Ausgefallen – Kostüme aus Luftballons. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Die Besucher feiern mit bunten Kostümen und ausgelassener Stimmung den Höhepunkt der fünften Jahreszeit in Stuttgart. 54 Gruppen nehmen am Faschingsumzug teil.

Stuttgart - „Zicke-zacke-zicke-zacke!“, ruft Josef Stützle ins Mikrofon. „Heu-heu-heu“, schallt es aus voller Kehle durch das Rathaus. Der Gute-Laune-Test vom Mann am Keyboard, der für die närrisch-musikalische Untermalung zuständig ist, zeigt Wirkung. Die Stimmung steigt, der Pegel gleich mit.

Mancher mutmaßt, auch deshalb, weil rechtzeitig zum traditionellen Vorglühen vor dem großen Faschingsumzug im vierten Stock des Rathauses echte Beamtennaturen längst die Flucht ergriffen haben. Auch von den Gemeinderäten strecken bei der Faschingsfete am Dienstag vor dem Umzug nicht eben viele ihre roten Pappnasen in die Luft. Es sind vielmehr die frohgesinnten Karnevalisten unter den Rathausleuchten, die jetzt das Zepter fest in der Hand haben und vor dem Panoramafenster um die Wette schunkeln – Warm-up im gut geheizten Rathaus, falls draußen beim Umzug auf der Straße später die Temperaturen doch noch abrutschen sollten.

Ordnungsbürgermeister lädt zum Umtrunk

Martin Schairer, der beim Fastnachtsumtrunk in mausgrauem Anzug und Karnevalskappe den Gastgeber im Rathaus gibt, schärft dem Narrenvolk vor Umzugsstart noch einmal eindringlich ein: Mit ihm als Ordnungsbürgermeister gehe hier alles „ganz ordentlich vonstatten“. Angesichts der ungebändigten Feierlaune, die sich inzwischen in Etage vier breit gemacht hat, ein Hinweis der minder gelungenen Kalauersorte. Schon eher kommt dem steigenden Stimmungsbarometer die Aufforderung Schairers entgegen, sich am Faschingsdienstag noch einmal ausgiebig in die Arme zu fallen. Küsschen links, Küsschen rechts und ab geht die Polonaise. „Morgen ist Aschermittwoch, und wer weiß, was dann noch kommt: vielleicht das Coronavirus“, ruft der Ordnungsbürgermeister in die närrische Menge – auf dass diese eifrig Körperkontakt suche.

Gesagt, getan: Vorbildlich schwingt Schairer kurz darauf selbst eng umschlungen das Tanzbein mit SPD-Gemeinderätin Lucy Schanbacher, die beim Umtrunk die meisten ihrer Mitgemeinderäte auch bis zum Ende der Veranstaltung vergeblich gesucht hat.

Ob die Kommunalpolitiker aus dem Rathaus sich in diesem Jahr nur besonders gut verkleidet haben? Kaum wahrscheinlich, kostümieren sich doch die allermeisten Stuttgarter traditionell an Fasching und beim alljährlichen Umzug durch die Innenstadt am liebsten in gepflegtem Bürgerzivil. Allenfalls ein wenig Schminke da, ein paar bunte Federn dort müssen bei den meisten Narren reichen, um in der fünften Jahreszeit in Schwung zu kommen.

Ausnahmen bestätigen natürlich auch beim Umzug wie immer die Regel: Neben blau kostümierten Superhelden, über Indianerhäuptlinge in vollem Ornat bis zu veritablen Seemännern, deren überdimensionierte Rauschebärte vermutlich echt sind, finden sich dann doch einige auffällige Kostüme am Rand der Strecke. Ein extra Karnevalsorden all denen, die in Stuttgart dem allgemeinen Nicht-Verkleiden an Fasching die Stirn bieten.

Stimmung trotz Vorfall in Volkmarsen gut

Apropos Umzugsstrecke: An der drängten sich bei zeitweise sogar sonnigem Wetter dann doch überraschend viele Besucher. Weder das Coronavirus, das Ordnungsbürgermeister Schairer schon am Horizont kommen sieht, noch die Amokfahrt am Tag zuvor im hessischen Volkmarsen konnten die Stimmung letztendlich trüben. Entlang der mit Gittern abgesperrten Route zwischen Tübinger Straße und Schlossplatz finden sich am Dienstag nur wenige, die sich die Laune wirklich haben vermiesen lassen. Auch, dass die Polizei reichlich Präsenz zeigte und die Kräfte in der Innenstadt nochmal deutlich verstärkt hat, änderte daran nichts.

So wie Eva Kühnle und ihren Freundinnen, die aus Fellbach zum Stuttgarter Umzug gekommen sind, ging es wohl den meisten: Von den Ereignissen beim Faschingsumzug in Volkmarsen dürfe man sich nicht irr machen lassen, sagt die junge Frau. „Wir können ja jetzt nicht aufhören, unser Leben zu genießen.“

Luftballonkostüme begeistern

Auch die veranstaltende Karnevalsgesellschaft Möbelwagen hat kurzfristig nicht mehr gesondert auf den Vorfall in Hessen reagiert. „Aktionismus ist Quatsch“, sagt der Möbelwagen-Präsident Thomas Klingenberg, auch wenn die Ereignisse „absolut traurig“ seien. „Wir hatten auch schon davor in Zusammenarbeit mit der Polizei das Bestmögliche getan, um den Umzug sicher zu machen.“ Auf dem Wagen der Karnevalsgesellschaft musste Harun I., der zugleich der erste türkischstämmige Möbelwagen-Prinz sei, wie Klingenberg betont, übrigens den Alleinunterhalter geben: Seine Prinzessin, Lena I. zu Stutengarten, war wegen Fieber unpässlich. Die kreativste unter den 54 Gruppen mit insgesamt rund 1600 Teilnehmern war in diesem Jahr mit Sicherheit das Schweinemuseum, das Äffle und Pferdle und rosarote Schweine in übergroße Luftballonkostüme steckte und dafür reichlich Applaus von den mehreren zehntausend Zuschauern erntete.

Und so war, von seinem Ende betrachtet, der Stuttgarter Umzug nicht nur eine sehr friedliche und fröhliche, sondern wieder mal auch eine sehr saubere Sache. Was die Narren an ollen Kamellen hinterlassen haben, kehrten die das ganze Jahr in Orange gekleideten Männer zum Schluss mit ihren langen Hexenbesen und Kehrmaschinen direkt in die Tonne. Darauf einen Tusch!