EZB-Chefin Christine Lagarde trägt aus Solidarität mit der Ukraine einen Button in deren Landesfarben. Foto: dpa/Daniel Roland

Die Europäische Zentralbank will ihre Geldspritzen im dritten Quartal absetzen – sofern die Inflation hoch bleibt.

Trotz des Kriegs in der Ukraine plant die Europäische Zentralbank (EZB) ein Ende der seit Jahren anhaltenden Geldschwemme. Der EZB-Rat hat beschlossen, den Kauf von Staatsanleihen und anderen Wertpapieren im dritten Quartal einzustellen. Die Leitzinsen könnten „einige Zeit später“ angehoben werden. „Damit gibt die EZB der Inflationsbekämpfung Vorfahrt vor den gegenwärtigen wirtschaftlichen Unsicherheiten“, kommentierte der Chefvolkswirt der Dekabank, Ulrich Kater.

Die Währungshüter hielten sich allerdings eine Hintertür offen: Sollte die rekordhohe Inflationsrate im Euroraum wider Erwarten stark zurückgehen, würden die Käufe fortgesetzt. „Wir sind jederzeit bereit, unsere Instrumente anzupassen“, sagte EZB-Chefin Christine Lagarde.

Kurzfristig erwartet die EZB einen weiteren Anstieg der Teuerungsrate

Im Februar war die Teuerungsrate in den 19 Ländern der Eurozone auf 5,8 Prozent gestiegen, den höchsten Stand seit Einführung der Gemeinschaftswährung als Buchgeld im Jahr 1999. „Wir erwarten, dass sie kurzfristig weiter steigen wird“, sagte Lagarde. Im Jahresschnitt rechnet die EZB laut einer am Donnerstag aktualisierten Prognose mit einer Inflationsrate von 5,1 Prozent, 2023 dann mit einem Mittelwert von 2,1 Prozent und 2024 mit 1,9 Prozent. Damit wäre das EZB-Ziel einer Inflationsrate von zwei Prozent in der mittleren Frist erreicht.

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Schon in den kommenden Monaten sollen die Anleihekäufe deutlich reduziert werden. Die monatlichen Ausgaben für das sogenannte Programm zum Aufkauf von Vermögenswerten (APP) sollen bis Juni auf 20 Milliarden Euro sinken. Nach den bisherigen Plänen sollten bis Mitte des Jahres monatlich 40 Milliarden Euro in die Märkte fließen, bis Oktober war eine Reduzierung auf 20 Milliarden Euro vorgesehen – aber anders als jetzt eben kein Ausstieg.

Kompromiss unter den 25 Ratsmitgliedern

Dass dieser unter Vorbehalt gestellt wurde, war ein Kompromiss. Die Debatte im EZB-Rat sei vom Ukraine-Krieg dominiert gewesen, berichtete Lagarde. Einige Mitglieder hätten angesichts der Risiken für die Wirtschaft dafür plädiert, erst einmal gar nichts zu unternehmen. Andere hätten sich dafür ausgesprochen, auf jeden Fall aus der lockeren Geldpolitik auszusteigen. Dem Rat gehören neben Lagarde und den fünf weiteren Mitgliedern des Direktoriums die Präsidenten der 19 nationalen Notenbanken im Euroraum an, darunter Bundesbankchef Joachim Nagel.

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Die Beschlüsse stützen sich auch auf die Erwartung, dass die europäische Wirtschaft trotz des Ukraine-Kriegs weiter wachsen wird. Im laufenden Jahr erwartet die EZB für den Euroraum eine Wachstumsrate von 3,7 Prozent, für 2023 ein Plus von 2,8 Prozent und für 2024 noch 1,6 Prozent Wachstum. „Die wirtschaftliche Erholung sollte sich fortsetzen dank der schwindenden Auswirkungen der Pandemie und der Aussicht auf eine hohe Nachfrage“, sagte Lagarde. Gleichzeitig werde immer deutlicher, dass der Anstieg der Energiepreise auch andere Waren verteuere.

Ökonomen erwarten Zinserhöhung noch in diesem Jahr

„Letztlich hat die EZB klar signalisiert, dass Preisstabilität ihr oberstes Ziel ist und sie angesichts der erreichten Stärke und Breite des Preisauftriebs mit einer Straffung der Geldpolitik nicht länger warten kann“, kommentierte LBBW-Analyst Jens-Oliver Niklasch. Er rechnet mit einer Leitzinserhöhung noch in diesem Jahr.

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Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer erwartet im zweiten Halbjahr sogar zwei Zinsschritte. Diese dürften sich auf den derzeit noch negativen Einlagezins beziehen, der damit bis Jahresende auf null stiege, schrieb Krämer. Eine Abschaffung des negativen Einlagesatzes, den die Geschäftsbanken der EZB zahlen müssen, wäre auch eine Erleichterung für Sparer. Denn die meisten Finanzinstitute geben die Minuszinsen an Kunden mit Guthaben oberhalb einer bestimmten Höhe weiter – wo diese Grenze liegt, hängt von der einzelnen Bank ab.

Ausreichend wäre eine Abschaffung der Minuszinsen allerdings nicht, monierte Krämer. Mit Blick auf die hohe Inflationsrate agiere die EZB noch immer zu zögerlich.

Die Fed schreitet voran

Die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) wird ihren Leitzins voraussichtlich bereits nächste Woche erhöhen. Allerdings ist die Inflationsrate in den Vereinigten Staaten auch noch höher als in Europa: Mit 7,9 Prozent erreichte sie im Februar den höchsten Stand seit 40 Jahren, wie das US-Arbeitsministerium mitteilte.

Zudem muss sich die Fed weniger Gedanken darum machen, ob ein Anstieg der Leitzinsen und damit der Finanzierungskosten für Unternehmen und Verbraucher die Konjunktur belastet. Die Auswirkungen des Kriegs zwischen Russland und der Ukraine sind für die USA geringer als für Europa.

Die Volkswirte der niederländischen Großbank ING erwarten in den USA sechs Zinserhöhungen im laufenden Jahr. Damit würde das von der Fed festgelegte Zielband von derzeit 0–0,25 Prozent auf 1,5–1,75 Prozent steigen.