Festakt mit alten und neuen Weggefährten im Waiblinger Bürgerzentrum Foto: Edgar Layher

Noch immer wird bei den Liberalen im Rems-Murr-Kreis die Graswurzeldemokratie beschworen. Der aktuelle Parteichef Christian Lindner taucht höchstens in Nebensätzen auf.

Der Name des aktuellen Parteivorsitzenden Christian Lindner tauchte im Waiblinger Bürgerzentrum allenfalls am Rande auf. In aller Munde war beim Festakt der Kreis-FDP am Freitag hingegen der Name des Urgesteins Reinhold Maier. Der 1889 in Schorndorf geborene Liberale, nach dem Zweiten Weltkrieg kurzzeitig der erste Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, verkörpert alles, worauf die FDP im liberalen Stammland stolz ist.

„Bodenständig, bürgernah und bescheiden“ soll die FDP-Politik sein

Graswurzeldemokratie und Remstal-Politik wurden deshalb in ausnahmslos allen Redebeiträgen beschworen. Von der Begrüßung durch den Kreisvorsitzenden Jochen Haußmann bis zum Schlusswort seiner Landtagskollegin Julia Goll wurde deutlich, dass sich die FDP im Rems-Murr-Kreis dieser Tradition verbunden sieht – auch wenn der 1971 verstorbene Jurist die in Waiblingen gefeierte Gründung des Kreisverbands selbst gar nicht mehr erleben durfte. „Bürgernah, bodenständig und bescheiden“, brachte Haußmann das Idealbild der Partei auf den Punkt.

Der Fellbacher Ulrich Lenk fand als langjähriger Frontmann der Kreistagsfraktion für die Verwurzelung vor Ort die ebenfalls an Reinhold Maier angelehnte Formulierung: „Den Leuten aufs Maul schauen, ohne ihnen nach dem Mund zu reden.“ Eine Liebesheirat war es nicht, die wegen der Kreisreform vor fünf Jahrzehnten auch bei den Liberalen eine Fusion nötig machte. Nach der Auflösung der Altkreise Backnang und Waiblingen und der Bildung der neuen Struktur musste sich auch die Politik neu aufstellen, die FDP stellte mit ihrem Kreisverband schon im Februar 1973 die Weichen.

„Den Leuten aufs Maul schauen, aber ihnen nicht nach dem Mund reden“

Vor den 120 Gästen im Bürgerzentrum verschwieg Haußmann nicht, dass es beim Zusammenwachsen von Remstal und Backnanger Bucht durchaus Sand im Getriebe gegeben habe. Als Beispiel für die Schwierigkeiten der Anfangsjahre zitierte er aus der schriftlichen Bitte an ein Mitglied, sich beim Jahresbeitrag doch gern selbst eine geeignete Summe zu überlegen – der damalige Kreisschatzmeister sah sich mangels aussagekräftiger Unterlagen nicht zu einer Festlegung in der Lage.

Ohnehin wurden die Liberalen in den 70ern gebeutelt: Bei den Wahlen bröckelten die Prozente, die sozialliberale Koalition bescherte der FDP an Rems und Murr eine massive Austrittswelle. 40 Prozent der Mitglieder kehrten der Partei den Rücken, weil sie sich im Duett mit der SPD nicht mehr aufgehoben sahen. Neben Tiefpunkten gab es Höhenflüge wie die 17,7 Prozent, die Stephan Seiter bei der Bundestagswahl einheimste – im Stammland sorgte der Newcomer fürs bundesweit drittbeste FDP-Ergebnis.

„Noch nie war die FDP so wertvoll wie heute“, rief der Landesvorsitzende Michael Theurer den Festgästen in Waiblingen zu. Die Rückbesinnung auf Eigenverantwortung sei ein entscheidender Faktor, damit die Republik die aktuellen Krisen überstehe. Der Berliner Ampel stellte Theurer ein ordentliches Zwischenzeugnis aus: „Wenn man genauer hinsieht, kann man die Handschrift der FDP schon erkennen“, sagte er.