Am Freitag haben Bürgerinnen und Bürger den lauen Abend in Stuttgart genossen. Foto: Lichtgut /Ferdinando Iannone

Stuttgart in Feierlaune: Nach einer langen Zeit des Darbens während der Coronapandemie hat sich die Stadt wieder an kleine Feste und Livemusik gewagt.

Stuttgart - Carl Grommelt lauscht gebannt der Musik. Der 47-Jährige aus Gerlingen steht im Dunklen auf dem Kleinen Schlossplatz, wo die klare Stimme der Sängerin von Everdeen erklingt. „Super schön“, sagt er.

Und er meint damit alles – die laue Nacht, die Musik, die Veranstaltung. „Ich finde toll, dass man als Zuschauer einfach hier stehen und mitwippen kann“, sagt er. Und dann ärgert sich Carl Grommelt etwas. Dass er sich eine Kinokarte gekauft habe. Vielleicht werde er den Film sausen lassen, sagt er, und wendet sich wieder der „Kleinen Abendmusik“ zu, die das Pop-Büro hier erklingen lässt.

Es ist Freitagabend, und Stuttgart hat sich wieder schön gemacht. Nach einer langen Zeit des pandemiebedingten Darbens wird wieder Livemusik gespielt. Der Regen hat sich verzogen. Die Menschen genießen das T-Shirt-Wetter, prosten sich auf gut besetzten Bierbänken zu, sitzen auf Plätzen, Grünstreifen und Stufen.

Veranstalter zeigen sich zufrieden

Voll ist es in der Stadt, aber nicht zu voll. „Es ist wie ein zweiter Sommer“, sagt Victor Bonneau (31), der mit Freunden einen Tisch vor einer Bar ergattert hat. „Ich finde es mal wieder gesellig“, sagt sein Kumpel, „ganz ungewohnt.“ Auch auf dem Mini-Weindorf am Schillerplatz ist die Stimmung bestens. „Es war höchste Zeit“, sagt Tamara Niesler (40) aus Haigerloch, die sich mit Kollegen niedergelassen hat.

Die Veranstalter zeigen sich mit dem Sommer- und Ausgeh-Comeback ebenfalls zufrieden. Gastronomen wie Stefan Reim vom Il Pomodoro freuen sich über rappelvolle Terrassen. Wenige Meter entfernt, auf dem Wilhelmsplatz, tanzen Besucher auf dem „Übehaus Music Vibes“-Festival. „Super geil“, sagt Leonard Goth von C2 Concerts. Zwar seien nur 110 von 200 Tagestickets verkauft, aber die Karten für den Samstag seien so gut wie vergriffen, und überhaupt: „Es ist unsere erste Veranstaltung seit dem Kulturwasen.“ Der Aufwand durch die 3G-Kontrollen sei hoch, aber die Besucher hätten Verständnis. „Die, die da sind, sind total glücklich, dass was geht“, sagt er.

Erinnerungen an Krawallnacht bleiben haften

Die Stimmung war zuletzt nicht immer so harmonisch in Stuttgart. Vor allem am Kleinen Schlossplatz hatte es zuletzt viel Ärger gegeben. Der 20. Juni 2020 ist als Krawallnacht mehr als unrühmlich in die Geschichte der Landeshauptstadt eingegangen. Prügelnde, randalierende und plündernde Horden haben das Image der Stadt ramponiert, und auch danach haben große Gruppen von Feiernden aus vielerlei Gründen Unmut unter Bürgern, Händlern und Wirten ausgelöst – wegen der Müllberge und zu viel Lärms, wegen einer teils ins Aggressive kippenden Stimmung und wegen nicht eingehaltener Coronaregeln.

Das sogenannte Genussplätzle, das jetzt binnen kürzester Zeit auf dem Kleinen Schlossplatz ins Leben gerufen worden ist, soll mit Gastronomie und Kultur den Trend umkehren. Oberbürgermeister Frank Nopper hat im Vorfeld von „Akzenten für eine gute Aufenthaltsqualität im Herzen unserer Stadt“ gesprochen, was die Geschäftsführerin des veranstaltenden Vereins Pro Stuttgart, Bärbel Mohrmann, ganz ähnlich sieht: „Der Kleine Schlossplatz ist in den vergangenen Monaten ein wenig in Verruf geraten.“ Bis 2. Oktober, jeweils von Donnerstag bis Samstag, wolle man für eine andere Atmosphäre sorgen. Bereits am Freitagabend, dem zweiten Eventtag, erklärt sie angesichts zufriedener Gäste und eines friedlichen Ambientes den Plan für aufgegangen. „Es war der richtige Schritt, das richtige Konzept.“

Minderjährige belagern die Freitreppe

Die Jugendlichen sind trotzdem da, wenn auch nicht so zahlreich wie zuletzt. Viele Minderjährige belagern die Freitreppe, einzelne Grüppchen haben sich auf dem Rasen vor dem Schloss oder am Eckensee niedergelassen. Es scheint sich alles etwas zerstreut zu haben. Auf dem Karlsplatz hat sich eine Party mit gut und gerne 100 jungen Leuten gebildet. Einer der DJs, der Elektro auflegt, spricht von einem spontanen Treffen.

Laut Polizei bleibt die Nacht ruhig. Der einzige nennenswerte Vorfall – ein 33-Jähriger widersetzte sich gegen Mitternacht einer Kontrolle und versuchte, einem Beamten eine Waffe aus dem Holster zu ziehen – habe nichts mit den Veranstaltungen zu tun gehabt.

„Die Koexistenz klappt wirklich gut. Aus meiner Sicht ist das der richtige Weg“, resümiert André Schmidt aus dem Rathaus auf dem Kleinen Schlossplatz. Auch er berichtet von „null Komma null“ Störungen am Kleinen Schlossplatz. Dennoch mahnt er: Man müsse sich den jungen Leuten dennoch widmen. „Irgendwo müssen sie hin“, sagt er. „Das Verdrängen hat noch nie funktioniert.“