Nach dem jüngsten Feuer in Backnang sieht das Entsorgungsunternehmen Veolia keine eigenen Versäumnisse. Vielmehr müsse die Politik endlich handeln, um die Akku-Gefahr zu stoppen.
Montag, 14. Juli, kurz nach drei Uhr morgens. Es riecht nach verbranntem Plastik, Funken fliegen in den Nachthimmel. 60 Feuerwehrleute kämpfen gegen Flammen, die sich durch eine Halle des Entsorgungsbetriebs Veolia fressen. Erst im Juni hatte ein Feuer an exakt derselben Stelle eine Lagerhalle zerstört, der Schaden damals: mehrere Millionen Euro. Nun also wieder ein Brand – immerhin ohne Verletzte, die Polizei schätzt den Schaden nach ersten Erkenntnissen auf rund 200.000 Euro.
Doch was wie ein lokales Ereignis klingt, ist längst Teil eines viel größeren Problems.
Entsorgungsunternehmen unter Druck – „Brandschutz hat funktioniert“
Die Frage liegt auf der Hand: Hat Veolia ein Sicherheitsproblem? Die Unternehmenssprecherin Diana Viets weist das entschieden zurück. „Unser Brandschutzsystem hat einwandfrei funktioniert. Wärmebildkameras haben früh Alarm geschlagen, die Feuerwehr konnte sofort eingreifen“, erklärt sie auf Anfrage. Versäumnisse gebe es nicht. Im Gegenteil: Man investiere seit Jahren freiwillig in zusätzliche Brandschutzmaßnahmen, die weit über gesetzliche Vorgaben hinausgingen.
Vierter Großbrand im Jahr 2025
Und tatsächlich: Die Flammen in der Nacht zum 14. Juli konnten schnell eingedämmt werden, ein Übergreifen auf andere Gebäudeteile wurde verhindert. Dennoch bleibt der bittere Beigeschmack – denn es war bereits der vierte Großbrand bei Veolia in diesem Jahr:
- 16. Mai, Rostock – Abfälle in einem Außenlager fangen Feuer.
- 23. Mai, Dresden – Selbstentzündung in einer Lagerhalle.
- 4. Juni, Backnang – Millionenschaden nach Großbrand.
- 1. Juli, Hamburg – Brand in einer Sortieranlage für Leichtverpackungen.
Die tickende Zeitbombe im Müll
Was die Ursache beim jüngsten Brand in Backnang angeht, tappt die Polizei noch im Dunkeln. Doch vieles deutet auf eine bekannte Gefahr: falsch entsorgte Lithium-Ionen-Akkus. Schon beim Feuer im Juni vermuteten Ermittler eine Selbstentzündung im gepressten Müll. „Das ist kein Einzelfall, sondern ein strukturelles Problem“, betont Daniela Viets.
Tatsächlich sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache. Wie der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft (BDE) mitteilt, kommt es bundesweit zu bis zu 30 Bränden pro Woche in Entsorgungsanlagen. In 80 Prozent der Fälle seien Lithium-Ionen-Akkus die Ursache. Eine einzige falsch entsorgte Batterie reicht aus, um eine komplette Abfallbehandlungsanlage in Brand zu setzen.
Die gefährlichen Akkus stecken heute in fast allen Alltagsprodukten: in blinkenden Kinderschuhen, Grußkarten, Kinderspielzeug oder Einweg-E-Zigaretten. Und sie landen massenhaft im Rest- oder Verpackungsmüll, obwohl sie dort nichts zu suchen haben. „Jede falsch entsorgte Batterie kann Leben gefährden“, warnt Viets.
Brandschutz in der Branche am Limit
Veolia betont, alles technisch Mögliche zu tun. Frühwarnsysteme, Wärmebildkameras, automatische Löschanlagen – all das sei im Einsatz. Doch die Wahrheit ist: Der Brandschutz in der Branche stößt an Grenzen. „Unsere Maßnahmen bekämpfen nur die Symptome“, räumt Viets ein.
Dazu kommt: Die Häufung der Brände treibt die Kosten für Versicherungen in die Höhe. Viele Betriebe finden kaum noch Versicherer, manche stehen vor dem Aus. Laut BDE werden Recyclinganlagen inzwischen mit einem fast doppelt so hohen Schadensatzfaktor eingestuft wie andere brandgefährdete Industrien, etwa die holzverarbeitende Branche.
Forderungen an Politik und Hersteller
Deshalb wächst der Druck auf die Politik. Der BDE fordert ein ganzes Maßnahmenpaket, um die Brandgefahr zu senken:
- Ein Pfandsystem für Batterien: Ein finanzieller Anreiz soll die Rückgabe fördern und Fehlwürfe verhindern.
- Ein Verbot riskanter Produkte: Vor allem Einweg-E-Zigaretten stehen in der Kritik. Belgien und Frankreich haben sie bereits teilweise verboten.
- Kennzeichnungspflichten: Verbraucher sollen sofort erkennen, welche Produkte Akkus enthalten.
- Ein Herstellerfonds: Produzenten von Batterien und Elektrogeräten sollen für Brandschutz- und Wiederaufbaukosten aufkommen.
Veolia unterstützt diese Forderungen ausdrücklich. „Wir brauchen einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz. Politik, Hersteller und Verbraucher müssen handeln“, fordert Viets.
Vertrauen der Bürger erschüttert – Recycling in Gefahr
In Backnang läuft der Betrieb inzwischen wieder. „Unsere Sammeltouren im Landkreis sind nicht betroffen“, sagt Viets. Doch das Vertrauen ist erschüttert. Zwei Brände in sechs Wochen – manche Bürger fragen sich, ob sie ihren Müll noch ohne Risiko in die Tonnen werfen können.
Für die Branche steht viel auf dem Spiel. Denn mit jedem Brand gerät nicht nur die Entsorgungssicherheit in Gefahr, sondern auch das Recycling, ein zentraler Baustein der Kreislaufwirtschaft. Ohne funktionierende Anlagen bricht die Rohstoffrückgewinnung ein – mit Folgen für Klima und Wirtschaft.
„Politik muss jetzt handeln“ – BDE warnt vor Eskalation
Der BDE mahnt deshalb Eile an. „Brände in Entsorgungsanlagen werden immer noch unterschätzt. Die Politik muss jetzt handeln“, sagt BDE-Präsidentin Anja Siegesmund. Die Novelle des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes sei eine „verpasste Chance“ gewesen – das Problem falsch entsorgter Akkus wurde dort schlicht ausgeklammert.
Unterdessen werden es immer mehr Akkus: Der Markt für Lithium-Ionen-Batterien wächst rasant, allein in Deutschland auf knapp 19 Milliarden Euro. Ein Ende ist nicht in Sicht. „Ohne Gegenmaßnahmen wird diese Entwicklung die Entsorgungswirtschaft an ihre Grenzen bringen“, warnt der BDE.