Elizabeth Banks (l) und Sigourney Weaver im Wettbewerbsfilm „Call Jane“. Foto: dpa/Wilson Webb

Ein packendes Drama um Abtreibungen, jede Menge Privates und die Schweizer Bergwelt: die Filme auf der Berlinale bieten viele Themen.

Berlin - Die großen Hollywoodstudios glänzen in diesem Jahr bei der Berlinale mit fast kompletter Abwesenheit, aber immerhin eine US-Produktion hat es in den Wettbewerb geschafft. Und ausgerechnet dieser Film ist es nun, der so explizit wie bislang sonst keiner die Politik auf die Leinwand brachte. Phyllis Nagys „Call Jane“, der seine Weltpremiere kürzlich beim Sundance Film Festival feierte, spielt 1968 in Chicago. Joy (Elizabeth Banks, genau wie Nebendarstellerin Sigourney Weaver nicht nach Berlin gereist) ist brave Anwaltsgattin, Hausfrau und Mutter in der Vorstadt, die von den Unruhen der Bürgerrechtsbewegung, die im ganzen Land die Weichen auf Veränderung stellt, nur am Rande etwas mitbekommt.

Eine wahre Geschichte

Doch eine unerwartete Schwangerschaft, die sich für sie als lebensgefährlich erweist, verändert alles. Denn trotz der Diagnose weigern sich alle Ärzte, die Schwangerschaft abzubrechen. Abtreibung ist schließlich verboten. Und so stößt Joy in ihrer Verzweiflung auf eine Telefonnummer und den Namen Jane, hinter denen eine Gruppe selbstorganisierter Frauen steckt, die sich um Fälle wie ihren kümmert.

Es ist eine hochinteressante, packende und vor allem wahre Geschichte, die Nagy erzählt (die Janes gab es wirklich, in Sundance lief dazu auch ein sehenswerter Dokumentarfilm). Dass sie es ein wenig brav, sehr publikumsfreundlich und fast als Feel-Good-Film angelegt hat, mag man ihr kaum vorwerfen. Denn sich dem Thema Abtreibung auf unterhaltsame, aber angemessen ernste Weise zu nähern, ist alles andere als ein Kinderspiel. Und dass die Sache auch 50 Jahre später an Relevanz kaum eingebüßt, lässt sich nicht nur mit dem Blick auf die sich wieder verschärfende Gesetzgebung in mehreren US-Bundesstaaten erkennen, sondern liegt auch bei uns auf der Hand, wo Ärztinnen und Ärzte nach wie vor nicht einmal online Schwangerschaftsabbrüche bei ihren Leistungen auflisten dürfen.

Beziehungsdrama mit Juliette Binoche, Politisches mit Charlotte Gainsbourg

In den meisten anderen Wettbewerbsbeiträgen ist dagegen der Rückzug ins private angesagt. Während Claire Denis sich in „Avec amour et acharnement“ ganz auf eine durch einen Dritten in zerstörerische Schwingungen versetzte Beziehung und vor allem ihre famosen Hauptdarstellerinnen und Hauptdarsteller Juliette Binoche und Vincent Lindon konzentriert, leuchten politische Ereignisse in Mikhaël Hers’ „Les passagers de la nuit“, einem weiteren französischen Bärenanwärter, zumindest im Hintergrund auf. 1981 liegen in Paris Regierungswechsel und Hoffnung in der Luft, während Elisabeth (stark: Charlotte Gainsbourg) plötzlich alleinerziehende Mutter ist und die Begegnung mit einer jungen Herumtreiberin ihr und ihren beiden Teenagern ganz neue Perspektiven eröffnet.

Und dann war da noch „Drii Winter“, ein mit Laien besetztes Drama in der und über die Schweizer Bergwelt und ihre wortkarg-verschrobenen Bewohner. Regisseur Michael Koch erzählt das ganz ruhig, sieht man einmal von mehrstimmig gesungenen Volksliedern sowie dem alten Haddaway-Hit „What is Love“ ab. Den diesjährigen Berlinale-Trend der wahrhaftig anmutenden Sexszenen setzt aber auch er fort, allerdings mit Stier und Milchkuh.

Lesen Sie aus unserem Angebot: Die Berlinale-Macher im Gespräch„Das Kino muss unterstützt werden“