Bei der Verabschiedung des Etatplans für 2025 in Fellbach-Schmiden hatten sich die Kreisräte die Entwicklung der Finanzen zwar bereits defizitär, aber nicht so dramatisch vorgestellt, wie sie sich jetzt andeutet. Foto: Gottfried Stoppel

Mit einem Defizit von 25,5 Millionen Euro droht dem Rems-Murr-Kreis die finanzielle Handlungsunfähigkeit. Landrat und Kommunen fordern strukturelle Reformen.

Es ist eine düstere Bilanz, die der Kämmerer Matthias Rebmann im Verwaltungs-, Schul- und Kulturausschuss vorgelegt hat. Der Rems-Murr-Kreis rauscht immer tiefer in die roten Zahlen. Bereits zum zweiten Mal in Folge reichen die Einnahmen nicht aus, um die Ausgaben zu decken. Für 2024 war mit einem Minus von 15,6 Millionen Euro kalkuliert worden – am Ende stand ein Defizit von 20,7 Millionen. Und auch das laufende Jahr verheißt keine Besserung: Das Loch im Haushalt für 2025 wird mit rund 25,5 Millionen Euro beziffert, fast 17 Millionen mehr als ursprünglich geplant.

Rebmann fasst es nüchtern zusammen: „Leider noch negativer als erwartet.“ Die Rücklagen schmelzen, die Verschuldung wächst: Von derzeit 137 Millionen Euro könnte sie bis Ende 2025 auf 190 Millionen steigen. „Das ist schon eine Hausnummer“, kommentiert der Kämmerer trocken, verweist aber auf Neubauten und Investitionen, die dieser Summe gegenüberstünden.

Kommunen zwischen Schuldenlast und Pflichtaufgaben

Doch das Defizit ist mehr als eine konjunkturelle Delle im Rems-Murr-Kreis. Landrat Richard Sigel spricht offen aus, was viele Kommunalpolitiker derzeit denken: „Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Wären Soziales und Kliniken von Bund und Land ausreichend finanziert, hätten wir hier gar kein Thema.“ Was wie ein lokales Haushaltsproblem wirkt, ist in Wahrheit Teil eines landesweiten Finanzdramas.

„Die Kommunalfinanzen sind in einer solch dramatischen Schieflage, dass bereits die Erfüllung der Pflichtaufgaben kaum mehr möglich ist“, formulierte der Präsident des Gemeindetags Baden-Württemberg, Steffen Jäger, jetzt in einem offenen Brandbrief zum Tag der Deutschen Einheit.

Kliniken und Sozialbereich treiben Defizit in die Höhe

Die Hauptverursacher sind bekannt: die Rems-Murr-Kliniken, deren Zuschussbedarf das Doppelte der Prognose betrug, und der Sozialbereich, vor allem im Bereich Teilhabe. Allein hier rechnet der Kreis mit 12,4 Millionen Euro Mehrausgaben. Gleichzeitig bleiben die zugesagten Hilfen von Bund und Land aus oder kommen zu spät.

„Hier wird immer gejammert – aber diesmal stimmt‘s“, soll Ministerpräsident Winfried Kretschmann bei der jüngsten Versammlung der Landkreise gesagt haben. Foto: IMAGO/Arnulf Hettrich

Auch die Bürgermeister vor Ort schlagen Alarm. Backnangs Rathauschef Maximilian Friedrich (Freie Wähler) spricht von einem „kommunalen Hilferuf“: „Wir können mit eigenen Anstrengungen keinen nachhaltigen Beitrag leisten, um die Lücken zu schließen. Wir haben eine wahnsinnige Kostenexplosion, auf die wir keinen Einfluss haben.“ Ulrich Lenk (FDP) geht angesichts der seiner Meinung nach weitgehend unverschuldeten Finanzmisere der kommunalen Ebene noch weiter: „Das ist eine Staatskrise.“ Landrat Richard Sigel zitiert eine Aussage des Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann bei der jüngsten Landkreisversammlung: „Hier wird immer gejammert – aber diesmal stimmt‘s“, soll dieser dort gesagt haben.

Sparen mit der Gießkanne – doch reicht das?

Der Landkreis versucht längst gegenzusteuern: Eine Haushaltsstrukturkommission arbeitet seit Monaten an Einsparvorschlägen. Mindestens zehn Millionen Euro sollen aus dem Haushalt gestrichen werden. Bereits 6,4 Millionen Euro sind konkret identifiziert, weitere 3,9 Millionen sollen folgen.

Gespart wird an vielen Stellen – und nicht ohne Symbolkraft. Die Kantine im Landratsamt etwa erhöht die Preise um 22 Prozent, Drucker werden abgeschafft, bei der Obstbauberatung gekürzt, sogar bei der medizinischen Soforthilfe für Vergewaltigungsopfer. Manche Maßnahmen bringen kaum spürbare Entlastung, doch politisch wirken sie als Signal: Es gibt keine Tabus mehr.

Schon heute gilt: Ohne neue Schulden gibt es keine Investitionen. Ob Klimaschutz, Straßenbau, Schulen oder soziale Infrastruktur – Geld fehlt fast überall. Die Rücklagen sind fast aufgebraucht: Von einst knapp 30 Millionen bleiben Ende 2024 noch rund 9 Millionen. „Wir leben über unsere Verhältnisse“, mahnt Maximilian Friedrich. Und er ergänzt: „Das ist kein nachhaltiges System.“

Ruf nach einer grundlegenden Reform

Längst geht es nicht mehr nur um kurzfristige Sparrunden, sondern um eine strukturelle Wende. „Der Staat lebt über seine Verhältnisse – und das seit Jahren“, sagt Steffen Jäger. Es brauche eine gesamtstaatliche Reform, ein Umdenken bei Leistungsversprechen, Standards und Zuständigkeiten. Auch Fellbachs Oberbürgermeisterin Gabriele Zull warnt: „Ohne ausreichende finanzielle Mittel ist die kommunale Selbstverwaltung gefährdet.“

Der Appell des Gemeindetags ist eindeutig: keine neuen Aufgaben ohne Gegenfinanzierung, klare Zuständigkeiten und weniger Bürokratie.

Stillstand gefährdet das Vertrauen der Bürger

Was passiert, wenn sich nichts ändert, beschreibt der Gemeindetag in drastischen Worten: Sanierungen werden gestrichen, Öffnungszeiten gekürzt, Investitionen auf Eis gelegt, Gebühren steigen. Und mit ihnen auch der Unmut der Bürgerinnen und Bürger. „Die Unzufriedenheit wächst“, warnt Gabriele Zull.

Am Ende geht es nicht nur um Zahlenkolonnen und Bilanzen, sondern um das Vertrauen in die Demokratie vor Ort. Dort, wo sie gelebt wird – und derzeit auf dem Prüfstand steht.