu füllen. „Die Versorgungssicherheit ist aktuell gewährleistet. Aber die Situation ist ernst“, sagt Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Um den Gasverbrauch zu senken, sollen unter anderem bei der Stromproduktion verstärkt klimaschädliche Kohlekraftwerke zum Einsatz kommen. Ein Überblick.

Wie stellt sich die Lage beim Gasimport aus Russland dar?

Russland hatte in der vergangenen Woche den Gastransport Richtung Deutschland durch die wichtigste Pipeline Nord Stream 1 auf 40 Prozent der Maximalleistung gedrosselt. Offiziell sind technische Probleme die Ursache. Tatsächlich dürfte das Vorgehen eine Reaktion auf die Unterstützung des Westens für die Ukraine sein, gegen die Russland einen Angriffskrieg führt. Die Bundesnetzagentur betonte am Montag in ihrem Lagebericht, dass die Gasversorgung in Deutschland derzeit weiterhin stabil sei. Die von Lieferausfällen betroffenen Unternehmen könnten diese Mengen anderweitig am Markt beschaffen, müssten aber höhere Preise bezahlen. Die Füllstände der deutschen Gasspeicher lägen jetzt bei 57,57 Prozent.

Kann Kohle Erdgas ersetzen?

Wirtschaftsminister Habeck will erreichen, dass im Sommer und Herbst so viel Gas wie möglich eingespart wird, um die Speicher für den Winter zu füllen. Für die Industrie sind Auktionen geplant, die Anreize zum Gassparen setzen sollen. Bei der Stromerzeugung sollen Gaskraftwerke, die im vergangenen Jahr noch rund 15 Prozent der hiesigen Produktion ausmachten, so weit wie möglich von Kohlekraftwerken aus dem Markt gedrängt werden – obwohl Kohlekraftwerke schlechter fürs Klima sind. „Das ist bitter, aber es ist in dieser Lage schier notwendig, um den Gasverbrauch zu senken“, sagt Habeck.

Wie soll das praktisch gehen?

Die Regierung hatte Anfang Juni bereits einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der das Ziel hat, umgehend Ersatzkraftwerke in Betrieb nehmen zu können, wenn in Deutschland das Gas knapp wird. Der Entwurf befindet sich im parlamentarischen Verfahren und soll so schnell wie möglich vom Gesetzgeber verabschiedet werden. Geplant ist, befristet bis zum 31. März 2024 eine Gasersatz-Reserve einzurichten. Heruntergefahrene Kraftwerke aus der bestehenden Netzreserve (Steinkohle und Öl) sowie aus der Sicherheitsbereitschaft (Braunkohle) sollen von den Betreibern ertüchtigt werden, um bei Bedarf sehr kurzfristig wieder Strom produzieren zu können. Das soll „auf Abruf“ geschehen – das heißt dann, wenn die Regierung in einer Rechtsverordnung feststellt, dass die Sicherheit oder Zuverlässigkeit der Gasversorgung gefährdet ist. Etliche Kraftwerke befinden sich bereits jetzt in einer der existierenden Reserven. In Baden-Württemberg betrifft das etwa zwei Blöcke des Steinkohlekraftwerks Heilbronn oder einen Block des Heizkraftwerks Altbach. In Ostdeutschland sind zwei Blöcke des Braunkohlekraftwerks Jänschwalde in der Sicherheitsbereitschaft.

Will Deutschland nicht aus der klimaschädlichen Kohle aussteigen?

Die Kohleverstromung soll bis 2038 eingestellt werden. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP heißt es, dass dies „idealerweise“ sogar schon bis 2030 über die Bühne gehen solle. Um sich von Kohle und Gas unabhängig zu machen, will die Bundesregierung den Ausbau der erneuerbaren Energien massiv beschleunigen. Wenn jetzt vorübergehend Kohlekraftwerke wieder ans Netz gehen, werden diese zwangsläufig Gaskraftwerke verdrängen, da die Kohleverstromung deutlich billiger ist.

Was sagt die Wirtschaft zu den Plänen?

Industriepräsident Siegfried Russwurm unterstützt Habecks Vorgehen. „Wir müssen den Verbrauch von Gas so stark wie möglich reduzieren, jede Kilowattstunde zählt.“ Die Befüllung der Gasspeicher müsse Priorität haben. Unternehmen müssten kurzfristig von Gas auf andere Energieträger umstellen, wo das gehe. Eine Reihe industrieller Prozesse funktioniere aber nur mit Gas. Die Gasverstromung müsse sofort gestoppt werden, und es müssten Kohlekraftwerke aus der Reserve geholt werden. Auch der Chef des Energiekonzerns RWE, Martin Krebber, sprach sich für eine zeitweise Reaktivierung von Kohlekraftwerken aus. Krebber sagte, dass Strom und Gas infolge von Russlands Angriff auf die Ukraine noch jahrelang teuer bleiben dürften. Es werde vermutlich „drei bis fünf Jahre dauern“, bis neue Kapazitäten geschaffen und andere Staaten Energie liefern könnten.